Tödlicher Spätsommer. Ursula Dettlaff
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Ihr blieb doch keine Wahl.
Sie spürte eine unvorstellbare Leere.
Sah vor sich nichts als ein tiefes Loch.
Ein Leben ohne Jutta war sinnlos. Die täglichen gemeinsamen Mahlzeiten waren ebenso eine Selbstverständlichkeit wie die Fernsehabende.
Sie wohnen in dem Haus, in dem sie geboren wurden.
Sollte sie jetzt ,wohnten‘ sagen?
Als Teenager hatte der Vater „seinen Mädchen“ die Dachgeschosswohnung ausgebaut. Nach dem Tod der Eltern war Helene in deren Wohnung gezogen. Jutta wandelte sich das Dachgeschoss vom Kinderzimmer in ein gemütliches Single-Appartement.
Jetzt gab es nur noch Helene. Sie fühlte sich unglaublich allein.
„Ist Ihnen nicht gut? Kann ich Ihnen helfen?“ Die Fragen eines Passanten holten Helene in die Gegenwart. „Nein, nein, danke, alles in Ordnung“, antwortete sie hastig und merkte, wie ihr Gesicht rot anlief.
Helene wartete einen Moment, bis der Mann nicht mehr zu sehen war. Ihr Gang, ihre Haltung, die Mimik, überall zeigte sich ihre Unsicherheit.
Veränderungen
Sie blickte auf den wolkenlosen Himmel und der strahlend helle Sommertag tat ihr gut.
Vom Kantpark waren fröhliche Kinderstimmen zu hören. Einen Moment lang wollte sie sich hier auf eine Bank vor der alten Lokomotive setzen und den Kindern einfach nur zusehen, wie sie darauf herumkletterten. Ein bunter Mix Sonnenhungriger bewegte sich an ihr vorbei. Radfahrer, die lieber ein paar Meter durch den Park, statt entlang der dicht befahrenen Straße fuhren.
Eine junge Frau mit einem schätzungsweise zweijährigen Kleinkind im Kinderwagen lief stadtauswärts. Wahrscheinlich befand sie sich mit ihrem Einkauf schon auf dem Heimweg. Ein Salatkopf und Pfirsiche im Einkaufsnetz deuteten jedenfalls darauf hin. Das Kind schleckte versonnen an einer Kugel Vanilleeis.
Einen kurzen Moment lang sog Helene diese Unbeschwertheit in sich auf.
„Pass auf, dass du nicht runterfällst“, rief eine Frau einem angehenden Lokführer zu. Der befand sich auf der zweiten Stufe vor dem Fahrerstand.
Helene konnte sich ruhig noch ein wenig Zeit lassen, denn Petra nahm es mit der Pünktlichkeit nie so genau.
„Grüß dich. Du, ich bin schon völlig geschafft“, seufzte sie dann auch prompt als sie sich an der Straßenbahnhaltestelle begrüßten.
„Der Kindergarten fährt heute in den Dortmunder Zoo“, fügte sie hinzu. Als gäbe es hier keinen, aber egal. Die Erzieherinnen brauchten natürlich die Unterstützung einiger Mütter. „Nur weil ich bei Annas älteren Geschwistern auch immer mitgefahren bin, heißt das noch lange nicht, dass ich es jetzt wieder so mache“, erzählte Petra.
Immerhin habe sie gerade Anna und ihre beiden engsten Freundinnen zum Bahnhof gebracht. „Die Erzieherinnen sind der Ansicht, die Kinder sollten unbedingt mal mit dem Zug fahren“, erklärte sie weiter.
„Kommende Woche betreue ich in der Grundschule das Radfahrprojekt. Da gibt`s noch jede Menge vorzubereiten und auszuprobieren“, verteidigte sie sich.
Helene bewunderte ihre Freundin für die Energie mit der sie sich für die Familie einsetzte. Kaum anzunehmen, dass die lange Einkaufsliste, die Petra gerade aus ihrer Tasche zog, besonders viele Dinge für sie selbst enthielt.
„Gehen wir zuerst ins Stoffgeschäft“, sagte Petra, als könne sie Gedanken lesen. Dort angekommen steuerte sie zielstrebig auf einen Stoffballen mit hellen, freundlichen Naturtönen zu. Auf Petras Bitten hin wickelte eine Verkäuferin etwas Stoff ab. Auf diese Weise bekam die Kundin einen besseren Eindruck vom Gesamtmuster. Schließlich rieb sie ein wenig Stoff zwischen beiden Händen. Der Beginn eines umfassenden Prüfverfahrens.
Beim letzten Elternabend sei beschlossen worden, das triste Grau des Klassenzimmers mit bunten Vorhängen abzumildern, erzählte Petra, als sie auf dem Weg zu ihrem Lieblingscafé waren.
Im Umgang mit der Nähmaschine legte die Freundin ein beachtliches Geschick an den Tag. Sie spielte gar mit dem Gedanken, sich mit einer kleinen Änderungsschneiderei selbstständig zu machen. Kein Wunder also, dass die Eltern sie baten, sich um die neuen Vorhänge zu kümmern.
Der Kauf war schnell erledigt. Petra hatte den Stoff ausgesprochen großzügig berechnet. Jedenfalls kam es Helene so vor, gemessen am Gewicht der Tasche an ihrem Arm. Petra plagten die üblichen Schulterschmerzen, deshalb gab sie Helene die Tasche.
Im Café waren um diese Zeit nur wenige Gäste. Geht man fünfzehn Jahre lang in ein und dasselbe Café, überlegt man nicht mehr, welcher Platz es diesmal sein soll, weil man längst die Position gefunden hat, von der aus es sich gemütlich plaudern lässt, ohne dass man so laut werden muss, dass das Gespräch vom Nebentisch aus mitgehört werden kann.
Die Einrichtung blieb über die Jahrzehnte unverändert. So mussten sich die Freundinnen nie an Neuerungen gewöhnen.
Helene nahm auf der Couch mit dem altrosa Samtbezug Platz. Von hier aus konnte sie einen Blick auf die umfangreiche Kaffeemühlensammlung an den Wänden werfen. Es folgte Petras obligatorischer Blick in die Speisekarte und Helenes erneuter Versuch, die Anzahl der Mühlen wenigstens einer Wand zu zählen.
Obschon sich alle ähnelten, schien nicht ein Exemplar doppelt. Die länglichen mit Porzellankörper waren zur Wandmontage vorgesehen.
Gern gekauft wurde offenbar das Modell „Delfter Kachelmuster“, oder „Gediegene Rosen.“ Helene stellte sich vor, wie viel Zeit die Hausfrau Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Drehen der Kurbel verbrachte. Das ging bestimmt ziemlich in die Arme.
Diese Methode, Kaffee zu mahlen schien ihr jedoch immer noch praktischer, als die Benutzung der Standmaschine.
Dabei hatte es bei ihrer Großmutter so simpel ausgesehen. Mit einem Kaffeelot maß sie die erforderliche Menge Bohnen ab, die sie auf das Mahlwerk gab. Blitzschnell ließ die alte Frau anschließend die Kurbel kreisen. Die gerösteten Bohnen machten ihr die Arbeit schwer.
Gleichzeitig entfaltete sich ein herrlicher Duft. Durch Klopfen gegen die Seitenwand der Mühle fielen die letzten Kaffeemehlkrümel in die Schublade des Küchengerätes.
Im Kessel auf dem Gasherd wurde das Wasser erhitzt. Sobald ein wenig Dampf entwich, war das Wasser warm genug, um etwas davon zu entnehmen, um die Kanne auszuspülen. Dann wurde der mit einer sorgfältig gefalteten Papiertüte ausgekleidete Porzellanfilter aufgesetzt und der Inhalt aus der Schublade hineingegeben.
Das Signal des Flötenkessels meldete, dass das Wasser jetzt die richtige Temperatur hatte. Langsam goss die Großmutter das heiße Wasser in den Filter. Etwa zwei Zentimeter unterhalb des Randes setzte sich das feuchte Kaffeemehl ab. Der fertige Kaffee sickerte langsam in die Kanne. Erst als der Filter kein Wasser mehr enthielt, füllte die Großmutter ihn ein weiteres Mal nach. Diesmal aber nur bis zur Hälfte.
Solange die Kaffeekanne nicht voll war, verließ die Großmutter die Küche nicht, sondern sie schenkte der Zeremonie ihre ganze Aufmerksamkeit. Kaffee musste frisch zubereitet und heiß auf den Tisch. Undenkbar, ihn