Pechwinkel. Martin Arz

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Pechwinkel - Martin Arz

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Regen hatte aufgehört, stattdessen zog leichter Nebel auf. Die Abenddämmerung setzte ein.

      Gerda Pettenkofer erklomm schwer schnaufend die Aluminiumleiter und stapfte durch das Gebüsch hinauf zur Pestalozzistraße. Zwei Altbauten in der Straße waren eingerüstet. Riesige Transparente kündeten von den »Wohnträumen in begehrter Lage«, die hier entstünden. Begehrte Lage. Pfeffer musste lachen. Die Gegend war früher mal ein echtes Glasscherbenviertel gewesen. Pfeffer kannte sich aus. Hier war er aufgewachsen. Zugegeben, nicht direkt hier im Glockenbachviertel, sondern ein paar Straßen weiter südlich im Schlachthofviertel. Aber das gesamte Areal der Isarvorstadt gehörte damals zu seinem Kiez, er kannte alle Gassen und Winkel. Damals beherrschten gewaltbereite Jugendbanden die Gegend, und Pfeffer hatte gelernt, sich zu prügeln. Er war nie davongelaufen. Er hatte seine blauen Augen und Blessuren mit Stolz getragen. Er erinnerte sich an den Baiersbrunner Schorschi, der besonders skrupellos die Jüngeren schikanierte und mit sadistischer Perfektion quälte. So wie damals, als Schorschi zwei seiner devoten Lakaien den jungen Pfeffer festhalten ließ, damit er ihm »die blöde Schlachthoffresse zur Schlachtplatte hauen« konnte, wie es der Schorschi ausdrückte. Damals hatte Pfeffer das erste Mal festgestellt, wie empfindlich Jungs im Genitalbereich sein können. Und da Max Pfeffer schnell und wendig war, bekamen nicht nur die beiden Lakaien seine Stiefel zu spüren, sondern auch der Schorschi. Dem Schorschi brach er dann noch die Nase. Danach ließen sie ihn in Ruhe. Der Schorschi hatte sogar versucht, sein Freund zu werden. Doch Max Pfeffer konnte sich beherrschen.

      Damals gab es auch noch die billigsten Striplokale der Stadt im Viertel und den Straßenstrich an der Müllerstraße. Die Mieten waren ein Witz verglichen mit den begehrten Wohnlagen in Schwabing oder Haidhausen. Also kamen bald die Künstler, die Kreativen und mit ihnen die Schwulen. Das Schmuddelkind Isarvorstadt wurde langsam cool und hip. Lange Jahre stimmte der Mix aus Alt und Neu, aus schwul und hetero, aus Szene und Gerontologie. Den Begriff Glockenbachviertel kannten nur die Einheimischen und es war ein Bäh-Wort, dort wollte niemand zu Hause sein. Also sagte man entweder, man wohne im Gärtnerplatzviertel (schon erheblich besser) oder gleich in Thalkirchen (noch viel besser). Dann änderte sich alles. Die Kreativen zogen die Chichis nach sich, die schwule Partyszene zog das hetero Ballermannpack nach sich, die Immobilienpreise explodierten, die Mieten stiegen ins Obszöne, die erwachsen gewordenen Schlägertypen konnten sich ihren Kiez nicht mehr leisten und mussten an den Stadtrand ziehen. Statt verrosteter Toyotas oder Corsas eroberten SUVs und Mini Cooper die schmalen Straßen. Plötzlich gab es nur noch das Glockenbachviertel, vom Viktualienmarkt bis mitten hinein nach Sendling. Und die Schlachthofviertler reckten ihre Nasen noch etwas höher und beschlossen, dass sie von nun an im Dreimühlenviertel wohnten, weils schicker klingt. Gentrifizierung nannte sich das alles in Neudeutsch. Pfeffer hatte auf einem alten Volvo einen Aufkleber gesehen, den er sich unbedingt besorgen wollte: »Willkommen im Viertel, ihr Arschlöcher!« Dann musste er sich aber eingestehen, dass er mittlerweile selbst dank seiner Einkommensklasse den Lebensstil der Arschlöcher pflegte. ›Aber immerhin‹, so sagte er sich, ›habe ich eine andere Einstellung.‹ Er fuhr keinen SUV, mied Bioläden – hauptsächlich, weil Tim fürs Einkaufen zuständig war – und hatte keinen kreativen Job. Obwohl er sich seinen Job durchaus kreativ gestaltete.

      »Wir sehen uns morgen im Büro, Bella«, sagte Max Pfeffer zu seiner Kollegin. »Dann machen wir uns auf die Suche nach vermissten alten Frauen und ihren Mördern.«

      »Geht klar, Chef.« Die Hauptkommissarin verabschiedete sich und ging mit schnellen Schritten die Straße hinunter.

      »Ihre erste Woche als Hauptkommissarin«, sagte Pfeffer und sah seiner Kollegin hinterher.

      »Was?« Doktor Pettenkofer gab dem Kriminaler einen Schubs. »Sie ist befördert worden? Warum sagt mir keiner was? Ich hätte ihr gratuliert!«

      »Ich muss da lang«, sagte Max Pfeffer.

      »Und ich da.« Die Rechtsmedizinerin deutete in die entgegengesetzte Richtung. »Begleitest du mich zum Auto?«

      »Hast du Angst, alleine zu gehen?« Pfeffer schmunzelte. »Allein in München. Grusel. Noch dazu im Glockenbachviertel. Shiver!«

      »Blödmann.« Die Rechtsmedizinerin zündete sich eine neue Zigarette an. »Dachte immer, du wärst ein Kavalier. Dann begleite ich dich eben zu deinem Auto, Maxl, schließlich sind wir im Glockenbachviertel, und schon mein Vater selig hat immer gesagt, dass man da als Mann mit dem Arsch zur Wand durch die Straßen laufen muss, damit man nicht ganz die Unschuld verliert.«

      »Weiser Mann, dein Vater.« Pfeffer lachte.

      »Ein Depp war er!«

      »Oder so.«

      »Wenigstens hast du jetzt bessere Laune. Sag, wo steht dein Wagen, Maxl? Ich begleite dich wirklich.«

      »Mein Wagen steht nirgends. Ich bin gelaufen.«

      »Echt?« Doktor Gerda Pettenkofer blieb abrupt stehen. »Von Obermenzing bis hierher?« Sie pfiff durch die Zähne.

      »Nicht von Obermenzing. Ich wohne zurzeit hier ums Eck. Zurück in der alten Hood. Und ich bin ein Kavalier, die Dame. Ich begleite dich doch selbstverständlich.« Sie bummelten weiter die Pestalozzistraße hinunter, kamen an der Heilsarmee vorbei und steuerten auf den alten Suzuki-Geländewagen der Rechtsmedizinerin zu, der unter einer Laterne vor einem Tagescafé parkte.

      »Oh, rausgeschmissen worden? Erzähl! Ich brauche mehr Details.« Die Rechtsmedizinerin sah den Kriminalrat sensationslüstern an.

      »Es ist denkbar banal, Gerda-Hase. Wir haben beschlossen, die Bäder neu machen zu lassen. Na, eigentlich nur das obere Bad. Da die aber empfohlen haben, gleich das ganze Rohrsystem zu erneuern, haben wir uns dazu entschlossen, alle Bäder und Toiletten im Haus neu machen zu lassen. Ach ja, und die Küche. Da wurde seit der Erbauung nichts mehr gemacht. Alles original Zwanzigerjahre. Lauter Schrott. Kostet eine Stange und das ganze Haus ist eine Baustelle. Und wir sind alle ausgezogen. Na, eigentlich nur ich.«

      »Ich sagte doch: mehr Details!« Sie waren längst neben dem alten japanischen Geländewagen der Rechtsmedizinerin angekommen, und Gerda Pettenkofer lehnte sich gegen die »Friseusenschleuder«, wie sie ihr Auto selbstironisch nannte.

      »Cosmo hat Osterferien und ist auf Ibiza, angeblich fürs Abi lernen. Flo ist in England, und Tim hat ein dreiwöchiges Seminar bei einem Pharmariesen in Hamburg. Nur ich bin hiergeblieben. Einer muss ja die Bauarbeiten beaufsichtigen. Ich habe per Zufall hier um die Ecke eine Wohnung als Zwischenmieter bekommen. Kostet mich nur die Nebenkosten.«

      »Echt? Wer ist so großzügig?«

      »Severin Hemberger. Der Ex von meiner Ex. Na, streng genommen ist er nicht der Ex meiner Ex, sondern so was wie der Witwer meiner Ex. Sie waren nicht verheiratet, als sie starb. Aber zusammen, du verstehst?«

      »Der Ex von deiner Exfrau bietet dir ein Dach über dem Kopf? Hat er jetzt das Ufer gewechselt?«

      »Nö.« Pfeffer schlug den Jackenkragen hoch. Es war kalt, viel zu kalt für einen normalen Aprilabend. Aber was war in den letzten Jahren schon normales Wetter. Seit das Thema Klimaerwärmung in aller Munde war, hatte sich Pfeffer auf lange, heiße Sommer und milde Winter gefreut. Er war wetterabhängig, was seine Stimmung anging. Er brauchte Sonne und Wärme. Doch statt Sonne und Wärme waren die letzten Sommer desaströs verlaufen. Und auch ein richtiger Frühling ließ sich nicht mehr blicken. Meist klebte ein dichter grauer Deckel über der Stadt oder es regnete, und die Winterdepression wollte nicht aus Pfeffers Seele weichen. Kalter Nebel stand mittlerweile zwischen den Häusern.

      »Der Ex von meiner Ex ist eigentlich ein ganz netter«, sagte Max Pfeffer. »Er hat meine Ex wirklich geliebt.

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