Vernichten. Hansjörg Anderegg

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Vernichten - Hansjörg Anderegg

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mit Anstand zu erledigen. So, dass er morgens in den Spiegel schauen konnte, ohne sich zu ekeln. Er war daher nicht sonderlich beliebt bei vielen Kollegen, die gerne mal die Hand aufhielten, aber auch darüber war er längst hinweg.

      »Mir will nicht in den Kopf, dass niemand die Schüsse gehört hat«, sagte Sofia, die eben zur Tür hereinkam.

      Da ihm keine passende Antwort einfiel, erkundigte er sich nach der Kleinen.

      »Das Betreuungsteam kümmert sich jetzt um sie. Wie es aussieht, hat sie wohl Glück im Unglück gehabt und die Morde verschlafen.«

      »Sagt sie etwas?«

      Sofia schüttelte traurig den Kopf. »Kein Wort. Sie verschließt sich wie eine Auster. Es wird wohl dauern, bis wir sie identifizieren und befragen können.«

      »Wir müssen die Leute im Hotel ausquetschen. Vielleicht kennt sie ja jemand.«

      Sofia warf ihm einen verächtlichen Blick zu.

      »Was glaubst du, tue ich die ganze Zeit? Die Befragung ist längst im Gang, bisher ohne Ergebnis. Wir gehen auch an die Presse.«

      Er nickte nachdenklich und brummte:

      »Wenn es das ist, was ich vermute, werden sich die Verantwortlichen hüten, bei uns anzutanzen.«

      »Wir müssen mit Berlin sprechen. Machst du das?«

      Die Kollegin, die sich um die Überwachungskameras kümmerte, unterbrach sie:

      »Wir haben sie!«

      Sie zeigte eine Szene der Kamera am Haupteingang auf dem Laptop, aufgenommen vor einer guten Stunde. Die Kleine war deutlich zu erkennen in ihrem auffälligen Kleid. Eine ältere Frau, deren Gesicht ein weißes Kopftuch halb verdeckte, führte sie an der Hand.

      »Die Fahndung nach der Frau läuft«, beeilte sich die Kollegin zu versichern. »Sonst ist sie nirgends auf einer Aufzeichnung zu sehen.«

      Gregoris Puls schnellte in die Höhe.

      »Sie ist noch im Haus?«, rief er elektrisiert.

      »Vielleicht – wir brauchen aber mehr Leute für die Durchsuchung.«

      Die Kollegin trug die Bemerkung leise vor, als äußerte sie einen unverschämten Wunsch. Wütend bellte er ins Funkgerät, um Verstärkung anzufordern. Das Hotel musste augenblicklich abgeschottet werden, dass keine Ratte mehr durchkam. Ein frommer Wunsch und wahrscheinlich zu spät. Er wusste es, aber versuchen musste er es trotzdem.

      »Die Frage hat sich wohl erübrigt«, seufzte Sofia und wandte sich ab.

      Er erinnerte sich an keine Frage.

      »Wohin gehst du?«

      »Zurück ins Büro, Berlin anrufen.«

      »Nett von dir.«

      »Haha – Colonel Makarov scheint heute auch seinen witzigen Tag zu haben.«

      Nicht unbedingt, aber ihr Englisch war bedeutend besser als seins. Eine Stunde, nachdem sie gegangen war, brach auch er auf. Das Hotel war nicht allzu groß, die Durchsuchung bald abgeschlossen. Von der Frau mit dem weißen Kopftuch fehlte jede Spur, und es gab keinen Hinweis auf eine ähnliche Person, die das Hotel im fraglichen Zeitraum verlassen hätte. Solang die Kleine schwieg, tappten sie völlig im Dunkeln. So sah es aus.

      Sofia hing am Telefon, als er ins Büro zurückkehrte. Sie sprach Englisch. Berlin war am Draht. Ihr Gesicht verriet, dass sie sich angenehmere Arten vorstellen konnte, sich die Zeit zu vertreiben. Missmutig schaltete sie auf Lautsprecher, damit er mithören konnte.

      »Sie versuchen, einen Zuständigen zu finden«, murmelte sie achselzuckend.

      »Kommt mir bekannt vor«, brummte er.

      »Hauptkommissarin Monika Weber, LKA Berlin«, meldete sich eine tiefe Frauenstimme im Lautsprecher.

      Sofia stellte sie vor und kam sofort zur Sache:

      »Heute Abend sind in einem Hotelzimmer in Sankt Petersburg zwei Tote entdeckt worden, ein Mann und eine Frau. Sie trugen deutsche Pässe auf sich, die sie als Tobias und Martha Meier ausweisen. Beim Einchecken haben sie Berlin als Wohnsitz angegeben.«

      Es blieb totenstill in der Leitung, als gäbe es kein Netz.

      »You still there?«, fragte Sofia irritiert.

      »Ja – natürlich – was ist geschehen?«

      Sofia schilderte den Tathergang, vorerst ohne das Kind zu erwähnen. Wieder entstand eine lange Pause. Diesmal hörte man leise, aufgeregte Stimmen im Hintergrund. Endlich meldete sich die deutsche Kommissarin mit der Bitte, Bilder der Toten und Kopien der Pässe zu übermitteln. Kaum waren die Fotos der Opfer in Berlin, kam auch schon die Bestätigung der Kommissarin Weber:

      »Wir haben das Ehepaar Meier identifiziert und kennen den Wohnsitz.«

      Zum ersten Mal schaltete sich Gregori ein:

      »Sind die beiden aktenkundig?«

      »Nein, keine Akte.«

      »Auch nicht bei der Sitte?«

      »Keine Akte heißt keine Akte«, antwortete die deutsche Kommissarin unwirsch.

      Der Ton störte ihn nicht, wohl aber die Tatsache, dass die Frage ausblieb, weshalb er ausgerechnet die Sitte erwähnte. Zu seiner Überraschung stellte die Deutsche eine andere Frage:

      »War noch jemand beim Ehepaar Meier zur Tatzeit? Gibt es Zeugen?«

      Sofia warf ihm einen vielsagenden Blick zu, bevor sie das Mädchen erwähnte.

      »Mein Gott – ist das Kind verletzt?«

      »Das Mädchen ist wohlauf, steht aber unter Schock«, antwortete Gregori. »Es gibt noch keine Aussage. Wir übermitteln Ihnen unsere Akten mit dem Foto des Mädchens. Sie halten uns bitte auf dem Laufenden über Ihre Ermittlungen in Berlin.«

      Der Rest war Routine. Sankt Petersburg würde die Leichen nach der Obduktion und dem Abschluss der Beweisaufnahme nach Deutschland überstellen. Er und Sofia mussten den Killer oder die Killerin jagen, die Deutschen die Familie informieren und deren Umfeld untersuchen, was vielleicht zu einem brauchbaren Motiv führen würde. Ein grausamer Routinefall wie viele andere, wäre da nicht das kleine, namenlose Mädchen, das eben durch die Hölle gegangen war, die er sich als Erwachsener nicht vorstellen konnte.

      Berlin

      »Oh – mon – Dieu – je vais m’évanouir!«, rief Jeanne entsetzt und machte Anstalten, in Ohnmacht zu fallen.

      »Ein Cognac für Jeanne«, sagte Chris lachend zur Azubiene, die ratlos danebenstand. Jeanne hieß eigentlich Hans, stammte aus der dunkelsten Ecke Neuköllns und lebte für den großen Auftritt als elegante Französin.

      »Was habe ich denn Schlimmes gesagt?«, fragte sie ihre frankophile Hairstylistin.

      »Mein Gott, Frau Doktor

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