Alles anders, aber viel besser. Dagmar Glüxam

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Alles anders, aber viel besser - Dagmar Glüxam

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– unseren 1.000 m2 großen Garten mit der Sense zu mähen. Aus Liebe zu Wiesenblumen, Schmetterlingen und Käfern ließen wir das Gras hoch wachsen und hatten zwar eine herrliche Blumenwiese, dafür aber viel Arbeit, als es irgendwann doch notwendig wurde, das hohe Gras zu mähen. Das war sehr anstrengend, vor allem für jemanden, der den ganzen Tag in der Bibliothek saß, körperliche Arbeit nicht gewohnt war und darüber hinaus gerade einen Infekt ausbrütete. Am nächsten Tag verspürte ich Schmerzen hinter dem Brustbein, die ich noch beharrlich ignorierte. Meine damals zehnjährige Tochter kam von der Schule nach Hause; ich bereitete ihr ihre Lieblingsspeise zu, einen Grießkoch mit Zimt und Honig, und wir begannen zu essen. Plötzlich wurde mir schwarz vor den Augen, ich spürte erneut den Schmerz hinter dem Brustbein und klappte buchstäblich zusammen. Im letzten Moment klaren Denkens fiel mir ein, dass wir uns in F. befanden, wo zwar viel wunderschöne Natur, dafür aber weit und breit keine medizinische Notstelle war und hauchte deshalb meiner Tochter zu, sie solle die Rettung rufen. »Bitte kommen Sie, meiner Mama geht es schlecht«, höre ich sie noch sagen. Die Rettung landete in F. in Form eines Hubschraubers, am frühen Freitagnachmittag, und zwar gleich neben dem Gemeindeamt. Die Inszenierung konnte nicht besser, die Aufregung nicht größer sein. Der ganze Ort wusste sofort, was los war, eine professionelle Nachrichtenagentur hätte nicht besser funktionieren können. In Windeseile verbreitete sich im Dorf die Nachricht, dass ich wahrscheinlich schon tot sei. Mitten drin meine Tochter, die seitdem nie wieder Grießkoch essen wollte.

      Nach einer Infusion vor Ort ging es mir etwas besser, so gelang es mir, mich sozusagen vor der Rettung zu retten. Die anwesende Ärztin wollte mich nämlich in eine aufblasbare Trage stecken und ins Krankenhaus nach Wiener Neustadt mit dem Hubschrauber transportieren, für mich der blanke Horror. Als ich spürte, wie das aufblasbare Bett vor allem meinen Hals einschnürte, überfiel mich ein – seit Jahren immer wieder präsenter – Anfall von Klaustrophobie, und ich sah in Panik das Ende nahen. Gott sei Dank erschien gerade noch rechtzeitig mein Mann, der, von unserer Tochter alarmiert, aus Wien angerast war und dabei in sämtliche Radarfallen gefahren war. Ich kratzte die letzten Reste meiner Kraft zusammen und erklärte, auf keinen Fall irgendwohin mit dem Hubschrauber geflogen werden zu wollen. Wir machten aus, dass mich die Sanitäter im Auto ins Krankenhaus nach Baden bringen sollten, das näher lag und zu dem mein Mann bessere Kontakte hatte.

      Und wieder dasselbe: Untersuchungen, aber weder greifbare Ergebnisse noch eine Erklärung für meine Zustände. Einen Herzinfarkt konnten die Ärzte definitiv ausschließen, deshalb unterschrieb ich schnell einen Revers und fand mich nach einer fünfstündigen Odyssee in meinem Bett in F. wieder, wo ich die nächsten vier Tage beinahe unbeweglich liegen blieb. Ich war zu müde zu sprechen, zu lesen oder mich auch nur umzudrehen.

      Aber auch Unfälle blieben mir nicht erspart. Abgesehen davon, dass mir vor lauter Hektik dauernd Dinge aus den Händen fielen und ich mich ständig irgendwo verletzte, kam es in F. auf eisglatter Straße zum Zusammenstoß meines Autos mit dem Auto einer Dorfbewohnerin. Gott sei Dank auf beiden Seiten nur ein Blechschaden, die Beule an meinem Kopf rechne ich nicht mit. Eine kleine Mahnung sozusagen. Ich verstand sie aber nicht, ebenso wenig wie ich in einem Seminar über Selbstfindung (ich besuchte diese Veranstaltung, weil ich doch irgendwie geahnt habe, dass mein Leben nicht so verlief, wie ich es gern hätte) es verstand, als mir die Seminarleiterin direkt in die Augen schaute und sagte: »Dagmar, bitte, bevor Du mit neuen Ideen und Projekten anfängst, musst du dich zuerst sammeln!« Was meinte sie denn damit? Es war mir damals zu dumm, zu fragen: Ich wollte nicht zeigen, dass es irgendetwas auf der Welt gab, das ich nicht verstehen konnte. Stattdessen nickte ich nur bedeutungsvoll und startete am darauf folgenden Montag eine neue berufliche Offensive.

      Die letzte Mahnung dieser Art bekam ich durch einen Unfall mit meinem Hund Arthur, einem überaus dynamischen Labrador in der Hundepubertät, mit dem ich am späteren Abend »noch ein bisschen« joggen wollte. Meine Tochter war dabei. Wie gesagt, ich war überzeugt, dass meine entsetzliche Dauermüdigkeit auf meiner angeborenen Faulheit basierte, die ich nur mit Aktivitäten aller Art bekämpfen könnte. Arthur freute sich über den unerwarteten Lauf so sehr, dass er mit seinen vierzig Kilogramm und einer Extraportion jugendlichen Übermuts einen riesigen Satz nach vorne machte. Leider hielt ich seine Leine fest in der Hand, so musste ich, ob ich wollte oder nicht, völlig unvorbereitet den Sprung nach vorn zusammen mit ihm durchführen. Der Flug ins Unbekannte endete für mich äußerst unsanft. Ich landete mit meinem Gesicht auf der harten Asphaltstraße; bremsen konnte ich nur mit meinem Kinn.

      Von heftigen Schmerzen übermannt, blieb ich regungslos liegen. Nach einigen Schrecksekunden fing meine arme Tochter an, in Panik nach mir zu rufen. Auch diesmal war sie es, die alles ausbaden durfte. Ich weiß nicht mehr, wie ich die hundert Meter nach Hause schaffte. Der Weg fühlte sich an wie eine Überquerung des Himalaya. Ich zitterte am ganzen Körper, das Blut floss von meinem Kinn, der Kopf fühlte sich an, als ob ich mit einem Mähdrescher traktiert worden wäre. Mein Kreislauf drohte definitiv zu versagen. Endlich im Bett, verbat ich meiner Tochter ausdrücklich, den Papa anzurufen, der in Wien gerade einen Nachtdienst absolvierte. (Es gehört zu den ungeschriebenen Gesetzen, dass der Arzt in der Familie nie anwesend ist, wenn man ihn braucht.) Ich wollte meinen Mann nicht unnötig beunruhigen und dachte, auch ohne ihn zurechtzukommen. Meine Tochter achtete jedoch nicht darauf und tat, was notwendig war. Als mein Mann – wieder einmal – mitten in der Nacht von Wien nach F. eilte, war ich ihr unendlich dankbar dafür, dass sie so klug und selbstständig das einzig Richtige getan hatte.

      Am nächsten Tag also wieder einmal das Badener Krankenhaus, Röntgen, schmerzhafte Reinigung und Zusammenkleben der Wunde (fürs Nähen war es bereits zu spät) und eine Halskrause. Summa summarum brachte mir der Unfall zwei Wochen Krankenstand, in denen ich aufgrund der Kieferverletzung kaum feste Nahrung zu mir nehmen konnte, außerdem eine tiefe Schnittwunde am Kinn, eine leichte Gehirnerschütterung und heftiges Kopfschütteln über die Ursachen von so vielen Missgeschicken. Heute verstehe ich es. Heute lebe ich unfallfrei.

      Sie werden sich jetzt wahrscheinlich denken, dass ich nicht ganz bei Sinnen war und Sie haben recht. Das wahre Problem ist nur, dass die meisten Menschen in vergleichbarer Situation längst jedes Gefühl für sich selbst und ihren Körper verloren haben. Wenn ich noch Gespür für mich gehabt hätte, wäre ich niemals in eine solche Lebenslage gekommen. Sprechen Sie mit einem Workaholic nach einem gerade überstandenen Zusammenbruch. Er wird mit allen Mitteln versuchen, Sie zu überzeugen, dass es ihm bestens gehe und alle anderen maßlos übertreiben – obwohl genau hier die Chance zur Genesung liegt: gegen ALLE UMSTÄNDE Stopp zu sagen und sich am besten sofort in eine Therapie zu begeben. Leider schaffen es nur die wenigsten, ins Rad des Schicksals rechtzeitig einzugreifen. Meist muss es erst zu einer lebensbedrohlichen Krankheit oder einem schweren Unfall kommen, die entweder das Leben des Betroffenen auf eine mehr oder minder gewaltsame Weise beenden oder – wenn man Glück hat und überlebt – eine radikale Lebensveränderung erzwingen.

      Musikforschung brutal

      Auch ich spürte irgendwann, dass ich mein Leben nicht mehr allein bewältigen konnte. Meine Seele schrie nach Hilfe. Ich fühlte, dass mir mein Kummer längst über den Kopf hinausgewachsen war. Zu den gesundheitlichen und familiären Problemen – vor allem mit meinen Eltern, deren Ansichten bezüglich der zwei Waisenkinder meines Bruders sich komplett von meinen unterschieden – kamen auch berufliche Schwierigkeiten dazu. Ich interessierte mich sehr für die Geschichte der Musik, insbesondere für die Musik der Barockzeit, war aber gleichzeitig sehr verunsichert in Hinsicht darauf, ob ich mir mein Interesse überhaupt gestatten durfte. »Mach doch was Gescheites!«, war der Tenor in meinem Hinterkopf, der mich in regelmäßigen Abständen mahnte.

      Ich träumte von einer sicheren Stelle in der Forschung oder besser gesagt von einer konkreten Stelle in einer bestimmten Institution, die noch dazu noch gar nicht ausgeschrieben, also noch nicht vakant war. Also entschied ich mich zu warten, arbeitete wie eine Besessene und ruinierte sukzessive meine Gesundheit mit unzähligen, in Summe betrachtet und auf die tatsächlichen Arbeitsstunden umgerechnet aber miserabel bezahlten Aufträgen. Nach mehrjähriger Wartezeit kam endlich der lang ersehnte

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