Wohltöter. Hansjörg Anderegg
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Читать онлайн книгу Wohltöter - Hansjörg Anderegg страница 5
Sie stutzte plötzlich und fragte Sellick: »Legen hier Boote an?«
»Boote? Meines Wissens können hier gar keine Boote anlegen.«
»Und doch war kürzlich eines da, sehen Sie?« Sie zeigte auf eine keilförmige Vertiefung im Sand. »Die Kanten sind zu regelmäßig und deutlich ausgeprägt. Sie sind nicht zufällig entstanden. Ich meine, dort lag ein kleines Boot.«
Ron kniff die Augen zusammen, starrte eine Weile auf die Stelle, dann gab er kleinlaut zu: »Sie könnten recht haben, Sergeant.«
»Chris«, schmunzelte sie.
»Das bedeutet, dass wir Küste und Häfen nach ungewöhnlichen Bootsbewegungen absuchen müssen«, murmelte Sellick nachdenklich. »Ein hoffnungsloses Unterfangen, wenn Sie mich fragen.«
Sie nickte. »Trotzdem notwendig, fürchte ich.«
»Und nicht nur die Küste Kents«, ergänzte Ron. »Ihre Kollegen gegenüber in Essex sind genauso betroffen.«
»Ist mir klar. Ich kümmere mich darum. Ich werde mich auf Sie berufen, falls es Schwierigkeiten gibt.«
Damit hatten die Detectives kein Problem. Als sie wieder in Rons Wagen saßen, zögerte er, den Motor zu starten.
»Ich verstehe ja, dass ein Täter seine Leiche verschwinden lassen will«, meinte er kopfschüttelnd. »Aber dass Opfer ausbüchsen und wieder eingesammelt werden, ist mir neu.«
»Ungewöhnlich«, gab sie zu.
Sie äußerte ihren Verdacht nicht laut. Spekulationen brachten sie nicht weiter. Ob es ihr passte oder nicht, sie konnten im Augenblick nichts mehr tun. Wohl ganz im Sinne des DCI.
»Ziemlich enttäuschend, mein erster Einsatz«, sagte sie mehr zu sich selbst als zu ihrem Kollegen.
Ron zog ein schiefes Gesicht. »Daran können Sie sich gar nicht schnell genug gewöhnen, Sergeant – Chris. Der DCI hat zwar eine phänomenale Aufklärungsquote, aber es gibt immer wieder Fälle wie diesen, wo wir in sehr dünner Luft ermitteln müssen. Vor allem im Küstenbereich wird es extrem schwierig. Wissen Sie, wie lang die Küstenlinie Großbritanniens ist?«
»Keine Ahnung.«
Er startete den Motor und fuhr los. »Etwa so lang wie der Durchmesser des Planeten, knapp 8‘000 Meilen.«
Sie schmunzelte. »Zum Glück sind die Küsten von Kent und Essex etwas kürzer.«
»Schon, bloß glaube ich nicht, dass uns das viel nützt. Ein kleines Boot ist schnell verschwunden, eine Leiche auch.«
»Sie haben also die Meinung geändert?«, fragte sie spöttisch.
Er blieb die Antwort schuldig, schweifte vom Thema ab. »Wenn Sie wollen, fahre ich Sie nach Hause. Wo wohnen Sie?«
»Hätten Sie wohl gern. Obwohl, wenn ich es mir überlege, könnte ich durchaus zwei handwerklich begabte Hände brauchen.«
Er grinste. »Meine Hände sind erprobte Universalwerkzeuge.«
»Was würde denn Ihre Freundin dazu sagen?«
Er kam nicht dazu, die heikle Frage zu beantworten. Im Lautsprecher des Funkgeräts knackte es, dann meldete sich die Einsatzleitung:
»Zentrale an Delta Bravo 42, bitte melden. Zentrale an …«
Die Nummer ihres Wagens. Sie nahm das Mikrofon. »Delta Bravo 42 an Zentrale. DS Hegel am Apparat, was gibt’s?«
»Ein Toter am Hampton Pier, westlich Herne Bay. Die Kent Police ist schon vor Ort.«
»Da sind wir gerade vorbeigefahren«, rief Ron und begann sofort zu wenden.
Diesmal durfte nichts schiefgehen. Vor ihrem geistigen Auge sah sie, wie das Volk die Spuren zerstörte. Sie sprach hastig ins Mikrofon: »Wir sind ganz in der Nähe, schon unterwegs. Sorgen Sie dafür, dass niemand die Fundstelle betritt. Die lokale Polizei soll nur den Fundort sichern, verstanden? Bieten Sie sofort ein Team der Spurensicherung auf. Und den Pathologen. Die sollen sich, verdammt noch mal, beeilen.«
Ron grinste übers ganze Gesicht, als sie das Mikrofon in den Halter steckte. »Alle Achtung, Sie reden schon wie der DCI«, meinte er.
Sie hörte nicht hin, hatte schon das Telefon am Ohr, wartete ungeduldig auf die Stimme ihres neuen Chefs.
»DCI Rutherford.«
»Sir, DS Hegel hier. Detective Cornwallis und ich sind unterwegs zum Hampton Pier. Man hat dort einen zweiten Toten gefunden, oder vielleicht den gleichen. Wir sind eben von der Zentrale informiert worden. Die Kent Police ist vor Ort.«
Sie hörte ihn etwas Unverständliches brummen, dann antwortete er ruhig: »Sorgen Sie dafür, dass der nicht auch wieder davonschwimmt.«
»Selbstverständlich, Sir. Spurensicherung und Pathologe sind aufgeboten.«
»Davon gehe ich aus«, meinte er trocken. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Damit war das Gespräch beendet.
Wieder grinste Ron. »Der Pathologe wird wahrscheinlich eine Pathologin sein.«
»Wenn schon. Was ist daran so lustig?«
»Sie werden schon sehen. Aber sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt, Sergeant – sorry, Chris.«
Ihr Bekannter, Constable Sellick, unterhielt sich am Pier mit einem grauhaarigen Mann. Die zwei Rhomben auf seiner Uniform deuteten darauf hin, dass es sich um seinen vorgesetzten Inspector handelte. Wie sie sofort bemerkte, als sie sich näherten, hatte es Sellick mit zwei Kollegen diesmal geschafft, die Stelle sofort abzusperren, wo der Tote angespült worden war. Nicht einfach an diesem Ort, unmittelbar neben dem Parkplatz an der Esplanade.
»Könnte ein langer Tag werden«, meinte Sellick, als sie sich begrüßten. »Darf ich vorstellen: Inspector Fry vom Siebten in Canterbury.«
Sie gaben sich die Hand.
»Dachte auch nicht, dass wir uns so schnell wieder begegnen«, lachte Chris. »Wie ich sehe, hat man Sie diesmal früh genug alarmiert.«
Inspector Fry schaltete sich ein: »Wenigstens suchen wir kein Phantom mehr. Was ist mit der Spurensicherung?«
»Technik und Pathologie sind unterwegs. Sie werden allerdings nicht vor halb zehn hier sein«, antwortete Ron.
Der Inspector runzelte die Stirn. »Wie ich befürchtet habe«, knurrte er. »Na ja, der Tote wird sich nicht wieder aus dem Staub machen. Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Stelle.«
Sie hatten kaum zwei Schritte gemacht, als sie laute Rufe von der Absperrung her stoppten.
»Inspector, handelt es sich um den Toten von den Towers?«
»Hat