Dürnsteiner Würfelspiel. Bernhard Görg

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Dürnsteiner Würfelspiel - Bernhard Görg

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mitzureden habe.«

      »Selbstverständlich.«

      Was für eine gönnerhafte Selbstverliebtheit, dachte Doris. »Ich will ja nur, dass du es dir beizeiten durch den Kopf gehen lässt. Ich habe dem Herrn Minister versprechen müssen, dass ich ihm innerhalb von sechs Monaten wegen dir Bescheid gebe. Er möchte auch Planungssicherheit haben. Und nimm bitte das Ganze nicht zu tragisch. Es weht eben ein neuer Wind.«

      3. April, 15:22 Uhr

      Er gab ja zu, dass Krems eine schöne Stadt war. Aber wie hatten die Stadtväter nur so einen idiotischen Architekten beauftragen können? Man konnte doch nicht eine Brücke auf der einen Hälfte mit zwei Bögen und auf der anderen Hälfte in der Form einer Geraden bauen.

      Offensichtlich waren die Architekten früher schon genauso blöd gewesen wie heute. Wenn sie ihm den Auftrag gegeben hätten, er hätte eine schönere Brücke gezeichnet, auch wenn er überhaupt nicht vom Fach war.

      Es war ihm klar, dass sein Missmut über die Brücke auch mit der Auffahrt von der Mauterner Seite zu tun hatte. Auf der konnte er gar nicht anders, als einen Blick auf die Spitze des Braunsdorfers zu werfen, einem der Hausberge der Kremser. Sie fiel einem geradezu ins Gesicht. Genau dort oben hatte er seiner Elfriede den Heiratsantrag gemacht. Oder besser gesagt, sie ihm. Wenigstens passte der grüne Anstrich der Brücke irgendwie zur Gegend.

      Er fuhr heute mit seiner jungen Kollegin Julia Deckert Streife. Passte ihm sehr. Er gönnte sich immer mal wieder einen Seitenblick auf die junge Polizistin. Mindestens so sehr gefiel ihm aber, dass sie begierig war, von seiner langjährigen Erfahrung zu lernen.

      Eigentlich hatte er gehofft, bereits in der Stellung des Gruppeninspektors mit seiner Kollegin die erfolgreiche Absolvierung ihrer Zeit als Polizeiaspirantin zu feiern, aber aus der Beförderung war noch nichts geworden. Warum, darüber konnte er nur rätseln.

      Julia hatte sich bei der Feier aber auch von ihm als Revierinspektor einen herzhaften Gratulationsschmatz geben lassen. Gestört hatte ihn bei dieser Zeremonie allerdings, dass sie sich gleich nach seinem Kuss die linke Wange mit ihrem rechten Handrücken abgewischt hatte. Zugegebenermaßen war sein Kuss ziemlich feucht gewesen.

      Als sie am Ende der Brücke auf den Kreisverkehr kurz vor Mautern fuhren, läutete das Telefon seiner jungen Kollegin. Nachdem sie abgenommen und kurz zugehört hatte, sprach sie nur das Wort »Verstanden« in den Hörer und legte auf.

      »Felix, ein Hilferuf aus Weißenkirchen, weil die dortigen Kollegen wegen eines schweren Verkehrsunfalls unabkömmlich sind. In einem Weingarten soll eine Leiche gefunden worden sein. Schon ziemlich verwittert. Alles Weitere erzähle ich dir auf der Fahrt.«

      Der Revierinspektor schaltete die Sirene ein und nahm im Kreisverkehr wieder die Ausfahrt Krems. Keine fünf Sekunden später war er erneut auf der Brücke. Diesmal warf er allerdings keinen Blick auf den Braunsdorfer.

      Nach nicht einmal sechs Minuten – durch den Dürnsteiner Tunnel war Felix Frisch mit mindestens hundertvierzig Stundenkilometern geprescht – sahen die beiden Beamten kurz vor Weißenkirchen einen Mann, der am Straßenrand winkte. Felix schoss auf den Mann zu und bremste so spät, dass seine Kollegin in ihrem Sitz nach vorn gedrückt wurde.

      Der Mann, der ihnen gewunken hatte, stellte sich als Max Nimmervoll vor und erklärte ihnen kurz, was seine beiden Kinder gefunden hatten. »Sie können da noch ein paar Meter hinein fahren. Dann müssen sie noch ein Stück zu Fuß gehen. Über die Bahn. Die da oben winken, das sind meine Kinder.«

      »Felix, du kannst allein fahren. Ich begleite Herrn Nimmervoll. Wir sind gleich bei dir.«

      Der Revierinspektor, der enttäuscht war, dass seine Kollegin bis jetzt nicht ein Wort über seine Fahrkünste gesagt hatte, stieg mit gesenktem Kopf ins Auto, startete und fuhr mit durchdrehenden Rädern den gesandeten Weg entlang, an dessen Ende man einen parkenden Geländewagen sehen konnte. Dort stieg er aus und nutzte die Gelegenheit, um seine immer dünner werdenden Haare, die ihm viel Kummer bereiteten, zu kämmen.

      Auch daran war seine Frau schuld, die ihm immer in den Ohren gelegen hatte, sich täglich die Haare zu waschen. Sonst würden sie immer gleich fettig werden. Woher hätte er wissen sollen, dass man vom häufigen Haarewaschen Haarausfall bekommen konnte?

      Als er fertig war, stieg er zusammen mit den beiden Fußgängern, die ihn in der Zwischenzeit erreicht hatten, über die Bahntrasse und dann auf einem schmalen, aber recht bequemen Steig zu den beiden Kindern empor.

      Anna und David kamen ihrem Vater und den beiden Polizisten entgegen. Felix Frisch schätzte den Buben auf zwölf und das Mädchen auf zehn Jahre. Der Bub schien recht vergnügt zu sein, während seine Schwester sichtlich verstört war. Was sie aber nicht daran hinderte, zuerst seiner Kollegin und dann ihm die Hand entgegenzustrecken. »Ihr habt also eine Leiche gefunden. Dann zeigt mal her!«

      Julia wandte sich an das Mädchen. »Dein Vater hat uns erzählt, dass du deinen geliebten Hund begraben wolltest.«

      Das Mädchen nickte verängstigt. »Mama hat es verboten. Hätte ich nur auf sie gehört.«

      Julia hatte die Kleine an der Hand genommen. »Wer weiß, wozu es gut ist. Vielleicht hilfst du dabei, ein Verbrechen aufzuklären. Dann wirst du noch berühmt.«

      Man konnte sehen, dass dieser Gedanke der Kleinen alles andere als unangenehm war. Ein kurzes Lächeln machte ihr trauriges Gesicht gleich freundlicher.

      In der Zwischenzeit hatten sie alle die kleine Grube erreicht. Neben ihr lag ein frischer, etwa siebzig Zentimeter hoher Erdhaufen. Felix Frisch bemerkte auch gleich die beiden Schaufeln und die Spitzhacke, die an einen nahen Weinstock angelehnt waren.

      Als sein Blick in die Grube fiel, schien er enttäuscht zu sein. »Das ist keine Leiche. Das ist ein Skelett«, sagte der Revierinspektor im Ton eines Oberlehrers. Er wandte sich an David. »Gibst du mir eine Schaufel her?«

      Es dauerte keine Minute, bis er das Skelett zumindest an der Oberseite völlig freigelegt hatte. »Auf die Schnelle würde ich sagen, das Skelett einer Frau. Schmale Schultern, breites Becken. Keine Spuren von Gewaltanwendung.«

      »Es gibt hier auch keine Spuren von Kleidung. Jemand muss die Frau hier nackt vergraben haben.« Die Polizistin zupfte nachdenklich mit ihrem rechten Zeigefinger an ihrer Unterlippe.

      Felix lächelte wissend. »Gut beobachtet, Julia. Schaut nach Sexualverbrechen aus.«

      Julia warf dem Revierinspektor einen kritischen Blick zu. »Eine Frau mit einer künstlichen Hüfte kommt sicher nicht hierher, um sich auszutoben«, antwortete sie knapp.

      Felix Frisch war zu überrascht, um das maliziöse Lächeln seiner jungen Kollegin zu bemerken. »Wie kommst du denn darauf, dass die Frau eine künstliche Hüfte hat?«

      Julia, die in der Zwischenzeit Latex-Handschuhe übergestreift hatte, beugte sich über die Grube und wischte an der linken Hüfte des Skeletts etwas Erde beiseite. »Da schau. Das Stück da ist viel heller. Und viel weniger verwittert oder zerfressen.«

      Felix Frisch, der sich schnell wieder gefasst hatte, wandte sich an den Besitzer des Weingartens. »Da können Sie einmal sehen, was eine junge Polizistin unter der sachkundigen Führung eines alten Hasen wie mir lernt. Ist schon toll, unsere Julia. Und nachdem eine künstliche Hüfte ein klarer Hinweis darauf ist, dass die Frau nicht schon seit hundert Jahren hier liegt, werde ich jetzt unsere Kollegen von der Mordkommission in St. Pölten verständigen.«

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