Am Himmelreich ist die Hölle los. Ilka Silbermann

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Am Himmelreich ist die Hölle los - Ilka Silbermann

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      Ilka Silbermann

      Am Himmelreich

      ist die Hölle los

      Ostfriesland Roman

      Für meinen Mann und meine Mutter,

      meine ersten Zuhörer

      und in Gedenken an meinen Vater

      „Ja, die Wohnung ist noch frei!“ Sabrina antwortete ohne zu zögern auf die Frage der beiden Männer an ihrer Haustür.

      Sie konnte es sich nicht leisten, Feriengäste abzuweisen. Obwohl ihr Bauch gerade etwas anderes zu raten schien. Blanke Vorurteile! wies Sabrina ihn lautlos zurecht.

      „Dann nehmen wir sie“, sprach der Ältere.

      Die junge Frau schätzte ihn auf Anfang vierzig. Groß, stämmig und sehr muskulös, wie sie an dem gespannten Stoff der Baumwolljacke überdeutlich sehen konnte. Über der Sonnenbrille, die den Ausdruck seiner Augen verdeckte, ging die hohe Stirn in eine geschorene Glatze über. So entsprach er dem klassischen Bild eines Vorurteils, dazu der harte osteuropäische Akzent.

      „Gut“, entgegnete sie mechanisch, noch immer mit mulmigem Gefühl. Dass Orko, ihr Rottweiler, in der Küche ohne Unterlass bellte, machte die Sache nicht besser.

      „Augenblick bitte, ich hole nur eben den Schlüssel.“ Sie wandte sich ab, lehnte aber noch die Haustür an, so dass den Männern der Einblick verborgen blieb. Instinktiv versuchte sie den Aufbewahrungsort der Schlüssel zu den insgesamt sechs Ferienwohnungen nicht preiszugeben.

      Gleich darauf stand sie wieder vor den Männern und zog die Haustür zu, während Orko drinnen die Küche auseinanderzunehmen schien. Doch darum würde sie sich später kümmern müssen.

      „Hier entlang“, wies sie die Männer an, die ihr folgten, als sie um das rote Backsteingebäude herumschritt.

      Wie in Ostfriesland häufig anzutreffen, waren auch bei diesem ehemaligen Bauernhaus die früheren Stallungen und die Scheune umgebaut worden und dienten nun als Ferienwohnungen.

      „Die Wohnung kostet nun in der Vorsaison …“

      „Spielt keine Rolle“, unterbrach der Ältere sie fast unwirsch.

      Doch vielleicht klang es auch nur in ihren Ohren so, weil der Akzent und seine Stimmlage abweisend auf sie wirkten. Sie sah sich zu ihm um, und als er merkte, dass sie irritiert war, setzte er ein, wie er wohl glaubte, freundliches Grinsen auf, das sie umso mehr erschreckte, weil es ihr eine Reihe goldener Zähne freigab.

      Vor ihrem geistigen Auge spielte sich flugs die Szene einer gefährlichen Prügelei ab, bei der die angeborenen Beißerchen im hohen Bogen verloren gingen.

      Vielleicht hätte ich Schriftstellerin werden sollen, dachte sie ironisch, bei der Fantasie …Einen Bestseller landen, damit die gröbsten Kosten abgedeckt wären. In dem Fall könnte sie sich ihre Feriengäste selber aussuchen. Aber so …

      Das langgestreckte Gebäude, ein ehemaliger Kuhstall, auf das sie zusteuerte, stand im rechten Winkel zum Wohnhaus. Vier Ferienwohnungen waren dort nebeneinander untergebracht. Ein großer betonierter Hof trennte diesen Bereich vom Haupthaus, dem Garten und einer angrenzenden Grünfläche.

      Dort stand ein Blockhaus, die fünfte Ferienwohnung, und im Wohnhaus hatten Sabrinas Eltern die obere Etage ebenfalls als Gästewohnung hergerichtet.

      Sabrina öffnete die Tür des ersten Appartements und trat ein. Der Ältere musste den Kopf einziehen, um durch die Türöffnung zu gelangen. Dadurch fiel ihr auf, dass er erstaunlich groß war.

      Komisch, dachte sie. Vorhin wirkte er eher wuchtig statt riesig.

      Sein Begleiter, dem sie erst jetzt ihre Aufmerksamkeit widmete, war deutlich jünger. Vielleicht Ende zwanzig. Ein wenig blass unter dem blonden, kurzgeschnittenen Schopf, helle Augen, deren Farbe nicht auf Anhieb erkennbar war, und eine normale Statur, nicht viel größer als sie selbst. Ein paar Sommersprossen auf der Nase ließen ihn jungenhaft schüchtern wirken. Fast unsicher. Nur kurz konnte sie in seine Augen sehen, da senkte er auch schon wieder den Blick.

      Na, der braucht keine Sonnenbrille, wenn er die ganze Zeit auf den Boden guckt. Sabrina wandte sich wieder dem Älteren zu, den die Wohnung überhaupt nicht zu interessieren schien. „Brauchen Sie Handtücher? – Kostet extra.“

      „Spielt keine …“

      „Rolle“, ergänzte Sabrina spontan und biss sich sogleich auf die Lippe. „Die bringe ich Ihnen sofort. Auf dem Tisch liegt übrigens das Anmeldeformular, das Sie ausfüllen müssen.“

      Der Ältere hob eine Augenbraue und sah auf das Papier. Nahm es kurz auf, sah seinen Begleiter an und sagte etwas zu ihm in einer Sprache, deren Zugehörigkeit Sabrina nicht auf Anhieb einzuordnen wusste. Daraufhin erwiderte der Jüngere etwas, und Sabrina war von dem melodischen Klang seiner Stimme überrascht, den sie bei ihm nicht vermutet hätte.

      Beide grinsten sich gleich darauf an.

      „Das geht klar, junge Frau.“

      „Sabrina. Ich heiße Sabrina Hoffmann.“

      Der Ältere lächelte, es sollte wohl verführerisch wirken, und wiederholte schmeichelnd ihren Namen. „Das geht klar, Sabrina.“

      Ihr lief ein kalter Schauer den Rücken hinunter.

      ***

      „Die beiden gefallen mir überhaupt nicht, Rolf. Was meinst du? – Roholf!“

      Der Angesprochene zuckte zusammen, als seine Frau ihn deutlich fordernd ansprach. Er hatte sich in der Betrachtung des dampfenden aromatischen Kaffees verloren, den seine Tochter Sabrina zubereitet hatte, nachdem Orko besänftigt und das Chaos, das er angerichtet hatte, bereinigt war.

      „Was meinst du, Schatz?“

      Gerda seufzte. „Die beiden!“

      „Du meinst die Männer?“

      „Ja, sie gefallen mir nicht. Das sind keine Guten.“

      „Wer ist das schon?“, überlegte Rolf und riss sich endgültig vom Anblick der Tasse los. Wie gerne hätte er sich diesem Genuss hingegeben. Ab und zu …

      „Das kann man natürlich nie mit Gewissheit sagen“, gab Gerda ihm recht. „Gerade der Große macht keinen vertrauenerweckenden Eindruck. Wer bei diesem trüben Wetter eine Sonnenbrille trägt, ist entweder ein Angeber oder hat etwas zu verbergen.“

      „Oder beides“, ergänzte Rolf.

      Gerdas Gesichtsausdruck wechselte von besorgt zu ängstlich. Wenn ihr Mann nicht wie üblich widersprach, musste sie wirklich Grund zur Sorge haben. „Unsere arme Kleine!“, jammerte sie nun. „Nur weil sie glaubt, dass sie jeden beherbergen muss, der bei ihr klingelt …“

      „Als Servicekraft in der Saison verdient man eben nicht genug, um zu überleben“, erwiderte Rolf gereizt, der in seiner Sorge zum Angriff überging. „Aber du wolltest ja unbedingt, dass unsere Tochter erst einmal auf Selbstfindungstrip ins Ausland gehen sollte, statt eine solide und gut

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