Die Tote von der Maiwoche. Alida Leimbach

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Die Tote von der Maiwoche - Alida Leimbach

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      »Was war das für ein Besuch?«

      »Verschiedene Personen. Sie kamen oft abends, sodass ich nicht genau sehen konnte, wie sie aussahen.«

      »Waren es Männer? Oder Frauen?«

      »Ich glaube, sowohl als auch.«

      »Hatte Frau Wagner bestimmte Gewohnheiten?«

      »Abends ging sie wie gesagt oft weg und morgens schlief sie lange.«

      »Haben Sie am Abend ungewöhnliche Geräusche gehört? Gab es einen Streit?«

      »Ich habe nur mitbekommen, wie jemand unten geläutet hat.«

      Birthe straffte sich. »Wann war das? Um welche Uhrzeit etwa?«

      »Gegen halb zwölf«, sagte Else Leinweber. »Ich war schon im Bett und wollte noch einmal zur Toilette gehen. Da habe ich das Türklingeln unten gehört.«

      »Haben Sie Stimmen im Hausflur gehört? Wissen Sie, ob es ein Mann oder eine Frau war?«

      Stirnrunzelnd versuchte Else sich zu erinnern. »Nein, das kann ich nicht sagen. Ich habe nicht darauf geachtet. Ich habe mich nur geärgert, dass nachts noch jemand Fremdes ins Haus kam. Jessica war oft schlampig mit dem Abschließen hinterher.«

      »Versuchen Sie sich an jede Einzelheit zu erinnern. Jedes Detail zählt. Gab es unten in der Wohnung Streit?«

      Else Leinweber dachte einen Moment nach. »Ich habe Jessica reden gehört. Die hat ja so eine hohe, durchdringende Stimme. Sie hat aufgeregt gesprochen.«

      »Und die andere Person?«

      »Nein, nur die von Jessica. Sie hat viel geredet. Laut und schnell, manchmal schrill.«

      »Sind Sie sicher? Sie haben eine einzelne Frauenstimme gehört?«

      Die alte Dame nickte.

      »Waren es vielleicht zwei Frauenstimmen, die ähnlich klangen?«

      »Nein, ich habe nur Jessica gehört.«

      »Können Sie ausschließen, dass ein Mann in der Wohnung war?«

      »Nein. Vielleicht hat er nichts gesagt oder er hat leise geredet.«

      Birthe verabschiedete sich mit einem warmen Händedruck und ging zum Haus zurück. Ein Notfallseelsorger mit einer neongelben Jacke kam ihr entgegen. »Gut, dass Sie da sind«, rief Birthe ihm zu. »Die Zeugin im RTW könnte Ihre Hilfe gebrauchen.«

      *

      Im Flur ertönte Stimmengewirr. Ein schwarz gekleideter Mann mit Hut redete auf zwei uniformierte Streifenpolizisten ein. »Darf ich fragen, wer Sie sind und was Sie hier wollen?«, erkundigte sich Birthe höflich.

      »Carsten Tobecke, der Manager von Jessica Wagner. Ich möchte wissen, was hier los ist. Was ist mit Jessi? Warum darf ich nicht zu ihr?«

      »Manager? Wie darf ich das verstehen?«

      »Jessi ist Sängerin. Sie singt in meiner Band. Wir waren für 10 Uhr heute Morgen verabredet, wollten zusammen proben. Sie ist nicht aufgetaucht und geht nicht ans Handy. Deswegen dachte ich mir, fahre ich mal direkt hin und schaue nach, was los ist.« Carsten Tobecke hatte einen rundlichen Kopf und einen fast kindlichen Gesichtsausdruck. Birthe schätzte ihn um die 50.

      »Sie kann nicht ans Handy gehen.«

      »Warum?« Entgeistert sah er sie an.

      Erst jetzt fielen Birthe seine fahle Haut und die Schatten unter seinen Augen auf. Seine Nacht war vermutlich kurz gewesen. Er wollte sich an ihr vorbeidrängen, doch sie versperrte ihm den Weg.

      »Moment, nicht so schnell. Hatten Sie gestern Abend einen Auftritt?«

      Tobecke hob das Kinn. »Was wollen Sie von mir? Was ist hier eigentlich los?«

      »Auf der Maiwoche? Mit Jessica Wagner?«

      »Ja, warum?«

      Birthe versuchte in seiner Mimik zu lesen. War er wirklich so ahnungslos, wie er tat? Entweder war er ein guter Schauspieler oder er wusste wirklich nichts. »Jessica Wagner ist tot. Es tut mir leid.«

      Carsten Tobecke starrte sie ungläubig an. Seinen Hut nahm er jetzt ab. Verlegen fuhr er sich durch sein schütteres graues Haar, das er zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden hatte. »Das kann nicht sein«, murmelte er. Seine Gesichtszüge wurden schlaff, sodass sein Doppelkinn deutlich zum Vorschein kam. Er wischte sich mit dem Unterarm über die schwitzende Stirn.

      »Warum kann das nicht sein?«

      »Weil sie gestern Abend noch putzmunter war«, murmelte er.

      »Kommen Sie«, sagte Birthe freundlich. »Wir gehen in mein Auto und unterhalten uns in Ruhe.«

      »Ich will in die Wohnung! Ich muss zu ihr! Ich bin ihr Freund! Ich will sie sehen!« Seine Augen blickten flehentlich zu ihr auf. Es wirkte übertrieben, sodass Birthe sich fragte, ob er ihr etwas vorspielte.

      »Das geht leider nicht. Hier werden gerade Spuren gesichert.«

      »Spuren gesichert? Warum? Sagen Sie mir die Wahrheit: Ist sie ermordet worden?«

      Birthe musterte ihn schweigend.

      »Das glaub ich nicht! Welches Drecksschwein war das?« Entschlossen drängte er sich an ihr vorbei. »Jetzt hat sie es endlich geschafft, jetzt hat sie erreicht, was sie wollte.«

      Birthe war für eine Sekunde nicht präsent genug gewesen und ärgerte sich über sich selbst. Sie lief ihm hinterher. »Halt! Bleiben Sie stehen! Sie dürfen da nicht rein!«

      Er hatte es bis in den Flur von Jessica Wagners Wohnung geschafft und wusste anscheinend genau, wo sie sich befand, denn mit einem Satz war er bei ihr. »Das ist nicht wahr! Mein Gott, Jessi … Was ist passiert? Wer hat dir das angetan?«

      »Wenn Sie nicht augenblicklich den Tatort verlassen, muss ich Ihnen Handfesseln anlegen«, sagte Birthe.

      Sie verständigte sich über Gesten mit ihren Kollegen. »Sie stören die Ermittlungen, Herr Tobecke. Solange Spuren gesichert werden, darf kein Unbefugter den Tatort betreten. Ich habe Ihnen angeboten, in meinem Wagen zu reden.«

      »Ich bin kein Unbefugter!«, stellte er klar. »Ich bin ihr Freund.«

      »Ihr Lebenspartner?«

      »Also gut, ich gehe mit Ihnen. Für ein paar Minuten«, gab er nach. Sichtbar müde folgte er ihr nach draußen. Auf der gegenüberliegenden Seite hatte Birthe den Dienstwagen geparkt.

      Im Fahrzeug nahm sie seine Personalien auf. Mit ihrem Diensthandy zeichnete sie das Gespräch auf.

      »Ich verstehe das alles nicht. Es ist schwer zu begreifen«, sagte er matt und wischte sich mit den Händen über die Augen. Endlich schien er ruhiger zu werden. »Gestern Abend standen wir noch zusammen auf der Bühne. Jessi war klasse, sie hat zum ersten Mal solo gesungen, als Frontsängerin, und sie

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