Die Tote von der Maiwoche. Alida Leimbach

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Die Tote von der Maiwoche - Alida Leimbach

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gab den Blick frei auf einen sonnigen Raum mit heller Einrichtung, allem Anschein nach das Wohnzimmer. »Hey, du bist schon da!«, begrüßte sie ihn.

      »Ich war noch beim Frühstück und bin direkt hergefahren. Bin aber auch erst vor ein paar Minuten eingetroffen. Eigentlich habe ich heute frei.«

      »Ich weiß, ich auch. Ich hatte den Tag anders geplant. Nun ja, was soll’s. Wer ist die Tote?«

      »Jessica Wagner, 25 Jahre alt. Sie wohnt hier.«

      »Alleine?«

      »Offensichtlich, ja. Ist ziemlich groß, die Wohnung, für eine Einzelperson, nicht wahr? Mindestens 100 Quadratmeter, schätze ich mal, und das am teuren Westerberg.«

      »Dann muss sie einen guten Job haben.«

      »Oder reiche Eltern. Nachbarn aus dem Nebenhaus haben erzählt, dass die Wohnung ihrem Vater gehört, Christian Wagner. Er wohnt nicht weit von hier, ein paar Straßen oberhalb, am Richard-Strauss-Weg.« Daniel ging zu der Toten, sicher, um sich ein genaues Bild zu machen. Seit Jahren arbeiteten sie zusammen im Team der Mordkommission K 1. Sie mochte ihn – als Kollegen. Nie hätte sie sich ihn als Partner vorstellen können, obwohl er ihr das Gefühl vermittelte, dass er auf sie stand. Er war ihr zu eitel und hatte zu viele Frauengeschichten. Keine seiner Beziehungen hatte bisher länger gehalten als ein paar Monate.

      »Was ist passiert?« Birthe trat näher an die Leiche heran. Sie nahm den stechenden, metallischen Geruch von Blut wahr und musste eine aufkommende Übelkeit unterdrücken. Es war nicht die erste Leiche aus nächster Nähe, aber es kam eher selten vor, dass sie zu einem Tatort gerufen wurde, an dem das Opfer eine junge Frau war. Es kostete sie etwas Überwindung, genau hinzusehen. Wagners weiße, ärmellose Bluse war blutgetränkt, auch die langen blonden Haare und die helle Hose hatten Spritzer abbekommen. Zwischen den Schulterblättern waren drei Stichverletzungen zu erkennen, etwa vier Zentimeter breit. Die Kollegen der Tatortgruppe hatten bereits die Umrisse der Toten markiert. Eine dicke weiße Linie, die den menschlichen Körper nachzeichnete. Ein Stuhl war umgefallen, ansonsten machte der Raum einen ordentlichen, fast unbewohnten Eindruck.

      Hansmann vom polizeilichen Erkennungsdienst gesellte sich zu ihnen und nickte Birthe freundlich-distanziert zu. Er trug wie die anderen Kollegen von der Spurensicherung einen Plastikoverall, Handschuhe, Überschuhe und Mundschutz. »Der Täter muss gezielt auf sie eingestochen haben, mit enormer Kraft und mit einem großen Messer.«

      »Ist sie an Ort und Stelle gestorben?«, wollte Birthe wissen.

      »Ja. Du siehst es an den Blutspuren, die sich lediglich unmittelbar um die Leiche herum befinden, und an den Totenflecken.« Er schob die Bluse hoch, sodass die Flecken sichtbar wurden.

      »Wie lange ist sie schon tot?«

      »Etwa zehn bis zwölf Stunden. Der Tod muss zwischen Mitternacht und 1 Uhr morgens eingetreten sein. Ihre Temperatur ist schon um zehn Grad gesunken. Die Totenstarre ist voll ausgebildet.«

      Birthe wandte sich an Daniel. »Ist die Staatsanwältin informiert worden?«

      »Ja. Frau Koswalla ist auf dem Weg. Sie bringt den Durchsuchungsbefehl und die Anordnung zur Obduktion mit.«

      »Ist der Notarzt noch da?«

      »Nein, er ist gerade gefahren. Hier ist der Totenschein.« Daniel überreichte ihr das Dokument. »Unnatürliche Todesursache« war angekreuzt, aber das war ja ohnehin eindeutig.

      Birthe hatte ihre erste Hemmung überwunden und hockte sich zu der Frau. Eine schlanke, fast zierliche Statur, sommerlich gekleidet, große Kreolen in den Ohren, feiner, gerader Nasenrücken, das sah sie von der Seite, helle Augenbrauen, solariumgebräunte Haut, verschiedene Ringe an den sorgsam manikürten, feingliedrigen Händen. Aus dem Mund war eine bräunliche Flüssigkeit gequollen.

      »Ist das Blut?«, fragte sie und deutete auf die Mundwinkel der Toten.

      Hansmann verneinte. »In der Küche stehen Essensreste. Ich vermute, sie hat kurz vor ihrem Tod Currywurst gegessen.«

      Birthe hatte erst vor einer halben Stunde ausgiebig gefrühstückt und verspürte erneut einen Anflug von Übelkeit. Sie stand auf. »Sie lebte alleine hier?«

      Hansmann nickte. »Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sie mit jemandem zusammenlebte. Aber das lässt sich ja schnell in Erfahrung bringen. Es ist ein Zweiparteienhaus. Die obere Wohnung wird ebenfalls von einer alleinstehenden Dame bewohnt.«

      »Wenn sie dem Täter nachts selbst die Tür geöffnet hat, könnte es sich um eine Beziehungstat handeln.«

      »Möglich«, sagte Hansmann. »Es ist definitiv kein Raubmord. Keine offenen Schränke und Schubladen, kein Chaos in der Wohnung. Ihre Handtasche lag auf der Kommode im Flur. Alles drin, Geld, Ausweispapiere, Handy.«

      »Das Opfer weist keine Verletzung an Händen oder Armen auf«, sagte Birthe. »Anscheinend hat es keinen Kampf, keine Abwehrbewegung gegeben. Offenbar wurde sie überrascht. Der Täter muss sie von hinten angegriffen haben. Sie war vollkommen arg- und wehrlos.«

      »Sie muss ihn gekannt haben, sonst hätte sie ihm wohl kaum den Rücken zugedreht«, fasste Daniel seine Beobachtungen zusammen.

      Birthe nickte. »Davon gehe ich auch aus. Schau dir mal die Kleidung der Toten an. Sie trägt Ausgehklamotten und Schuhe, silberfarbene Riemchensandaletten mit hohem Absatz. Sie ist stark geschminkt. Sieht nicht nach einem gemütlichen Fernsehabend auf dem Sofa aus. Sie muss unterwegs gewesen sein. Vielleicht hat sich der Täter mit ihr zusammen in die Wohnung gedrängt.«

      Nachdenklich zupfte sich Daniel am Ohr. »Sollte es eine Beziehungstat gewesen sein, wird ein Streit vorausgegangen sein. Die Nachbarn könnten etwas mitbekommen haben.«

      Birthe sah sich in dem etwa 40 Quadratmeter großen, schlauchförmigen Raum um. Ein Wohnraum wie aus einem Hochglanzmagazin. Parkettboden, weiße Sprossenfenster mit goldenen Beschlägen, weiße Kassettentüren. Auf der Südseite, die zum gepflegten Garten zeigte, befand sich eine hellgraue Sitzlandschaft mit niedrigen Beistelltischen und einem flauschigen Teppich. An der Wand hing ein großer Flachbildschirm. Die Nordseite mit Erker wurde als Essbereich genutzt. Ins Auge fiel ihr ein moderner Kaminofen, davor ein großer Holztisch mit Metallbeinen und sechs verschiedenfarbigen Lederstühlen. Ein paar dezent platzierte antike Möbel verliehen dem Raum Wärme und Tiefe. Die Einrichtung wirkte repräsentativ und ungewöhnlich für eine junge Frau.

      Die Kollegen von der Tatortgruppe hatten bereits an jenen Stellen, an denen Spuren gesichert worden waren, Karten aufgestellt.

      »Reiches, armes Mädchen«, sagte Daniel, der Birthes Blick gefolgt war. »Nur womit ist sie reich geworden? Allein durch Mama und Papa?«

      »Habt ihr die Tatwaffe?«, erkundigte sich Birthe.

      »Nein, bisher nicht«, sagte Daniel. »Wir hoffen, dass wir sie bald finden.«

      »Ich schaue mich mal um.« Birthe verließ das Wohnzimmer, gefolgt von Daniel.

      Die Küche hatte einen quadratischen Zuschnitt und bot eine herrliche Aussicht auf den Garten. Sie war mit hochwertigen, weißen Einbaumöbeln ohne Griffe, viel Edelstahl und teuren Geräten ausgestattet.

      »Okay«, sagte sie und deutete auf den hohen Tisch. »Hier hat sie also gesessen und ihre letzte Mahlzeit eingenommen. Currywurst, Pommes rot-weiß, Cola. Nur ein Barhocker ist zum Sitzen vorgezogen worden,

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