Fettie macht 'ne Arschbombe. Martin Arz
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»Hey, howya doin?«, plärrt es da von der Seite, und schon treffen wir unsere Bekannten aus dem Einreise-Schlangen-Abenteuer, Lederstrumpf und Gattin.
»What a small world, hm?«
»It is!«
»Isn’t that ter-ri-fic?!«
»Sen-sa-tio-nal!«
»A-ma-zing!«
»It’s just like, you know, so impressing!«
»Yeah, see ya!«
»See ya!«
(Amnerkung von 2020: Damals war noch nicht alles »awesome«.)
Im Herzen Angkor Wats befindet sich die ultimative Traniningsanlage für Freeclimbing-Freaks. Die »Treppe« der Tempelpyramide ist nichts weiter als eine endlos hohe Wand mit einem winzigen Stüfchen alle fünf Meter. Carsten, fitnessgestählt, macht die Vorgabe und turnt leichtfüßig, einer Bergziege gleich, die Senkrechte hoch. Ich, schokoladengeschwächt, erklimme zitternd auf allen vieren und mit dem Adrenalinausstoß eines Bungeespringers die Wand. Bloß nicht nach unten schauen, bloß nicht hinterfragen, was ich da eigentlich mache. Und da ich oben auch tatterige Greisinnen herumspazieren sehe, bin ich leidlich zuversichtlich, dass es irgendwo einen einfachen Weg geben muss. Einen einfachen Weg hinunter. Den gibt es tatsächlich, doch die Warteschlange downstairs ist schier endlos. Schon senkt sich die Sonne im Westen ihrem Untergang zu. Von hier oben aus hat man einen Traumblick auf die dämmernde Landschaft. Bekanntermaßen geht in den Tropen die Sonne meist ziemlich ploppartig unter, das bedeutet im Zweifelsfall: Abstieg vom Tempel im Dunkeln. Es gelingt mir, mich gnadenlos durch geschicktes Vortäuschen akuter Darmprobleme in der Warteschlange vorzudrängen. Nun ist eine junge Frau mit Kleinkind auf dem Arm vor mir. Wie die es mit dem Balg hier hochgeschafft hat, wird mir ewig ein Rätsel bleiben. Jedenfalls sollte man ihr sofort das Sorgerecht entziehen. Der einfache Abstieg entpuppt sich als ebenso senkrechte Wand mit alle fünf Metern einem schmalen Stüfchen, nur wird er von einem hauchdünnen Metalldrähtchen, an das sich alle verzweifelt krallen, »abgesichert«. Tattergreisinnen, Mütter mit Säuglingen und nicht völlig schwindelfreie Autoren benötigen natürlich eine gewisse Zeit, um sich diesen Weg hinabzuhangeln. Froh, noch unter den Lebenden zu weilen, bummeln wir zurück zum Eingangstor von Angkor Wat, in der Hoffnung, dort unsere Gruppe wiederzufinden.
»Hey, my god, did anybody ever tell ya, that you are tall?!«, quäkt es da plötzlich von links hinten in jenem breiten Gerülpse, das in weiten Teilen der USA als Sprache anerkannt ist. Wir drehen uns um, eine kleine, dicke Amerikanerin asiatischer Herkunft grinst breit.
»Tall? Me? You’re sure?!«, antworte ich geistesgegenwärtig. Nun bin ich nicht gerade der Kleinste und falle besonders in asiatischen Ländern auf, weil ich mit meinen 2,03 Metern mühelos jeden überrage. Doch so plump hat es bisher noch niemand gebracht. Die pummelige Amerikanerin tut fortan so, als hätte sie mit uns die Wartezeit an den drei Einreiseschlangen am Flughafen verbracht, textet uns gnadenlos mit Blabla à l’americaine zu (»So fascinating, isn’t it? Überfascinating.«). Wir spielen mit, wohl wissend, dass der trendige Ami momentan die deutsche Vorsilbe »über« favorisiert (»It’s just like, you know, so unique. Überunique.«), bis die Frau dann abrupt stehen bleibt und sich mit einem: »Allright, I’ll just catch a photo right here. See you, boys.« verabschiedet. Weg ist sie.
Es ist zwar schon schwärzeste Nacht, doch noch früh am Abend, als wir endlich wieder unsere Pauschalfreunde treffen. Ry grollt nicht, weil wir den Nachmittag ohne seine Erläuterungen verbracht haben. Er bleibt die radebrechende Freundlichkeit in Person. Doch er ist verzweifelt, weil er den Programmpunkt »Sonnenuntergang von Phnom Bakheng« nicht mehr untergebracht hat. Dafür will er uns am nächsten Morgen mit einem Sonnenaufgang locken. Irgendwie sind wir alle nicht begeistert von der Vorstellung, schon wieder um 5 Uhr früh aufstehen zu müssen, und lehnen das Angebot ab. Nun schmollt Ry doch ein wenig und scheucht uns zur Strafe in einen der zahlreichen supermarktgroßen Souvenirshops, wo man nach allen Regeln der Kunst ausgenommen werden soll. Hostessen mit der Penetranz von Filzläusen und Preise jenseits der Schamgrenze verhindern jegliche Kaufgelüste. Zumal man die identischen industriegeschnitzten Buddhas, den billigen Silberschmuck und die Stoffe in Bangkok erheblich preiswerter kaufen kann. Da wir den Konsum verweigern, kann Ry vom Ladenbesitzer auch keine Provision einstreichen. Er wird uns daher am nächsten Tag noch zwei- bis dreimal hartnäckig an Souvenirsupermärkten ausladen und beschwört uns, am Abend zumindest in die Lokale zu gehen, die er uns empfiehlt.
Hier haben die anderen Gruppenmitglieder ein Herz, doch wir zwei seilen uns gewohnheitsmäßig ab und entdecken prompt, angelockt von blinkenden Leuchtketten, in einer düsteren Seitenstraße einen spottbilligen Gourmettempel. Das Geblinke ist nur von kurzer Dauer, denn kaum haben wir bestellt, gehen die Lichter aus. Totaler Stromausfall. Nun hocken wir bei Kerzenlicht. Richtig romantisch. Das finden auch die vier sehr praktisch gekleideten, kräftig gebauten Damen mit Kurzhaarfrisuren und markant maskuliner Appearance am Nebentisch, die sich nun noch verliebter gegenseitig in die Augen schauen. Sie rufen uns im derbsten Boarisch ein freundliches »Grad griabig da herin, gell. Pfiads eich, Buam!« nach, als wir, vollgewamst bis zum Anschlag, höchst zufrieden das Lokal verlassen. Auf unser »Pfiads eich aa, Madln, äh, Buam!« strahlen sie wie Honigkuchenpferdinnen.
Wir wollen ein wenig Siem Reap erkunden, doch wir finden nicht viel Erkundenswertes. Zwei kleine Schmuddelläden mit einigen interessanten asiatischen Pseudoantiquitäten ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, doch kambodschanische Ladenbesitzer haben im Gegensatz zu ihren thailändischen Kollegen sehr viel fixere und vor allem viel überzogenere Preisvorstellungen. Sie knallen uns einen obszönen Dollarpreis hin und lassen sich nicht mal annähernd in die für uns interessante Preiszone handeln. Pech gehabt, dann eben nicht.
Apropos Dollar: Kambodscha gilt als eines der ärmsten Länder der Welt, was man nirgends nachlesen muss, weil man es sofort am Straßenleben sieht. Alle Hoffnungen ruhen auf dem Tourismus, weshalb an der Straße nach Angkor ein Hotel neben dem anderen hingeklotzt wird. Von den rund 600 000 Besuchern im Jahre 2002 will sich Kambodscha auf 2,8 Millionen bis 2006 steigern. Da der kambodschanische Riel völlig unter Schwindsucht leidet, sind US-Dollar und Thai-Baht die offiziellen Zahlungsmittel. Und auf einen Dollar oder mindestens 20 Baht (ca. 50 Euro-Cent) hoffen alle Kinder und Bettler. Klar soll man nichts geben, weil man sonst die Kinder zum Betteln erzieht. Dies haben aber schon zahllose Touristen vor uns gemacht, und so hat man an jedem Tempel in Angkor und an jeder Straßenecke in Siem Reap eine Horde »One dollah«-kreischender Bälger um sich. Manche versuchen, dir für den Dollar (oder zwei oder drei) zumindest ein T-Shirt, Filme, Postkarten oder ihre Schwester anzudrehen, doch die dreisteren bieten nichts außer Hartnäckigkeit. Kaum hat man zum Beispiel die herrliche Aussicht vom Gipfel des Ta Keo genossen und küsst noch ganz trunken vor Freude den Boden, dass man wieder eine halsbrecherische Steiltreppe überlebt hat, schon klebt Miss Impertinent an dir und schreit: »Give me one dollah!«
Du ignorierst es zunächst.
Sie zerrt an dir und deinen Nerven.