Reine Nervensache. Martin Arz

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Reine Nervensache - Martin Arz

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war. »Hinterm Haus war doch noch eine Tür, da können wir es ja auch noch versuchen.«

      Sie gingen zur Hintertür, die offenbar von der Küche zu einer kleinen Terrasse führte. Auch hier rüttelte Frank dramatisch am Knauf, doch er konnte sein Spielchen nicht durchziehen. Denn wie erwartet und gleichzeitig befürchtet, ließ sich die Türe öffnen. Der Junge stand einige Sekunden unschlüssig vor dem Dunkel, das im Inneren des Hauses lauerte.

      »Jetzt reicht es echt!« Nathalie trat neben Frank und packte seinen Oberarm. Frank lebte praktisch im Sportstudio, sofern es die Abiturvorbereitungen erlaubten. Zwar behauptete er immer, er trainiere so viel, weil die Mädels drauf stehen würden, doch in Wahrheit stand vor allem sein Ego auf einen durchtrainierten Körper. Seine harten Muskeln zu fühlen gab Nathalie zusätzliches Selbstvertrauen. »Hier läuft was ganz Schräges.«

      Nathalie erinnerte sich an die zahllosen Horrorfilme, die sie gesehen hatte. Da gab es immer, selbst in den besser gemachten, eine klassische Sequenz, in der einer der jung-dynamischen, attraktiven Hauptdarsteller, meist die knackige Blondine, aus welchen Gründen auch immer ein gruseliges Gemäuer, alternativ dazu einen finsteren Keller, betreten musste. Ebenso üblicher- wie unlogischerweise stolperte die Blondine sinnlos »Hallo, hallo«-rufend in die Dunkelheit hinein, geradewegs dem Psychopathen mit der Kettensäge in die Arme, statt als allererstes einen Lichtschalter zu suchen, um die Lage besser überblicken und dem Killer vielleicht entkommen zu können. Nathalie tastete an der Wand entlang, fand schnell den Schalter und machte Licht. Die beiden Jugendlichen betraten zögernden Schrittes langsam das Haus.

      »Hör zu«, sagte Nathalie bestimmt, »wir gehen schnell in jeden Raum und machen alle Lichter an, die wir finden. Alle! Erst dann schauen wir uns um.«

      Frank hatte nichts dagegen. Schnell durchschritten sie die Küche, den engen Flur, das kleinen Wohnzimmer, das Schlafzimmer, ebenso Bad oder Toilette. Obwohl sie ihr Augenmerk auf Lichtschalter gerichtet hatten, war den beiden gleich aufgefallen, dass Jo oder wer immer hier wohnte, kein gutes Händchen für Inneneinrichtung hatte und vor allem öfter lüften sollte. Als sie sich genauer umsahen, entdeckten sie ein Chaos an zusammengewürfelten Sesseln mit speckigen Bezügen und Stühlen unterschiedlicher Epochen im Wohnzimmer, dem Wust aus Kissen, Kleidung, Decken und Undefinierbarem in allen Schlafzimmerecken, die fein säuberlich zusammengeschnürten Stapel von Zeitungen entlang der Badezimmerwände, die Pyramide aus milchigen Einmachgläsern, in denen Undefinierbares schwamm, in der Mitte der Küche, die grässlichen unmodernen Tapeten, die sich an zahllosen Stellen von den Wänden lösten, die Schimmelflecken in der Toilette, die von oben bis unten mit kitschigen Marienbildchen tapeziert war. Im Flur hingen an der einen Wand große Schwarzweißfotos von Unfallopfern, Großaufnahmen von entstellten, zerfleischten, malträtierten Gesichtern, die gegenüberliegende Wand war mit unzähligen Gekreuzigten übersät, Hunderte von gemarterten Christuskörpern aus Holz ohne Kruzifix. Im Schlafzimmer bemerkte Frank das Riesenposter, das genau dem Bett gegenüber an der Wand hing. Es zeigte die berühmte Szene aus dem Film Das Schweigen der Lämmer, in der die beiden Wachmänner, die den Kannibalen Hannibal Lector in seinem Hochsicherheitskäfig bewachen sollten, brutal ermordet wurden und in einer melodramatischen Inszenierung wie geschlachtete Engel an den Gitterstäben gefesselt hängen.

      »Boah, wie widerlich«, rief Nathalie, die innerlich einen Kampf zwischen Schock, Ekel und Neugier ausfocht. Eben noch hatte die Neugier überwogen, nun hielten sich die Gefühle die Waage. Zum ersten Mal war Nathalie froh, dass Frank so ein Eau-de-Toilette-Junkie war, denn der Duft brachte etwas Vertrautes, Angenehmes in diese streng müffelnde Bruchbude. Franks zu riechen beruhigte sie mehr, als sie es sich selbst eingestehen konnte.

      »Und guck mal hier.« Frank deutete auf den Nachttisch, dort lagen mehrere Rollen Küchenpapier. Dann zeigte er auf einen Haufen zerknüllter Küchentücher, die auf und neben dem Bett lagen. Mit spitzen Fingern hob er ein Knäuel auf. »Jede Wette, dass der sich einen auf das Bild da wichst. Muss der krank sein.«

      Im Wohnzimmer fiel Nathalie ein riesiges Ölgemälde auf, das über einer verschrammten Anrichte hing. Das Bild war schlecht gemalt, doch der Dargestellte kam Nathalie bekannt vor.

      »Das solltest du dir mal ansehen«, sagte Frank und lenkte Nathalie davon ab, was sie eben in der Zimmerecke erspähte: Dort lagen achtlos auf einen Haufen geworfen mehrere ramponierte Tierpräparate – Wiesel, Vögel und ein Fuchs. Nathalies Blick blieb sekundenlang an einer ausgestopften Hauskatze hängen.

      Frank hielt ihr ein Album unter die Nase. »Das lag aufgeschlagen auf dem Couchtisch da.« Sie blätterte darin herum. In dem Album klebten säuberlich ausgeschnitten und chronologisch sortiert zahllose Artikel über den Kannibalen von Rotenburg, der einst monatelang die Schlagzeilen beherrscht hatte. Der unscheinbare Mann hatte per Internet einen Kandidaten gesucht, der sich von ihm schlachten und verspeisen lassen wollte – und einen Berliner Ingenieur gefunden, dessen sehnlichster Wunsch es angeblich gewesen war, so zu sterben und gegessen zu werden. Hinter der romantischen Fassade eines Fachwerkhauses in einem kleinen hessischen Dorf war es dann zu der Tat gekommen. Der Mord war erst Jahre später aufgeflogen, als eine Sonderkommission der Polizei einschlägige Chatrooms observierte und dabei auf eine neue Suchanzeige des Kannibalen stieß.

      Nathalies riss den Kopf herum zu dem Bild über der Anrichte. Natürlich – deshalb war ihr das Gesicht so bekannt vorgekommen, das Gemälde war ein Portrait des Menschenfressers. Armin Meiwes – sogar der Name des Verbrechers fiel ihr plötzlich ein. Warum konnte sie sich nur an den Namen des Kannibalen erinnern? »Okay, das reicht«, sagte Nathalie laut, ihre Neugier war mehr als befriedigt. »Ich weiß nicht, was hier läuft, aber ich haue ab. Hier schaut es aus wie in einem Marilyn-Manson-Video. Und das brauche ich überhaupt nicht. Wenn das hier eine perverse Spielart von Versteckte Kamera ist, dann kommt jetzt raus, Leute.« Sie machte eine kurze Pause, wohl wissend, dass nichts passieren würde. Sie merkte, dass Frank blasser als sonst aussah und ständig schluckte. »Gut. Ich bin weg. Ich habe die Schnauze voll. Frank, wir gehen.«

      Sie verließen das Haus durch die Küche. Als sie die Pyramide mit den großen Einmachgläsern passierten, blieb Frank stehen und sagte: »Schau mal. Oder besser, nein, schau lieber nicht.«

      Doch Nathalie schaute bereits. In den Gläsern am Fuße der Pyramide dümpelten weißliche zoomorphe Gebilde in gelblicher Flüssigkeit, die aussahen, als hätten fette Maden beschlossen, groteske Karikaturen von Säugetieren und Vögeln zu bilden. »Tierembryonen«, entfuhr es Nathalie. In den höheren Etagen befanden sich in Alkohol eingelegte Organe. Sie erkannte ein Herz und eine Lunge. Die Präparate kamen ihr alt vor, weil sie fast völlig farblos in einer trüben Flüssigkeit schwammen – und weil auf manchen Gläsern Beschriftungen mit Datumsangaben vor 1960 zu lesen waren. Ganz oben auf dem Stapel befand sich das größte Glas. Darin steckte ein menschlicher Fötus, zumindest etwas, das entfernt an einen menschlichen Fötus erinnerte. Die schrumpelige Haut war mit großen dunklen Flecken übersät, wo die Nase hätte sein sollen, klaffte eine längliche Spalte.

      »Ich kotz gleich«, sagte Frank und atmete schwer. »Ich hoffe, ich wache bald auf!«

      Nathalie packte seine Hand und zog ihn mit sich fort. Nur raus hier, schoss ihr durch den Kopf, bevor er uns erwischt. Sie hatte sich tapfer dagegen gewehrt, doch nun kehrte die Axtmörderphantasie mit Vehemenz in ihr Bewusstsein zurück. So sehr sie sich auch einredete, dass das alles hier nur eine Inszenierung sein konnte, ein realer Splatterfilm, mit dem sie auf den Arm genommen werden sollte – von wem auch immer, weshalb auch immer –, sie wusste tief in ihrem Inneren, dass es real war.

      »Egal was Benni sagt, ich will, dass wir sofort weiterfahren und nicht eine Sekunde länger auf diesen Typen warten, der sich auf Kannibalen einen runterholt«, sagte Nathalie, und bemühte sich ihre aufkeimende Panik niederzudrücken und nicht loszurennen. War da nicht ein Geräusch im Gebüsch? Nicht hysterisch werden, sagte sie sich und während sie sich dem Van näherten, der wie ein skurriler leuchtender Riesenkäfer an der Straße parkte, wiederholte

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