Mehr Mut, Mensch!. Lorenz Wenger
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Genau so verhält es sich oft auch mit unseren eigenen Zweifeln, Unsicherheiten und Ängsten. Wenn wir uns dazu durchringen, uns ihnen zu nähern, und sie als Verbündete anerkennen, werden sie meist zahm und zutraulich, ja können sich sogar als gesellig und freundlich wie Herr Tur Tur erweisen – und vielleicht sogar als nützlich! Wenn wir jedoch vor ihnen weglaufen, werden sie immer größer und bedrohlicher. Denken Sie doch das nächste Mal, wenn Sie sich vor irgendwelchen Ängsten ins Bockshorn jagen lassen, einfach an den freundlichen Herrn Tur Tur aus der Wüste »Ende der Welt«. Und vielleicht geben Sie sich wie Jim Knopf auch das Ehrenwort, Ihre Widerstände und Ängste aus der Nähe zu betrachten und neu einzuschätzen.
Mut.Fragen
Denken Sie darüber nach, ob und wo Sie selbst schon einmal solchen Scheinriesen der Angst begegnet sind wie Jim und Lukas in der Wüste? Wie haben Sie sich gefühlt und woran haben Sie erkannt, dass die Bedrohung gar nicht so immens groß war wie im ersten Moment befürchtet?
Formen der Angst
So unterschiedlich wir als Menschen sind, so sind es auch unsere Ängste. Das macht es auch so ungeheuerlich kompliziert. Eine genau gleiche Situation wird von unterschiedlichen Menschen daher völlig unterschiedlich interpretiert und wahrgenommen. So kann ein Kurzflug von Berlin nach Zürich für jemanden mit Flugangst zur Tortur werden, während sein Sitznachbar jedes Luftloch in 10 000 Metern Flughöhe sichtlich genießt. Selbst die Flugangst kann unterschiedliche Ausprägungen haben: Verlustangst (weg von Zuhause, weg von Schatzi, weg vom geliebten Haustier), über Kontrollverlust (»ausgeliefert sein«), schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit (turbulenter Horrorflug mit Blitzeinschlag, Durchstarten bei der Landung) bis hin zur ausführlichen Überlieferung von schlechten Erfahrungen durch Dritte oder auch die klassische Angst vor der tatsächlichen, statistisch verschwindend kleinen Möglichkeit eines Absturzes.
Einmal mehr darf die aktuelle Pandemie als exemplarisches Beispiel von Ängsten herhalten: Während ich diese Zeilen schreibe, wir befinden uns mitten im Lockdown der zweiten Corona-Welle, sind in unserer Gesellschaft die Formen der Angst unterschiedlich spürbar. Während sich die einen tatsächlich vor einer Ansteckung fürchten und somit Angst vor Krankheit und Tod haben, werden andere von Existenzängsten geplagt. Ihre Gedanken drehen sich ununterbrochen um Personal-, Miet- und Versicherungskosten und Rechnungen, die nicht mehr bezahlt werden können. Sie sehen sich in der Zukunft schon als Arbeitslose in Armut unter der Brücke lebend oder befürchten, ihre Hypothek nicht mehr tragen zu können, das Eigenheim verkaufen zu müssen oder ihr Unternehmen in den Konkurs zu steuern. Wieder andere haben Angst vor den aktuellen politischen Entscheidungen und ihren Folgen. Sie fürchten sich vor Demokratie- und Freiheits-Verlust, vor diktatorischen Tendenzen und sehen sich als Opfer von politischen Regelungen und Einschränkungen der Freiheit. Das sind drei komplett verschiedene Typen von Ängsten!
Klar ist die gemeinsame Ursache dieser drei Ängste die Existenz des Virus. Doch die Form, wie sich diese Angst emotional breitmacht und die Steuerung über unsere Gedanken, Entscheidungen und Handlungen übernimmt, ist höchst individuell. Welche Angst ist nun realer? Wer ist Realist? Wer hat Recht? Wer ist ein Angsthase? Stellen Sie sich vor, wie zwei Menschen miteinander sprechen, die total unterschiedliche Ängste vor dieser Pandemie haben. Solange sie ihre Ängste und Motive nicht selbst kennen und schon gar nicht aussprechen, werden sie sich kaum verstehen. Sie sprechen aneinander vorbei. Doch oft wissen wir selber nicht, was genau nun unsere Angst ist, wo sie herrührt und wie und wo sie ihren Anfang nahm. Daher lohnt es sich in jeder neuen als bedrohlich wahrgenommenen Situation, genauer hinzusehen, einzutauchen und die tatsächlichen Schmerzpunkte zu identifizieren.
Welcher Angst-Typ sind Sie?
Der deutsche Psychoanalytiker Fritz Riemann beschreibt in seinem 1961 erschienen Werk Grundformen der Angst vereinfacht und grob vier Persönlichkeits-Typen der Angst, von welchen sämtliche nur erdenklichen Ängste ausgehen sollen. Alle Ängste seien Varianten dieser vier Grundformen. Möglicherweise erkennen Sie sich bei dem einen oder anderen Typen ja selbst. Ich erkannte mich bei jedem dieser Typen in spezifischen Alltags-Situationen! Hören Sie am besten in sich hinein und versuchen Sie auf einer Negativ-Skala von 0 (unbekannt) bis -10 (Todesangst), herauszufinden, mit welchem dieser Angst-Typen Sie sich tendenziell am ehesten identifizieren würden.
Angst vor Bindung
Angst vor der Bindung und Abhängigkeit von anderen Menschen, also vor der Aufgabe der eigenen Persönlichkeit und Hingabe gegenüber anderen Menschen. Menschen mit dieser Angst tendieren dazu, distanziert zu wirken und Beziehungen als »Mittel zum Zweck« auf rein sachlicher Ebene zu leben. Sie sind freiheitsliebend, suchen die Unabhängigkeit, den Individualismus, sind eher ichbezogen und eigensinnig.
Angst vor Selbstständigkeit
Das Gegenstück zur Bindungsangst ist die Angst vor der Freiheit, also davor, selbstständig zu werden und vor Geborgenheits-Verlust. Dieser Typ tendiert dazu, sich selbst aufzugeben und in emotionale Abhängigkeiten zu begeben, um die Zuwendung und Anerkennung von anderen zu erhalten. Abhängigkeit und das Gefühl von »gebraucht-werden« erfüllt ihn mit Sicherheit. Diese Menschen meiden die Eigenständigkeit. Sie opfern sich für andere auf und neigen dazu, sich dadurch zu überfordern.
Angst vor Veränderung
Die dritte Angstform ist jene vor der Vergänglichkeit und damit verbunden auch die Angst vor dem Tod. Dieser Typ mag keine Veränderung und bekämpft sie sogar. Er würde lieber alles beim Gewohnten und Alten belassen statt sich neugierig Neuem und Unbekanntem zuzuwenden. Kontrolle und Planbarkeit gibt ihm Sicherheit. Der Fluss und die Unabsehbarkeit des Lebens sind ihm ein Greuel.
Angst vor Stillstand
Das Gegenstück zur Veränderungs-Angst ist die vierte Form: die Angst vor dem Endgültigen und der Notwendigkeit, insbesondere auch vor der Realität und Festlegung. Menschen dieses Typs neigen dazu, sich allen neuen Impulsen hinzugeben, sich unnötigen Risiken auszusetzen und sich zu verzetteln. Die aktuelle Wirklichkeit im Jetzt meiden sie. Grenzen, welche die Freiheit einschränken, bekämpfen sie und begeben sich lieber auf die rastlose Suche nach Wundern und Patentlösungen.
Nun fragen Sie sich vielleicht, warum Sie dazu eine Negativ-Skala verwenden sollen oder wo denn die Positiv-Skala bleibt. Dazu mehr im zweiten Teil dieses Buches, sobald es um das Handeln und Umsetzen unseres Mutes geht. Die unterschiedlichen