666 Der Tod des Hexers. Micha Krämer
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Fabrice war eine seltsame Type. Ein Paradiesvogel. Vermutlich war dies auch der Grund, warum es niemand lange mit ihm aushielt. Er hatte die seltene Gabe besessen, Leute einzulullen. Als sie ihn im letzten Jahr in der Oberstufe des beruflichen Gymnasiums kennenlernte, war er ihr sofort aufgefallen und auch zuerst sympathisch gewesen. Mit diesen 0815-Typen, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehten, hatte sie noch nie etwas anfangen können. Menschen, die aus der Reihe fielen, zogen sie immer schon irgendwie an. Er hatte Sarika gleich am ersten Schultag angegraben. Ihr Avancen gemacht. Allerdings nicht nur ihr. Fabrice baggerte alles an, was nicht schnell genug auf den Bäumen war. Wie Sarika mittlerweile wusste, war es ihm in den meisten Fällen dabei auch ziemlich egal, ob es sich bei den Objekten seiner Begierden um Männlein, Weiblein oder beides gleichzeitig handelte. Seine Performance gestern bei dem Auftritt hatte bei ihr das Fass zum Überlaufen gebracht. Er war einfach nur grottenschlecht gewesen und hatte es noch nicht einmal selbst eingesehen. Der Typ war von sich und dem, was er tat, dermaßen überzeugt, dass es ihr fast hochgekommen wäre. Er war sich vorgekommen wie der King und hatte ihr und den Mädels eine ganz spezielle Aftershowparty vorgeschlagen, die sie bestimmt niemals vergessen würden. Nachdem er ihr erklärt hatte, wie er dies meinte, hatte er sich dann eine gefangen. Zusammen abhängen, feiern und trinken war das eine. Sex im Rudel das andere und überhaupt nicht ihr Ding.
Sarika ließ sich auf die Leitplanke sinken und betrachtete die beinahe spiegelglatte Oberfläche des Weihers. Die einzigen Bewegungen gingen von einer einsamen bunt gefiederten Ente aus, die immer wieder mit dem Kopf untertauchte. Was die wohl suchte? Sarika seufzte und rieb sich die Schläfen. Nina wollte von ihr bis heute Abend die Namen aller Partygäste haben. Puh, wo sollte sie die denn alle hernehmen? Die meisten hatte sie ja noch nicht einmal mit Namen gekannt. Vielleicht wusste Leon noch, wer alles auf der Party gewesen war. Immerhin war der im Gegensatz zu ihr vollkommen nüchtern gewesen. Ein seltsamer Freak. So still und in sich gekehrt. Wirklich eine Schönheit war er auch nicht. So ein typisches Opfer, wie es sie in jeder Klassenstufe gab. Obwohl es schon nett gewesen war, dass er sie nach Hause gebracht hatte. Ob der sich zum Abschied von ihr mehr als einen Händedruck erwartet hatte? Wenn, dann hatte er es sich nicht anmerken lassen. Wann, um wie viel Uhr, er sie abgesetzt hatte, wusste sie auch nicht mehr. Sie glaubte bemerkt zu haben, dass es am Horizont schon wieder ein wenig hell geworden war. Sicher war sie sich nicht, da sie einfach zu viel getrunken hatte. An was sie sich noch sehr gut erinnern konnte, war der Moment, als sie Fabrice, nach einer weiteren verbalen Auseinandersetzung, mit der Faust ins Gesicht geschlagen hatte. Zu dem Zeitpunkt war sie noch ziemlich nüchtern gewesen. Erst danach hatte sie sich dann am Wodka vergriffen. Nina hatte vorhin wissen wollen, wann und mit wem Fabrice die Party verlassen hatte. Sarika hatte keine Ahnung. Auf alle Fälle war er nicht sofort abgehauen. Er war ihr noch ein paarmal an dem Abend aufgefallen. Seine Nase in Verbindung mit der aufgeplatzten Lippe und der Platzwunde hatte schlimm ausgesehen. Sein T-Shirt war voller Blut gewesen. Sarika war noch nie so von Sinnen gewesen. Der hatte es echt geschafft, sie auf die allerhöchste Palme zu bringen.
Sie erhob sich, ging ans Auto, holte die Schachtel mit den Zigaretten aus dem Handschuhfach und eine kleine Flasche Wasser, die seit Tagen im Fußraum umherkullerte. Sie trank einen Schluck und verzog angewidert das Gesicht. Die Plörre war viel zu warm. Dann steckte sie sich eine Zigarette an. Nicht, weil sie jetzt rauchen musste. Nein, sie brauchte das nicht. Sie würde sich eigentlich sogar als Nichtraucherin bezeichnen. So eine Schachtel hielt bei ihr mehrere Wochen oder gar Monate. Doch der Rauch half ihr im Moment ein wenig, den üblen Geschmack nach Erbrochenem loszuwerden. Fest stand, dass sie der Polizei alles sagen würde, was sie wusste, um zu helfen, den Fall zu lösen. Dafür musste sie sich allerdings wieder an alles ganz genau erinnern. Sie hatte ja keinen Filmriss. Auf keinen Fall. Der Film war halt nur ein wenig verschwommen. Sie öffnete auf ihrem Handy die App für Notizen und begann, die Namen von denjenigen Personen einzugeben, die ihr vom gestrigen Abend noch einfielen. Es funktionierte. Je mehr Namen sie notierte, umso mehr andere kamen ihr in den Sinn.
Kapitel 3
Sonntag, 8. August 2021, 11:24 Uhr
Betzdorf-Bruche
Oberkommissar Hans Peter Thiel stand am Fenster und beobachtete, wie Klaus Schmitz die Schiebetür des alten VW Bullis öffnete und die Zwillinge einsteigen ließ. Seine Rolle als Opa gefiel Thiel. Wäre es nach ihm gegangen, hätten Chiara und Matteo gerne noch ein wenig bleiben können. Vier Jahre waren die beiden jetzt alt. An Kindern merkte man, wie die Zeit verging. Nina und Thomas Kübler seien zu einem Leichenfund nach Friesenhagen gefahren, hatte Klaus ihm vorhin berichtet. Näheres wusste er allerdings auch nicht.
Obwohl es nächsten Monat zehn Jahre her war, seit sie ihn in den Ruhestand entlassen hatten, konnte Hans Peter immer noch nicht loslassen. Er hatte seinen Job so manches Mal verflucht, gehasst, aber auch geliebt. Es hatte Momente gegeben, an die er sich nicht gerne erinnerte und die ihn aber auch nach so langer Zeit noch in seinen Träumen verfolgten. Dennoch fehlte ihm das Leben als Polizist. Okay, er jammerte auf verdammt hohem Niveau. Es ging ihm, obwohl er nun siebzig war, gesundheitlich blendend. Er war fit, hatte eine liebevolle Frau gefunden. Finanziell standen sie beide sehr gut da und waren, zumindest gefühlt, drei Viertel des Jahres unterwegs. Fast ganz Europa hatten sie in den letzten Jahren bereist und dabei wunderschöne Orte und viele nette Menschen kennengelernt.
Draußen in der Einfahrt startete Klaus den Motor des Bullis und winkte ihm noch einmal zu. Auch die Zwillinge winkten. Hans Peter musste lächeln, als er sah, wie Matteo sein Gesicht an die Scheibe drückte und ihm eine Grimasse schnitt. Er mochte den ungestümen Wildfang, der, wenn er mit ihm zusammen war, lieb und brav wie ein Lämmchen sein konnte. Natürlich mochte er die ruhige und besonnene Chiara ebenso. Wobei die sich eher mit seiner besseren Hälfte Inge verstand. Er sah dem Bulli hinterher, bis er aus seinem Blickfeld verschwunden war. Erst dann ging er in den Flur, schlüpfte in seine Schuhe und nahm den Schlüssel seines BMWs aus der Schale auf dem Garderobenschränkchen.
„Willst du noch mal los?“, hörte er Inge fragen, die mit zwei leeren bunt bedruckten Kindertassen aus dem Wohnzimmer kam.
„Ja, ich dachte, ich schau noch mal, ob das Reisemobil auch startklar ist“, log er, da er mitnichten vorhatte, nach Grünebach in die Halle zu fahren, in der das große Wohnmobil parkte.
Inge legte den Kopf schief und musterte ihn. Und er wusste in diesem Moment, dass sie ihm wie so oft wieder kein Wort glaubte. War er so leicht zu durchschauen?
Bevor er etwas sagen konnte, seufzte und nickte sie.
„Sag besser nichts, Hans Peter, und grüß Nina und Thomas von mir“, meinte sie nur und schickte sich an, in die Küche zu gehen.
Jetzt musste er doch grinsen. Er trat auf sie zu, fasste sie bei den Schultern und gab ihr einen Kuss.
„Wie