Tödlicher Spätsommer. Ursula Dettlaff
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„Gucken Sie doch mal, das arme Tier hat Hunger“, meinte ein alter Mann, drehte seine Gehhilfe um und setzte sich bequem hin, um in aller Ruhe den weiteren Fortlauf der Ereignisse beobachten zu können.
Langsam dämmerte es Helene, dass sie sich ihres unerwünschten Begleiters nur durch einen eigenen Anruf beim Ordnungsamt entledigen konnte.
Als die Beamten wenig später eintrafen, war die Zuschauergruppe auf ein gutes Dutzend angestiegen.
„Nein, so ein niedliches Tierchen. Schauen Sie doch bloß in diese treuen Augen“, schwärmte eine Frau.
Helene fand zwar die Bezeichnung „niedliches Tierchen“ unpassend, dem traurigen Blick der großen Kulleraugen konnte sie sich jedoch ebenfalls nicht entziehen.
Beim Anblick der Polizisten sträubte sich das Fell des Hundes und er begann bedrohlich zu knurren.
„Sehen Sie doch, wie stark er auf Sie fixiert ist.“ Für die Beamten war der Fall klar. „Da kommt ein saftiger Bußgeldbescheid auf Sie zu, soviel ist schon mal sicher“, meinten sie und warfen einen Blick auf Helenes Kennzeichen. „Die Fahrzeugpapiere bitte!“
Helene zog die gewünschten Papiere aus ihrer Handtasche und reichte sie weiter. „Hören Sie, das wird mir hier langsam zu dumm. Ich habe auch noch etwas anderes zu tun, als mir Ihre falschen Behauptungen anzuhören“, wetterte Helene. „Ist denn so´n Tier nicht irgendwie gekennzeichnet?“
Einer der Beamten holte einen Scanner aus dem Dienstfahrzeug und wollte damit das Tier abtasten. Näher als einen Meter kam er allerdings nicht heran. Der Hund knurrte erneut.
„Machen Sie“, forderte der Jüngere Helene auf und drückte ihr das Gerät in die Hand.
Während sie unbeholfen damit herumhantierte, legte der Vierbeiner sanft seinen Kopf in Helenes Hand, sah sie an und ließ die kurze Prozedur klaglos über sich ergehen. Eine Kennzeichnung trug er ebenso wenig wie ein Halsband.
Einige Parkplätze weiter stieg eine junge Frau aus einem Kombi. „Tierschutzverein Duisburg“ stand in großen Lettern auf den Fahrzeugtüren.
„Gut, dass Sie da sind.“ Helene war erleichtert. „Ich kenne diesen Hund nicht. Und nur weil er mir schon eine ganze Weile folgt, meint alle Welt, er gehöre mir“, fügte sie hinzu.
Die Tierschützerin ging in die Hocke und schlang beide Arme um den Hund.
„Na, du bist aber ein Feiner“, sagte sie mit sanfter Stimme. Zottelhund bewegte den Kopf heftig erst nach rechts, dann nach links, bis er sich aus der Umarmung gelöst hatte.
Die vielen Menschen ringsum schienen ihn zu beunruhigen, denn er machte den Versuch, sich unter Helenes Wagen zu verstecken, was angesichts seiner Körperfülle nicht gelang. Lediglich Kopf und Nacken des Tieres verschwanden unter dem Auto. Ein erschreckendes Bild, zeigte es doch, in welcher Not sich der Hund offenbar befand.
„Es ist Urlaubszeit und unsere Hundeboxen sind alle mehr als belegt. Dasselbe gilt für unsere Pflegestellen“, sagte die Tierschützerin, die sich erst jetzt vorstellte. „Heike Brassert“, sagte sie und streckte Helene ihre Hand entgegen.
„Helene Schneider“.
Die Männer vom Ordnungsamt verabschiedeten sich schließlich und auch einige Gaffer wandten sich gelangweilt ab.
„Ja, komm du doch mal her, guck mal, was ich hier Gutes habe“, versuchte Heike Brassert den Vierbeiner aus der Reserve zu locken. Erfolg hatte sie allerdings damit nicht.
„Ein so ängstlicher Hund hat so gut wie keine Aussicht auf Vermittlung. Wer will sich schon um einen Problemfall kümmern müssen“, vermutete sie und schaute Helene hilfesuchend an. „Versuchen Sie es doch einmal, bitte“, schlug Brassert vor und reichte Helene einen stinkenden Minikeks. Sofort kam das Tier unter dem Auto hervor.
Helene hatte sogar einen Moment lang das Gefühl, der vordere Wagenteil sei ins Wanken geraten. Als der Hund sich kurz darauf gehörig schüttelte, wirbelten kleine Staubflusen durch die Luft.
Helene traute sich kaum vorzustellen, wie ihre Hand stinken würde. Unbedacht hielt sie dem Hund den Keks so entgegen, wie sie ihn angenommen hatte: zwischen Daumen und Zeigefinger. Vorsichtig streckte das Tier den Kopf nach vorn, öffnete die Lippen und nahm den Leckerbissen.
„Sie hätten das Leckerchen in die flache Hand legen müssen“, sagte Brassert. Erwartungsvoll saß der Hund vor Helene.
„Nehmen Sie doch bitte einmal seine Lefzen hoch, ich möchte mir sein Gebiss ansehen“, bat die Tierschützerin. „Was Sie von mir verlangen, ist eine Zumutung“, entgegnete Helene, kam jedoch der Bitte nach. Wenn jemandem die Berührung unangenehm war, dann nicht dem Hund.
„Alles tadellos, der ist noch kein Jahr alt“, schätzte Brassert. „Wenn ich mich nicht täusche, handelt es sich um einen reinrassigen Bearded Collie. Aber genau kann das nur der Tierarzt sagen“, schränkte sie ein.
„Na dann viel Spaß noch“, verabschiedete sich Helene, schob den zotteligen Vierbeiner zur Seite, setzte sich hinter das Lenkrad ihres Wagens, schaltete die Zündung ein und steuerte das Auto aus der Parklücke, an einigen Fahrzeugen vorbei auf die Straße .
Beim Blick in den Rückspiegel schien es ihr, als stünde ihr kurzzeitiger Begleiter wie erstarrt.
Zuhause angekommen brühte sie sich einen Tee auf und schrubbte nach kurzer Pause Bad, Flur, Wohnzimmer und Küche.
Plötzlich musste sie an den traurigen Hundeblick denken. Was mochte das Tier erlebt haben?
Im Wohnzimmer neben der Tür wäre Platz für den Hundekorb, kam ihr in den Sinn. Nein, Quatsch, idiotische Vorstellung.
Dicke Regentropfen trommelten von außen gegen die Fensterscheibe. Wie gut, dass sie im Trocknen saß.
Helene hatte bewusst den Donnerstag als ihren freien Tag ausgewählt. Motiviert und mit Schwung bewältigte sie so die beiden stressigsten Arbeitstage der Woche. Freitags hatten es die Kunden oft besonders eilig. Samstags kamen meist Paare, die viel Beratungsbedarf hatten, sich nach dem Gespräch noch miteinander über das jeweilige Buch unterhielten, um am Ende zu der Überzeugung zu gelangen, man könne sich den Band ebenso gut in der Bücherei ausleihen.
Merkwürdig, dass Helene trotz der vielen Arbeit immer wieder an den dicken Zottel denken musste.
Schon allein, um ihr Gewissen zu beruhigen, wollte sie am Sonntagnachmittag im Tierheim vorbeischauen.
Ihre Pause nutzte sie zum Einkauf in einer Zoohandlung. Sie entschied sich für Spielzeug und Knabbereien. Vorsichtshalber behielt sie den Kassenbon. Der Hund hatte sicher neue Besitzer gefunden, redete sie sich ein. Deshalb konnte sie bei schlechtem Wetter auch getrost in der Wohnung bleiben.
Am Sonntag schließlich ertappte sie sich beinahe dabei, die nötigen Aufräumarbeiten eilig zu erledigen.
Im Tierheim wurde sie mit freudigem Gebell begrüßt. Etliche Vierbeiner rieben ihre Nasen an den Gitterstäben, um nur ja von Helene beachtet zu werden. An verschiedenen Stellen des Grundstücks unterhielten sich Mitarbeiter des Tierheims mit Besuchern, die ihrerseits gerade irgendeinen Hund streichelten.
Helene