Der zweite Killer. Hansjörg Anderegg
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Die Tür schwang auf.
»Da sind sie ja. Ich habe Sie heute nicht mehr erwartet.«
Die Frau, die ihr gegenüberstand, mochte zehn oder fünfzehn Jahre älter sein, hatte sich aber gut gehalten. Glattes Gesicht, ein wenig straff vielleicht, kurzes, braunes Haar, dunkelgrauer Zweiteiler mit Nadelstreifen, sonst war nichts auszusetzen an der Erscheinung, die so gar nicht zur eiskalten Stimme passen wollte. Chris kompensierte ihr ernstes Gesicht mit einem freundlichen Lächeln.
»Staatsanwältin Winter, nehme ich an. Chris Roberts, freut mich.«
Klara Winter trug keinen Ehering mehr. Der Abdruck war aber deutlich zu sehen. Solche Sachen fielen ihr jetzt auf. Daher rührte vielleicht die Unterkühlung. Es bestand also Hoffnung auf Besserung. Die Zeit heilt Wunden, sagt man. Die Staatsanwältin hielt sich nicht mit Begrüßungsfloskeln auf. Sie fragte nur:
»Wo stehen wir?«
»Die Akten sind unterwegs hierher. Die Beweisstücke werden zur KTU nach Wiesbaden geschickt. Ich rechne spätestens Dienstag mit Ergebnissen.«
»Hat das LKA nicht schon alles untersucht?«
Chris schüttelte den Kopf. »Die haben alle Arbeiten eingestellt, als sie hörten, dass wir den Fall übernehmen.«
»Kann ich verstehen«, murmelte die Staatsanwältin, »heikel, sehr heikel.«
»Immerhin wissen wir, dass Eddie Jones den Dienst bei der US-Navy vor zehn Jahren quittiert und seither in Deutschland gelebt hat«, sagte Chris. »Es gibt keine lebenden Verwandten mehr. Seine letzte Adresse ist ein Wohnblock in Marzahn. Wir werden die Nachbarn am Montagmorgen befragen.«
»Wir?«
»Referendar Seidel und ich. Kommissar Mertens überlässt ihn uns für die Dauer der Ermittlungen. Er kann ihn nicht leiden.«
»Sind ja gute Voraussetzungen. Ein Student?«
»Referendar mit ausgezeichneten Zensuren. Ich glaube, wir können ihn gut gebrauchen bei unserer Personalknappheit.«
Die Staatsanwältin schüttelte den Kopf in gespielter Verzweiflung. »Können Sie sich vorstellen, welcher Papierkram da auf Sie wartet?«
»Kein Formular, das ist der Deal.«
»Aber – ein blutiger Anfänger?«
»Das wird sich schnell ändern.«
Wieder schüttelte Winter den Kopf. Sie starrte ihr eine Weile abwesend auf die Bluse, dann wandte sie sich ab mit der Bemerkung:
»Ich will den jungen Mann sehen, sobald er auftaucht. Haben wir uns verstanden?«
Weg war sie, ohne die Antwort abzuwarten. Das Handy summte: Referendar Seidel.
»Chef, ich habe die Leute aufgespürt, die von der Party, wissen Sie.«
»Ja, ich kann mich erinnern. So lautet Ihr Auftrag.«
Seidel zögerte. »Das – ist das Problem. Namen und Adresse habe ich, aber da ist niemand zu Hause.«
Er überholte sich selbst beim Sprechen, damit sie nicht unterbrach.
»Es fand wohl eine Art Polterabend im alten Asylheim statt. Der Bräutigam ist in den Flitterwochen auf Mallorca. Der Aufenthalt des zweiten Mannes ist unbekannt. Ich habe versucht, das Hotel ausfindig zu machen über das Reisebüro, aber die haben schon geschlossen.«
»Vergessen Sie nicht zu atmen«, unterbrach sie besorgt.
Er nahm die Aufforderung ernst. »Ich atme ganz normal, Chef.«
»Da bin ich ja beruhigt, Seidel, gute Arbeit. Aber jetzt schalten Sie einen Gang runter. Es ist Wochenende und die Zeugen laufen uns schon nicht weg, falls es überhaupt Zeugen sind, was ich im Übrigen stark bezweifle.«
Das stimmte ihn nachdenklich. Es entstand eine kurze Pause, bevor er zaghaft fragte:
»Chef, sind Sie im Büro?«
»Sieht so aus.«
»Gut, ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen mit den Akten.«
Sie sah auf die Uhr: Feierabend, Wochenende. Der junge Mann hatte kein Privatleben. »Ideale Voraussetzung für diesen Job«, murmelte sie beim Auflegen.
Es klopfte.
»Herein«, sagte sie verwundert, als niemand ins Zimmer stürzte.
Die Tür ging auf. Zuerst erschien ein kleiner Kaktus. Ihm folgte ein Mann am Stock mit schütterem, grauem Haar, dessen Bauch vom Mangel an Bewegung zeugte. Er stellte den Topf auf den Schreibtisch und streckte ihr strahlend die Hand entgegen.
»Tach Frau Kommissar. Jens Haase, Faktotum im Innendienst mit steifem Bein und Mädchen für alles in diesem Irrenhaus.«
»Alles klar«, lachte sie und erwiderte den kräftigen Händedruck. »Für mich?«, fragte sie mit einem Blick auf den grünen Zwerg.
Er nickte. »Auf die Schnelle konnte ich nichts anderes finden. Wir haben Sie erst am Montag erwartet.«
»Der ist niedlich, danke.«
Sie betrachtete die Pflanze genauer. Im Moment, als sie den gelben Punkt bemerkte, klarte es draußen auf. Die letzten Strahlen der Abendsonne brachen durch die Regenwolken. Warmes Licht verwandelte das Büro in einen halbwegs erträglichen Arbeitsplatz.
»Er bekommt eine Blüte«, sagte sie lächelnd.
»Unmöglisch, der hat noch nie jeblüht.«
»Da, sehen Sie.«
Es wurde wieder düster im Raum. Die Rollläden, diese Intelligenzbestien, reagierten auf das Sonnenlicht. Ihr Gesicht war eine einzige Anklage. Jens Haase begriff sofort.
»Das haben wir gleich, warten Sie.«
Er humpelte davon. Nach kurzer Zeit kehrte er mit schwarzem Klebeband und Werkzeug zurück.
»Ich kann es leider nicht selbst tun. Das Bein, wissen Sie. Aber ich sage Ihnen, wie‘s geht. Es ist ganz einfach.«
Er versprach nicht zu viel. Mit wenigen Handgriffen gelang es ihr, den Sensor zu verkleben. Die Rollläden fuhren hinauf und blieben oben. Sie fühlte sich schon fast zu Hause am Treptower Park. Ihr neuer Kollege grinste zufrieden. Sie nahm sich vor, Jens Haase trotz Innendienstes nie zu unterschätzen.
»Bin in der Bierstube«, meldete ihr Handy.
»Mist!«