Die Tote von der Maiwoche. Alida Leimbach
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Читать онлайн книгу Die Tote von der Maiwoche - Alida Leimbach страница 6
»Vielleicht wollte sie vor dem Ausgehen noch was zu sich nehmen, hatte dann aber keinen Appetit mehr.«
Birthe ging zum Abfalleimer und nestelte mit langen Fingern ein Einpackpapier heraus, an dem Reste der braunen Soße pappten. »Nur eine Portion hat sie geholt. Schwierig herauszufinden, an welchem Stand sie die Currywurst gekauft hat, bei dem Überangebot an Imbissbuden.«
»Wir werden es herausfinden«, meinte Daniel.
»Was ist mit ihrem Handy? Brauchen wir die PIN?«
»Ja. Ich hoffe, die Kollegen kommen schnell dran. In der Regel ist das ja kein Problem.«
»Wir müssen wissen, mit wem sie kurz vor ihrem Tod Kontakt hatte, ob sie sich vielleicht mit jemandem für die Maiwoche verabredet hatte.«
»Klar«, meinte Daniel.
»Wer hat die Polizei gerufen?«
»Die Nachbarin von oben, Else Leinweber. Die Frau hat einen Schock erlitten und ist nicht vernehmungsfähig. Momentan wird sie im RTW versorgt.«
»Ach ja, von der älteren Dame habe ich schon gehört. Ich werde mal nach ihr sehen. Vielleicht ist sie inzwischen in der Lage zu reden.«
Kapitel 3
Der Rettungswagen stand halb auf dem Bürgersteig. Durch die offene Tür sah Birthe eine ältere Frau darin. Sie erkundigte sich bei den Rettungssanitätern nach dem Befinden der alten Dame und setzte sich zu ihr auf einen ausklappbaren Hocker. »Frau Leinweber, mein Name ist Birthe Schöndorf von der Osnabrücker Kriminalpolizei. Sie haben Ihre Nachbarin gefunden. Wie geht es Ihnen? Fühlen Sie sich imstande, mir ein paar Fragen zu beantworten?«
Die alte Dame nickte.
»Was haben Sie gesehen? Wenn Sie reden möchten, höre ich Ihnen zu«, sagte Birthe leise.
»Ich bin froh, dass endlich die Polizei da ist. Ich hatte so eine Angst.« Else Leinweber strich über ihren Handrücken, in dem eine Infusionsnadel steckte, nickte. Sie wirkte mitgenommen.
»Wann haben Sie Ihre Nachbarin gefunden?«
»Ich weiß nicht genau. Es war furchtbar. Ich bekam eine Panik, ich dachte, ich sterbe! So etwas Entsetzliches habe ich noch nie gesehen. Es war wie in einem Horrorfilm!«
»Das glaub ich Ihnen«, sagte Birthe mitfühlend.
»Das können Sie nicht verstehen, weil Sie es nicht selbst erlebt haben.«
»Nein, darum wäre es schön, wenn Sie mir davon erzählen würden.«
»Irgendwas haben die mir gegeben. Ich bin auf einmal todmüde und könnte auf der Stelle einschlafen.« Für einen Moment schloss Else Leinweber ihre Augen, sodass Birthe fürchtete, sie würde es tatsächlich tun. »Ich habe noch nie etwas derart Furchtbares erlebt«, jammerte die Frau. »Und das bei mir zu Hause! Ich hatte Todesangst. Ich dachte, der Mörder treibt sich irgendwo im Haus rum und will mich auch abstechen.«
»Haben Sie jemanden gesehen?«, fragte Birthe vorsichtig.
»Nein. Trotzdem hatte ich die ganze Zeit über das Gefühl, er wäre da.«
»Sie fühlten sich beobachtet?«
»Ja. Da war jemand, das Gefühl hatte ich.«
»Wodurch? Haben Sie Geräusche gehört oder etwas Außergewöhnliches wahrgenommen? War etwas anders als sonst?«
Die alte Dame schüttelte heftig den Kopf.
»Ich kann Sie beruhigen. In der Regel kehrt der Täter nicht zurück. Und außerdem wird er es kaum auf sie abgesehen haben. Wir vermuten, es war jemand aus dem Umfeld der jungen Frau.« Birthe hoffte, dass sie mit ihren aufmunternden Worten Recht behielt. Die Realität sah manchmal anders aus.
»Vielleicht denkt er, ich hätte ihn gesehen. Dann will er mich umbringen, damit ich nicht als Zeugin aussagen kann. Das hat es schon gegeben, habe ich bei ›Aktenzeichen XY … Ungelöst‹ gesehen. Die Täter wollen die Zeugen mundtot machen, damit sie nicht gefasst werden. Ich habe keine ruhige Minute mehr, glauben Sie mir das. Ich wünschte, Sie hätten ihn schon«, klagte die Frau. »Erst wenn er hinter Schloss und Riegel ist, werde ich aufatmen.«
»Das können Sie auch so, Frau Leinweber. Wir tun unser Bestes, um den Täter bald zu finden.«
»Und was soll ich bis dahin machen? Ich kann doch nicht in meine Wohnung zurück. Wie soll ich da noch ruhig schlafen, wenn in dem Haus eine Frau umgebracht wurde? Ich bin ganz allein, wissen Sie.«
»Hm. Vielleicht haben Sie die Möglichkeit, heute Nacht woanders zu schlafen? Haben Sie Angehörige in Osnabrück? Oder Freunde?«
»Nein, ich habe niemanden. Hier auch nicht. In dem Haus gibt es nur zwei Wohnungen. Die von Jessica unten und meine oben. Mehr Leute wohnen da nicht.«
Birthe bekam Mitleid mit der alten Frau. Allein in dem großen Haus zu sein, war jetzt sicher nicht angenehm. Birthe hätte nicht mit ihr tauschen wollen, trotzdem musste sie versuchen, zuversichtlich zu klingen und ihr die Angst zu nehmen. Betont munter setzte sie das Gespräch fort. »Wenn Sie wollen, schau ich mir nachher mal Ihre Wohnung an und überprüfe, ob alles einbruchsicher ist. Wenn nicht, kümmere ich mich darum und schicke Kollegen los, die darauf spezialisiert sind und Sie beraten.«
»Das wäre schon mal was«, sagte die Frau erleichtert. »Ich werde heute Abend eine Schlaftablette nehmen, dann wird es schon gehen. Für alle Fälle lege ich das Telefon neben mein Bett.«
»Das ist eine gute Idee. Wenn etwas ist, rufen Sie mich ruhig an«, sagte Birthe. »Ich gebe Ihnen meine Karte und schreibe meine Handynummer dazu.« Sie zückte einen Kuli. »Das mache ich sonst nicht, nur für Sie, Frau Leinweber«, sagte Birthe augenzwinkernd, kritzelte ihre Nummer auf die Karte und reichte sie der Frau. Nach einer kurzen Pause sprach sie weiter: »Jessica Wagner ist gestern Abend ausgegangen. Wissen Sie, wohin?«
Else Leinweber betrachtete Birthes Visitenkarte und strich liebevoll mit dem Finger darüber. Ihr Nagellack war zartrosa, schon leicht abgesplittert. »Nein. Sie geht oft aus, besonders am Wochenende, da achte ich nicht immer drauf.« Sie sprach ganz ruhig. Die Beruhigungsmittel, die ihr verabreicht worden waren, schienen zu wirken. »Ich glaube, sie wollte auf die Maiwoche.«
»Was wissen Sie über Jessica Wagner? Was hat sie beruflich gemacht?«
Die alte Dame zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht genau. Gesungen hat sie. Ob sie davon leben konnte? Das Haus gehört ihren Eltern. Ich bin nur Mieter der oberen Wohnung. Ich nehme an, ihre Eltern haben auch sonst alles bezahlt. Jessica war ziemlich faul. Ich musste sie ständig ermahnen, sich an den Putzplan im Treppenhaus zu halten.«
»Wenn die Eltern so reich sind, hätten sie doch eine Reinigungskraft bezahlen können, aber das haben sie nicht?«
Else Leinweber schüttelte den Kopf. »Das wollten wir nicht. Ich nicht, aus Kostengründen, ich wollte mich nicht beteiligen, und Jessica auch nicht. Sie wollte sich wohl nicht in die Karten schauen lassen.«
»Hatte sie denn etwas zu verbergen?«
Leinweber