Alles anders, aber viel besser. Dagmar Glüxam

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Alles anders, aber viel besser - Dagmar Glüxam

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Orchestern spielend, musste ich regelmäßig üben. Ich gab Violin- und Klavierunterricht, versorgte meinen Sohn, unsere 160 m2 große Wohnung und einen Garten in Klosterneuburg bei Wien. Nach und nach gelang es mir tatsächlich, in die hermetisch verschlossenen Kreise der Wiener Musikforschung einzudringen. Der Preis dafür war allerdings hoch, denn ich bezahlte meine Verbissenheit mit meiner Gesundheit.

      Nach sieben langen Jahren war meine erste Ehe endgültig vorbei. Heute würde ich sagen, sie dauerte sieben Jahre zu lang. Aus purem, falsch verstandenem Verantwortungsgefühl meinem Sohn gegenüber hatte ich mich nie getraut, meinen Mann zu verlassen. Auch wusste ich nicht, wohin ich gehen sollte; mir fehlte eine finanzielle Absicherung, ein fixes Einkommen. Auf die Hilfe meiner Eltern konnte ich nicht zählen, denn sie waren der Meinung, dass meine Ehekatastrophe ausschließlich meine Schuld war. Um sie zu schonen, hatte ich ihnen nie Einzelheiten meines tristen Ehelebens erzählt, mit dem Resultat, dass sie davon eine komplett verzerrte Vorstellung hatten. Auch hatte ich kein Selbstvertrauen, die Situation als alleinerziehende Mutter in Österreich, damals noch ohne die österreichische Staatsbürgerschaft, zu bewältigen.

      Doch dann tat mir mein damaliger Mann den Gefallen, dass er sich in eine andere Frau verliebte – allerdings zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt, sodass er von einem Tag auf den anderen und ohne jede Vorankündigung die Familie verließ. Ich saß mit 15.000 Schilling Fixkosten, einem hyperaktiven Kind, dafür aber ohne regelmäßiges Einkommen in unserer Wohnung mit den Stuckdecken und überlegte, wie das Leben weitergehen sollte. Zu meiner Überraschung sollte ich aber schon bald feststellen, dass ein Leben ohne einen Mann, den man nicht mehr liebt und mit dem man nichts anderes als Streit und emotionellen Stress erlebt, plötzlich viel EINFACHER UND SCHÖNER wurde. Die Zeit, die ich früher mit kräfteraubenden Auseinandersetzungen verbrachte, nutzte ich nun dafür, meine österreichische Dissertation ernsthaft voranzutreiben. Ich leitete ein Ensemble auf historischen Instrumenten, mit dem ich nicht nur eine preisgekrönte CD-Aufnahme einspielte, sondern auch zahlreiche erfolgreiche Konzerte und Auftritte im Tschechischen Fernsehen absolvierte.

      Verluste

      Bald nach der Scheidung, offenbar als Belohnung dafür, dass ich – auch hier, aber diesmal Gott sei Dank, mit verbissener Konsequenz – jeglichen Rosenkrieg vermied und mich ausschließlich um mein Kind und »meine Geschäfte« kümmerte, gelang es mir, neben diesen beruflichen Erfolgen auch mein seelisches Gleichgewicht wiederzugewinnen.

      Mit fünfunddreißig Jahren bekam ich ein Buch in die Hände, das mein Leben für immer verändern sollte, »Wenn Frauen zu sehr lieben. Die heimliche Sucht, gebraucht zu werden« von Robin Norwood. Ich würde dieses Buch als Pflichtfach in den Schulen einführen, denn Frauen, die zu viel lieben und ihr Leben für egoistische, unreife Männer opfern, gibt es beängstigend viele. Kurz nach dieser Lektüre, die ich buchstäblich mit Haut und Haaren verinnerlichte, lernte ich meinen jetzigen Mann kennen. Besser gesagt, ich registrierte ihn endlich, denn ich kannte ihn schon von früher. Er war allerdings zu »normal«, um mir überhaupt aufzufallen. Nett, verlässlich, verantwortungsvoll, treu – alles Eigenschaften, die ich früher als fad und uninteressant empfand. Eine Partnerschaft in Vertrauen und Entspannung? Eine völlig neue Erfahrung für mich, die ich heute bereits fünfzehn Jahre lang genießen darf.

      Nicht einmal ein Jahr nach der Scheidung war ich wieder verheiratet und mit einem Wunschkind schwanger.

      Mit der neuen Ehe sah ich allerdings einer neuen Herausforderung in die Augen. Mein Mann führte mich in seinen Bekannten- und Freundeskreis ein, wo ich zwar herzlich aufgenommen, stets aber als die »Frau von …« gesehen wurde. Das widersprach mächtig meiner Überzeugung von meiner Eigenständigkeit, denn ich wollte auf keinen Fall auf eine Ehefrau und Mutter reduziert werden. Man sprach mir schon wieder meine Existenzberechtigung ab, dachte ich, und überlegte radikale Gegenmaßnahmen.

      Mit meiner kleinen Tochter unter dem Schreibtisch (verzeihe mir bitte, Florentina, aber du hast die Zeit ohnehin verschlafen!) beendete ich schwungvoll meine österreichische Dissertation. Als meine Tochter drei Jahre alt war, bewarb ich mich für ein renommiertes, hoch dotiertes österreichisches Habilitationsstipendium, das ich auch bekam. Ich war überglücklich und hatte alles, was ich mir immer gewünscht hatte: Eine tolle Familie mit zwei Kindern, einen netten und verständnisvollen (wenn auch überbeschäftigten) Ehemann, der mich in allen meinen Tätigkeiten unterstützte, und plötzlich auch beachtliche Perspektiven in meinem normalerweise zugegebenermaßen nicht gerade lukrativen Beruf.

      Es wäre alles wunderbar gewesen, trotz Arbeit und Stress, und es hätte ruhig so bleiben können. Es blieb aber nicht. Am 22. November 2000 erhielt ich einen Anruf von meiner Mutter, die mir weinend mitteilte, dass mein 43-jähriger Bruder völlig unerwartet einen Herzstillstand erlitten hatte und nach einer Wiederbelebung im Koma lag.

      Mein Bruder war ein sehr intelligenter, technisch hochbegabter Mann mit einem ausgeprägten Unternehmergeist. Deshalb versuchte er sofort nach der Wende in der Tschechoslowakei ein Immobilienimperium aufzubauen. Er kaufte zahlreiche desolate Häuser, die er mit Hilfe von Bankkrediten renovieren und anschließend veräußern wollte. In den ersten Jahren nach der Revolution befand sich das tschechische Bankwesen aber noch im totalen gesetzlichen Chaos, wobei insbesondere die Zinssetzung bei den Krediten durch Willkürlichkeit gekennzeichnet war. So konnten die Kreditzinsen innerhalb von wenigen Jahren auf fast 30 % steigen – für einen Unternehmer und seine vorherige Kalkulation eine Katastrophe. Mein Bruder, ähnlich verbissen wie ich, reagierte nicht darauf, in dem er etwa rechtzeitig ausgestiegen wäre. Im Gegenteil, er versuchte mit weiteren, immer waghalsigeren Geschäftsideen seine Haut und seine Häuser zu retten. Er trank literweise starken Espresso und arbeitete immer mehr und mehr, bis er nicht mehr konnte.

      Für mich brach die Welt zusammen. Ich hatte zu meinem um fünf Jahre älteren Bruder, der ein Technikstudium hinter sich hatte und deshalb schon von seinem Wesen her komplett anders war als ich, zwar nie ein besonders inniges Verhältnis. Trotzdem war er mein GROSSER, GESCHEITER Bruder und allein der Gedanke, dass es ihn gibt – auch wenn sich unsere Familien aufgrund der großen Distanz vielleicht nur ein- oder zweimal im Jahr trafen – vermittelte mir ein Gefühl der Sicherheit. In diesem Punkt war ich noch immer ein Kind geblieben. Ich glaubte, sollte jemand böse zu mir sein, würde mein großer Bruder kommen und mich verteidigen.

      Nun lag mein großer Bruder im Koma und die Chancen auf eine Genesung waren gleich Null. Mein Mann unternahm, was er konnte; als zusätzliche Maßnahmen versuchte er auch Akupunktur und Homöopathie. Ich zerbrach mir sechs Wochen lang meinen Kopf darüber, was ihm sonst noch helfen könnte, inklusive von stundenlangem Senden positiver Energie. Es half alles nichts. Während seines bewusstlosen Zustandes, von dem niemand wusste, wie lange er dauern würde, besprach ich mit meiner Schwägerin die Möglichkeit, zumindest einige seiner Häuser, die gerade renoviert wurden, zu verkaufen, um die prekäre finanzielle Lage seiner Familie zu entlasten. »Nein, das geht nicht. Er würde lieber sterben, als sich von seinen Häusern zu trennen«, meinte sie.

      Das hat er auch getan. Am 4. Januar 2001 starb mein Bruder mit nicht einmal 44 Jahren. Er musste sich auf diese Weise doch von seinem Imperium verabschieden, das ihm vor allem vor meinem Vater das Gefühl eines tüchtigen Geschäftsmannes verlieh. Er war lieber tot, als vor meinen Eltern als erfolgloser Unternehmer mit einer konkursreifen Firma dazustehen. Mein Bruder hinterließ eine Frau, zwei minderjährige Kinder, riesige Firmenschulden sowie gigantischen Schmerz und ein emotionelles Chaos ohne Ende.

      Meine Eltern, seine Frau und seine Kinder waren wie gelähmt. Der Tod meines Bruders verursachte in meiner Familie einen riesigen Krater, wie nach einem heftigen Bombenanschlag. Die Landschaft meiner Familie wurde bis zur Unkenntlichkeit und für immer verändert. Die Familie zerfiel, denn mein Bruder hatte immer als Vermittler zwischen meinen Eltern, seiner Frau und seinen Kindern fungiert. Nach seinem Tod gab es kein Band mehr, das die Familie zusammengehalten hätte. Ich versuchte, meinen Schock durch überhöhte Geschäftigkeit zu überwinden, die allerdings

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