Der Fortschritt dieses Sturms. Andreas Malm

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Der Fortschritt dieses Sturms - Andreas Malm

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Lebensweise« beargwöhnt werden, selbst noch auf einem Spitzbergener Berggipfel oder auf einer Sanddüne in der Atacama-Wüste, in Gebieten also, die als abgeschiedene Wildnis gälten: Aufgrund des Kohlenstoffdioxids finde sich der menschliche Fingerabdruck überall. »Wir haben das CO2 produziert – wir machen der Natur ein Ende« – oder:

      Indem wir das Wetter verändern, machen wir jeden Fleck auf der Erde zu etwas Künstlichem, zu Menschenwerk. Wir haben die Natur ihrer Eigenständigkeit beraubt, und das hat verhängnisvolle Folgen für ihr Wesen. Das Wesen der Natur ist ihre Eigenständigkeit; ohne sie gibt es nur noch uns.28

      Innerhalb welcher Definition aber ist die Natur verschwunden? Auf den ersten Blick mag es den Anschein haben, als bediente sich McKibben einer Definition, die derjenigen Sopers nicht unähnlich ist – mit »Eigenständigkeit« bzw. »Unabhängigkeit« als Schlüsselbegriff –, doch geht er noch einen entscheidenden Schritt weiter. Er bezieht sich nicht auf die Natur als eine Reihe an materiellen Strukturen und Prozessen mit eigenen kausalen Kräften, nicht auf das Ende der Fotosynthese, der Atmung oder der Wolkenformation; all diese Dinge, beteuert er, bestünden auch weiterhin. Vielmehr »haben [wir] dem ein Ende gemacht, was zumindest in der Neuzeit Natur für uns definiert hat … ihrer Trennung von der menschlichen Gesellschaft«, das heißt ihre Reinheit, ihr vollkommen ursprünglicher, unberührter, vom Menschen unbeeinträchtigter Zustand.29 Nur unter Anerkennung dieser Definition ließe sich behaupten, die Natur sei an ihr Ende gelangt. Aber handelt es sich dabei überhaupt um eine vernünftige Definition?

      Wenn ich Zucker in meinen Kaffee mische, folgere ich daraus nicht, dass der Kaffee sein Ende gefunden hat. Ich nehme eher an, er hat den einen Zustand abgelegt und dafür einen anderen angenommen: Es ist nicht länger nur schwarzer Kaffee, sondern süßer schwarzer Kaffee. Normalerweise, in unserem Alltag und unserer Sprache, bestehen wir nicht darauf, dass, sobald A mit B in Berührung kommt, A aufhört zu existieren – ein privates Unternehmen bleibt während der Verhandlungen mit dem Staat ein privates Unternehmen; ein See bleibt ein See, selbst wenn Tonnen an Sedimenten hineingeschüttet werden. Besonders für jene, die mit der marxistischen Dialektik vertraut sind, sollte es sich hierbei um einen banalen Gedanken handeln – kapitalistische Eigentumsverhältnisse verschwinden nicht in dem Moment, in dem sie mit feudalen oder sozialistischen vermengt werden; Kapital kann sich nur durch ständige Bezugnahme auf seine Erzfeindin Arbeit und dergleichen vermehren, und zwar lediglich innerhalb einer Welt, in der ein Gefüge aus Gegensätzen keinen überraschenden Umstand darstellt. Sollten wir mit der Natur also anders verfahren? Gibt es irgendeinen Grund, eine bestimmte Bedingung – namentlich die Abwesenheit sozialen Einflusses – in die Definition dieser speziellen Sache als Prüfstein gerade ihrer Existenz zu integrieren?

      Wir wollen dies die puristische Definition nennen. McKibben präsentiert keinerlei Begründung für sie; er nimmt sie schlichtweg als gegeben hin. Betrachten wir Natur jedoch in einem etwas kleineren Maßstab, erscheint es schwierig, diese Definition aufrechtzuerhalten. Man nehme etwa die Ozeane: Mittlerweile sind sie entstellt – aufgrund des Plastikmülls, der in gigantischen Wirbeln seine Bahnen zieht, aufgrund von Versauerung, Überfischung und anderen menschlichen Einflüssen, die bis in die tiefsten, dunkelsten Winkel hinabreichen. Können wir also sagen, dass Ozeane ipso facto nicht mehr existieren? Wohl kaum. Sie befinden sich in einer anderen Verfassung, aber vorhanden sind sie nach wie vor – und wenn das auf die Ozeane zutrifft, die doch einen ziemlich bedeutenden Teil dessen ausmachen, was wir als »Natur« verstehen, warum dann nicht auch auf die maßgebliche Gesamtheit? Es scheint hierfür zwei mögliche Umgangsweisen zu geben. Entweder speist man Heiligkeit, also eine Art (paradoxerweise) übernatürliche Wertigkeit, in die Definition der Natur ein, oder man hält an einer extremen Form des Dualismus fest, was die Überzeugung erlauben würde, die Essenz der Natur sei ihre vollständige Absonderung von der menschlichen Gesellschaft.30

      Wenn wir nun zu Recht zu dem Schluss kommen, dass die puristische Definition analytisch unhaltbar ist, soll damit keineswegs gesagt sein, dass McKibben nicht gut daran tut, das Ende eines bestimmten Zustands der Natur zu beklagen.31 So, wie ich schließlich einen Grund haben könnte, vor Widerwillen aufzuschreien, wenn jemand Zucker in meinen Kaffee kippt, dürften sich noch weitaus überzeugendere Gründe dafür finden lassen, den Verlust eines jeden unberührten Ortes der Welt zu betrauern. Im Hinblick auf unsere Absichten, und darum geht es, gereicht McKibbens traurige Kunde analytisch jedoch zu keinerlei Nutzen. Denn laut der puristischen Definition gehörte die Kohle, die von den Briten an entlegenen Küsten entdeckt wurde, vor deren Ankunft zwar der Natur an, doch als diese Briten (oder vielmehr diejenigen, die für sie arbeiteten) zu graben und die Kohle zu fördern anfingen, fiel das Material irgendwie aus der Natur in die Sphäre des Menschen. Wenn nun aber die Kohle bereits kein Teil der Natur mehr war, wie kann sich das CO2 dann überhaupt noch tödlich auf sie ausgewirkt haben? Die Antinomien des Dualismus würden auf allen Ebenen einer solchen Geschichte erneut zum Vorschein kommen.

       IST JEDE UMWELT GEBAUTE UMWELT?

      Sollte der Klimawandel tatsächlich das Ende der Natur bedeuten, müssten wir wohl oder übel den Schluss ziehen, dass der postmoderne Zustand damit in Stein gemeißelt ist. Veröffentlicht hatte McKibben sein Buch, um eine weitere zeitliche Markierung zu nennen, ein Jahr, nachdem Francis Fukuyama seinen Essay »Das Ende der Geschichte?« verfasst hatte. Verkam Fukuyamas These seither jedoch zur Lachnummer der Theorie, wird der oben genannten auch weiterhin größtmöglicher Respekt gezollt. Zwar ist McKibben selbst, als der wohl bedeutendste Anführer der globalen Klimabewegung, inzwischen zu aussichtsreicheren Aktivitäten übergegangen, sein Nachruf auf die Natur aber ist im intellektuellen Klima haften geblieben, obwohl die ihm zugrunde liegende Argumentation, wie wir gesehen haben und auch weiterhin sehen werden, mehr als fragwürdig erscheint. So dient der Nachruf nun sowohl als Ausgangspunkt für Wapners Diskussionen über die Dilemmata des Umweltschutzes als auch für die jüngste Variante des philosophisch weit fortgeschrittenen und etwa von Steven Vogel unternommenen Versuchs, den die Natur betreffenden Konstruktionismus zu verteidigen.

      In seinem ersten Buch Against Nature. The Concept of Nature in Critical Theory entspinnt Steven Vogel ein aus einer eigenwilligen Lektüre des Kanons der Frankfurter Schule gespeistes konstruktionistisches Programm. Dabei zeigt er vier Einsichten auf, aufgrund derer Natur als »eine soziale Kategorie« zu verstehen sei: Man könne niemals in eine Natur außerhalb des menschlichen Vorverständnisses treten; die Natur, die Forscher:innen zu untersuchen vorgeben, sei ein Produkt ihrer eigenen Praktiken – so weit alles postmoderner Grundstock –; natürliche Objekte seien in das Gesellschaftsleben integriert; und würden durch Arbeit hergestellt.32 Nur die letzte Auffassung, die originellste der vier, wird auch in Thinking like a Mall. Environmental Philosophy after the End of Nature beibehalten. Darin vertritt Vogel, obwohl er ein wenig von seinem früheren Idealismus zurückrudert, den Konstruktionismus stärker denn je. Als Ausgangspunkt dafür dient ihm die Annahme, dass McKibben recht hatte: Die Natur sei tatsächlich an ihr Ende gelangt, am offensichtlichsten aufgrund der steigenden Temperaturen. Die puristische Definition bejahend, hebt Vogel McKibbens These jedoch auf die nächste Stufe und behauptet, dass, wenn die Natur in dem Moment erlösche, in dem der Mensch mit ihr in Berührung komme, sie schon tot und begraben gewesen sein müsse, lange bevor irgendwelches CO2 aus Schornsteinen gebauscht gekommen sei.33 Ohne eine ausdrückliche Verbindung zur globalen Erwärmung zu ziehen, heißt es bei ihm, dass es sich bei dem »Ende der Natur um etwas handeln könnte, das in der Formulierung Heideggers, die hier relevant erscheint, immer schon geschehen ist.« Kraft axiomatischer Notwendigkeit habe die Natur »in dem Moment aufgehört zu existieren, als der erste Mensch in Erscheinung trat« – »vor so langer Zeit, dass wir außerstande sind, dafür ein Datum zu ermitteln«.34

      Was also ist es, was uns heute zu umgeben scheint? Keinesfalls Diskurse oder der Schlamm epistemischer Gemeinschaften; auf dergleichen hat es Vogel längst nicht mehr abgesehen. Umgeben seien wir vielmehr von einer soliden realen Umwelt, bei der es sich jedoch um eine gebaute Umwelt handele, eine, die der Mensch

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