Irrlichter und Spöckenkieker. Helga Licher
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Читать онлайн книгу Irrlichter und Spöckenkieker - Helga Licher страница 9
Meta Knudtsen war inzwischen hastig die Stufen zum Altar hinaufgelaufen, doch sie konnte ihrer Enkeltochter nicht mehr helfen. Stine bekam von all dem nichts mehr mit, sie war bewusstlos geworden.
Wochenlang sprach man im Dorf von diesem Ereignis.
Niemand konnte erklären, was an dem Sonntag in der kleinen Dorfkirche von Süderende geschehen war. So kam es, dass nach und nach die wildesten Gerüchte verbreitet wurden.
»Stines Urgroßvater hatte den bösen Blick, das vererbt sich. Er trieb sich manchmal wochenlang im Wald herum und lebte mit wilden Tieren zusammen.«
Der Küster aus Süderende flüsterte hinter vorgehaltener Hand, was er gerade von dem Viehhändler aus Dunsum erfahren hatte. Doch seine Frau schüttelte missbilligend den Kopf.
»Schweig still, wir haben hier auf der Insel gar keine wilden Tiere, du Dösbattel. Oles Mutter konnte Kranke heilen, sie hat meinem Vater oft geholfen, wenn ihn sein Rheumatismus plagte.«
»Die Knudtsen-Frauen sind alle etwas spinnert im Kopf«, mischte sich der Küster Rickmers in das Gespräch ein.
»Das wächst sich irgendwann raus.«
Er schwang sich auf sein Fahrrad und radelte eilig zum Friedhof hinüber.
»Stine tut mir Leid«, murmelte Fenja Nansen, während sie dem Küster hinterher schaute. »Sie kann doch nichts dafür. Das Mädchen hat es nicht leicht.«
»Spökenkiekerei, alles nur Spökenkiekerei …«
Schuster Nansen sah seine Frau missbilligend an, zog seinen Hut tief ins Gesicht und machte sich auf den Weg ins Wirtshaus. »Spinner, alles Spinner …«, brummte er und drängte sich rücksichtslos durch die Menschenmenge.
Während sich die kleine Versammlung auf dem Oldsumer Dorfplatz zögernd auflöste, beschloss die alte Hebamme Trientje noch einen Abstecher zum Knudtsenhof zu machen. Das Thema war zu wichtig, als dass sie sich auf reine Vermutungen verlassen könnte. Sie wollte von niemandem anders als von Meta Knudtsen hören, was sich bei der Konfirmation tatsächlich zugetragen hatte.
Trientje lebte seit Ewigkeiten in Oldsum in einem kleinen Tagelöhner-Haus. Der Bauer Ennen hatte ihr diese Hütte kostenlos zur Verfügung gestellt. Als Gegenleistung versorgte Trientje ihn manchmal mit selbstgebrautem Kräuterschnaps. Die Hebamme soll in jungen Jahren eine bildschöne Frau gewesen sein, erzählte man sich auf der Insel. Heute war allerdings nichts mehr davon zu sehen. In alten, abgewetzten Kleidern und mit ungepflegten, strähnigen Haaren ging sie ihrem Gewerbe nach.
Keiner kannte ihr genaues Alter. Niemand wusste woher sie kam. Sie war einfach da …
Mit ihrem schäbigen Hebammenkoffer marschierte sie von Hof zu Hof und half, mehr oder weniger professionell, kleinen Erdenbürgern auf die Welt.
Nicht immer war sie bei den jungen Bäuerinnen gerne gesehen. Trientje nahm es mit der Hygiene manchmal nicht sehr genau, so kam es durchaus vor, dass das Neugeborene nach der Geburt einfach erst einmal in die wallenden Röcke der Hebamme gewickelt wurde. Noch heute lacht jeder in Oldsum über den Jungbauern Wilko Brons, der die alte Hebamme bei Nacht und Nebel mit der Mistgabel vom Hof jagte. Damit die junge Mutter sich von der Entbindung erholen konnte, hatte Trientje dem neugeborenen Hoferben kurzerhand Alkohol eingeflößt, um ihn auf diese Weise zur Ruhe zu bringen. Trientje ließ sich jedoch von gelegentlichen Unannehmlichkeiten nicht vergraulen, sie wusste genau, dass ihre Dienste immer wieder gebraucht wurden.
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Meta kam gerade aus dem Hühnerstall, als sie die Hebamme über den Hof schlurfen sah. Seufzend ging sie ihr entgegen, sie ahnte was dieser Besuch bedeutete.
»Hallo Trientje«, sagte Meta mit demonstrativer Gleichgültigkeit, während sie den Korb mit den frischen Eiern neben sich auf die Erde stellte.
»Dich treibt wohl die Neugierde her, nicht wahr?«
Trientje wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und ließ sich stöhnend auf einen Holzstapel sinken.
Ohne weiter auf Metas Frage einzugehen, kramte sie ein in Zeitungspapier verpacktes Butterbrot aus ihrer Tasche und biss herzhaft hinein.
»Wenn es nicht bald regnet, gibt es keine gute Ernte. Eure Gerste steht gar nicht gut.«
Meta Knudtsen holte tief Luft und fiel der Alten ungeduldig ins Wort.
»Du hast doch nicht den weiten Weg hierher gemacht, um mit mir über unsere Gerste zu reden?«
Trientje rümpfte die Nase und wickelte die Reste des Brotes wieder in die Zeitung. Erst nachdem sie das Päckchen umständlich zurück in die Tasche gestopft hatte, sah sie Meta aufmerksam an und fragte scheinheilig:
»Wie geht es eigentlich Stine, wird sie die Konfirmation nachholen? Wenn du mich fragst …«
Wütend stampfte Meta mit dem Fuß auf und sagte schneidend:
»Dich fragt aber niemand, schließlich geht dich Stine auch nichts an.«
Doch die Hebamme ließ sich nicht beirren, sie wusste, die Gelegenheit etwas von Meta zu erfahren, würde so schnell nicht wiederkommen. Sie musste die Gunst der Stunde nutzen.
»Mädchen in diesem Alter neigen manchmal zur Hysterie«, meinte Trientje besänftigend, und riet Meta Knudtsen bei der Erziehung ihrer Enkelin strengere Seiten aufzuziehen.
»Du hast das Kind viel zu sehr verwöhnt«, urteilte sie und hob beschwörend die Hände.
»Bring Stine doch mal zum Hinrichsen, sag ihm einen schönen Gruß von mir, er soll sich das Mädchen mal ansehen. Schaden kann es nicht. Er hätte sicher auch deine Tochter Rieke auf den rechten Weg gebracht.«
Meta Knudtsen lief ein Schauer über den Rücken, hasserfüllt sah sie die alte Frau an. Sie wusste sehr genau warum Hinrichsen sich das Mädchen ansehen sollte. Man sagte dem alten Schmied nach, er könne arme Menschenseelen von Dämonen befreien. Doch Meta war ganz sicher, Stine war weder von Dämonen besessen noch war sie hysterisch.
»Das könnte dir so passen«, herrschte sie Trientje an.
»Mit Stine ist alles in Ordnung, verschwinde von meinem Hof, und lass dich hier nie wieder blicken, altes Tratschweib!«
Trientje schaute Meta erschrocken an. So zornig hatte sie die Bäuerin noch nie erlebt.
»Ja ja, bist wohl mit dem falschen Fuß aufgestanden …«, murmelte sie, griff hastig nach ihrer Tasche und machte sich aus dem Staub.
Verärgert sah Meta der Alten nach. Ständig muss sie ihre Nase in die Angelegenheiten anderer Leute stecken, dachte Meta und schloss geräuschvoll die Tür zum Garten.
Die Bäuerin verabscheute nichts so sehr, wie die Tratscherei der Insulaner. Es gab kaum etwas, was man vor ihnen geheim halten konnte. Dass jede Neuigkeit unverzüglich ihre Runde machte, dafür sorgte schon die Hebamme.
»Gottes Zorn soll dich treffen«, flüsterte die Bäuerin und ging langsam zur Scheune hinüber. Eine innere Stimme