666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer

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666 Der Tod des Hexers - Micha Krämer

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      Thomas Kübler lehnt im Schatten des großen Baumes vor der roten Kapelle und besah sich auf seinem Tablet zum x-ten Mal das Video, das Fabrice Gladenberg am Morgen auf Facebook hochgeladen hatte. Zwar war das Filmchen für die Öffentlichkeit in der Timeline der Band nicht mehr sichtbar, konnte jedoch noch immer im Profil von Fabrice angesehen werden. Sobald Heike ihm das Notebook des Jungen brachte, das sie bei der Mutter im Haus sichergestellt hatten, würde Thomas sich darum kümmern, den Account zu knacken, um das Video offline zu stellen. Er war sich mittlerweile sicher, dass die Aufnahmen im Inneren der kleinen Kapelle gedreht worden waren. Zu erkennen war dies ganz klar am Hintergrund, der schemenhaft im Licht der Kerzen zu sehen war. Außerdem hatten die Kollegen von der Kriminaltechnik frische Blutspuren in und um das kleine Gotteshaus gefunden. Er blickte zu dem Scheiterhaufen, von dem zwei Mitarbeiter des Bestattungsinstituts gerade die verkohlten Überreste des jungen Mannes bargen. Laut Wagner war der Tote schätzungsweise ein Meter neunzig groß gewesen. Im Personalausweis von Fabrice war dessen Körpergröße mit eins zweiundneunzig angegeben. Sie hatten seinen Rucksack samt seiner blutigen Hose und einer Jacke gefunden. Thomas brauchte keine weiteren Beweise. Der DNA-Abgleich würde nur das bestätigen, was sie eh schon wussten. Er stoppte das Video und betrachtete die Stirn des Jungen. Zwischen den verklebten Haaren waren ganz deutlich drei Ziffern zu erkennen. Was die Zahl wohl hier bedeutete? Er hatte so eine Ahnung, war sich aber nicht wirklich sicher. Er zog sein Mobiltelefon aus der Hosentasche, gab die 666 in die Suchmaschine ein und wurde sofort bei Wikipedia fündig.

      „Die Sechshundertsechsundsechzig ist eine biblische Zahl, die in der heute geläufigen Bedeutung erstmals in der Offenbarung des Johannes vorkommt. Im Rahmen des Okkultismus und der Zahlenmystik wird ihr eine besondere Bedeutung zugeschrieben. Sie wird auch als Zahl des Tieres oder Zahl des Antichristen bezeichnet“, las er flüsternd die Textstelle und ließ dann das Handy sinken.

      So ein Mist. Warum nur mussten sie sich ständig mit solchen Psychos rumschlagen? Ermittlungen in solchen Fällen waren meist ziemlich kompliziert, da der Täter, anders als sonst, nicht zwangsläufig aus dem Umfeld des Opfers stammte. Bei einem Mord aus Eifersucht war es zumeist einfacher, da sich in solch einem Fall Opfer und Täter unbedingt kennen mussten.

      Psychisch kranke Täter, noch dazu mit einem Hang zum Okkulten, brauchten keinen direkten Bezug zum Opfer. Tötung aus Mordlust, nannte die Kriminalistik diese eigentlich eher seltenen Fälle.

      Von dem Weg, der von der Landstraße zur Kapelle führte, vernahm er das Geräusch eines näher kommenden Fahrzeuges. Er sah auf und erkannte den mittlerweile auch schon in die Jahre gekommenen 5er-BMW von Thiel. Thomas kannte Hans Peter Thiel, seit er vor fünfzehn Jahren als junger Polizist frisch von der Polizeischule kam. Damals war der Wagen noch funkelnagelneu gewesen. Rein optisch stand der Karren auch noch immer wie ein Jahreswagen da. Anders als das Auto war sein Fahrer allerdings über die Zeit um einiges gealtert. Neulich hatte Thomas sich mit seiner besseren Hälfte Alexandra alte Fotos angesehen. Auf einigen war auch Thiel gewesen. Erst da war es ihm wirklich aufgefallen, wie der alte Bulle sich verändert hatte. Die Frage, die sich Thomas jedoch gerade stellte, war, was Thiel hier und jetzt wollte?

      Der Senior stieg aus und kam näher. An der Absperrung sprach er kurz mit einem der uniformierten Kollegen, der lachend das Absperrband anhob und Thiel darunter hindurchschlüpfen ließ, als gehöre der immer noch zur Truppe. Thomas löste sich aus dem Schatten der mächtigen Linde und ging ihm entgegen.

      „Moin, Jungchen“, grüßte Thiel gut gelaunt.

      „Herr Thiel, ich muss Sie bitten zu gehen, dies ist nämlich ein Tatort“, blieb Thomas jetzt einfach mal förmlich.

      „Sag mal, hast du was genommen?“, fragte Thiel und tippte sich gegen die Schläfe.

      „Mensch, Hans Peter, wie oft soll ich dir noch sagen, dass das so nicht läuft? Du kannst als Zivilist nicht einfach hier rumschnüffeln, wie es dir gerade passt“, stellte Thomas klar, doch seine Worte schienen an dem Alten einfach so abzuprallen.

      Thiel latschte an ihm vorbei bis zu dem halb verkohlten Holzstoß, von dem noch immer der Geruch von Verbranntem ausging. Er grüßte die beiden Bestatter und warf noch einen Blick auf den Leichnam, bevor sie den Reißverschluss des Leichensacks zuzogen.

      „Wisst ihr, wer das Opfer ist?“, wollte der alte Bulle wissen.

      „Wir haben einen Verdacht“, gestand Thomas.

      „Und?“

      „Wie, und?“, keifte Thomas zurück. Er wusste genau, was Thiel wollte. Der Kerl war neugieriger als ein Klatschreporter. Konnte der nicht einfach zu Hause auf seiner Terrasse sitzen, Zeitung lesen und seiner Inge auf die Nerven gehen? Thiel war nicht in diese Ermittlungen eingebunden. Und nur weil er gelegentlich als Berater für die Staatsanwaltschaft mitmischen durfte, hieß das noch lange nicht, dass Thomas ihm ständig Auskunft geben musste oder durfte. Es gab gewisse Spielregeln in seinem Job, an die er sich halten musste und die auch für Thiel galten. Etwas anderes wäre es, wenn Nina, als leitende Ermittlerin, Staatsanwalt Lambrecht oder irgendein anderer Vorgesetzter Thomas die Weisung gäbe.

      „Mensch, Kübler, jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen“, beschwerte sich Thiel derweil.

      „Hans Peter, du weißt genau, dass ich in Teufels Küche komme, wenn ich dir was erzähle. Und überhaupt … warum willst du das eigentlich wissen? Ich dachte, du und Inge wollt in Urlaub“, versuchte er den alten Bullen zu vertrösten, ohne ihm dabei allzu sehr auf den Schlips zu treten.

      „Okay, Kübler, ihr braucht meine Hilfe hier also nicht“, schien Thiel es endlich zu kapieren.

      „Genau, Hans Peter, wir haben alles im Griff“, bestätigte er.

      Thiel nickte und grinste irgendwie verschlagen.

      „Na, dann ist es ja gut. Weiß ich Bescheid. Dann fahr ich jetzt nach Hause und kümmere mich in Zukunft ausschließlich nur noch um meine Angelegenheiten“, erklärte der Alte, machte kehrt und ging sichtlich eingeschnappt zu seinem Wagen.

      Thomas hättte schreien können. Dies war der Nachteil, wenn man mit Leuten, mit denen man arbeitete, auch privat zu tun hatte.

      Vor einigen Jahren, zu der Zeit, als Thomas seine Frau Alexandra noch nicht gekannt hatte, war diese ziemlich am Boden gewesen. Ein Straßenmädchen, gerade einmal sechzehn, alleine und schwanger. Inge Moretti, Thiels bessere Hälfte, hatte Alexandra damals bei sich zu Hause aufgenommen. Sie behandelt, als wäre sie ihre eigene Tochter. Eine tiefe Verbundenheit, die auf Gegenseitigkeit beruhte und die bis heute anhielt. Linus, das ungeborene Kind von damals, war mittlerweile zehn und nannte die beiden älteren Herrschaften, genau wie seine kleine Schwester Leah, ganz selbstverständlich Oma und Opa. Ja, Inge und Thiel kümmerten sich um Küblers Kinder, als seien diese tatsächlich ihre Enkel. Und dies nicht nur an Weihnachten und Geburtstagen. Thiel fuhr zum Beispiel jeden Donnerstagnachmittag mit Leah zum Reitunterricht, wartete dort und brachte sie anschließend wieder nach Hause. Er zahlte der Kleinen sogar die Reitstunden. Letztens waren Thiel und Linus zum Frankfurter Flughafen gefahren. Einfach mal so, um dem Jungen die Flugzeuge zu zeigen. Wenn Thomas und Alexandra mal abends oder über das Wochenende einen Babysitter brauchten, standen Thiel und Inge immer Gewehr bei Fuß. Dennoch war Thiel auch ein sturer alter Mistkerl. Wenn Thomas ihn jetzt gehen ließ, würde er es früher oder später bereuen. Spätestens dann, wenn seine Alexandra es mitbekam. Familie ging seiner Alex über alles. Und außer ihm und den Kindern hatte sie halt nur noch Thiel und Inge.

      „Mensch, Hans Peter … jetzt warte mal“, gab er also wie jedes Mal wieder klein bei und ärgerte sich dabei über

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