Der Weg der Kontemplation: einfach, aber nicht immer leicht. Karin Seethaler

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Der Weg der Kontemplation: einfach, aber nicht immer leicht - Karin Seethaler

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Meditationsweg für die Menschen von heute erschlossen und holt sie bei ihrem Bedürfnis nach Stille und Ruhe ab. Franz Jalics nahm bereits vor 30 Jahren wahr, wie sehr sich der moderne Mensch in seiner Beziehung zu Gott nach Ruhe, Einfachheit und Unmittelbarkeit sehnt. Sein kontemplativer Weg, der zu dieser Erfahrung führt, zeichnet sich durch eine große Klarheit und Einfachheit aus: „Gott ist einfach, und der Weg, den Jesus Christus zum Vater zeigte, ist ein überaus einfacher Weg. Er ist nicht immer ein leichter, aber doch ein sehr schlichter und unkomplizierter Pfad. Er besteht eben in der bescheidenen, demütigen und unablässigen Ausrichtung auf Gott. Es gibt nichts anderes zu sagen, als nur auf diese Ausrichtung aufmerksam zu machen.“10

      Diese Ausrichtung hat Franz Jalics unermüdlich in seinen Büchern und in unzähligen Exerzitienkursen mit einer Prise Humor, einer strengen Klarheit und großer Hingabe aufgezeigt. Trotz der großen Anerkennung für seine klare Wegweisung, durch die er unendlich vielen Menschen den Zugang zum kontemplativen Gebet ermöglicht hat, ist er stets bescheiden geblieben.

      Noch während ich dieses Buch schrieb, verstarb Franz Jalics im Alter von 93 Jahren in Budapest. Er hinterlässt eine große Lücke bei den Menschen, die ihm dankbar verbunden sind. Und er hinterlässt ein großes Lebenswerk, das weitergeht. Inzwischen gibt es eine internationale Vernetzung von Schülern und Schülerinnen, die „seinen“ kontemplativen Weg weitergeben. Manchmal habe ich den Eindruck, als wenn er allen, die in Treue diesen Weg gehen, mit seinem gütigen, ermutigenden Blick noch immer sagt: „Gut, gehen wir weiter!“

       I.Die Wahrnehmung und die Gegenwart

       Die große Lehrmeisterin der Kontemplation ist die Natur. 11

      Die Natur lädt in ihrer Vielfalt und in ihrer Schönheit dazu ein, sie wahrzunehmen. Jedes Blatt, jeder Vogel und jede Blume weisen durch ihr Sein auf Gottes Gegenwart hin. Die ganze Natur ist ein Lobpreis an den Schöpfer. Sie birgt eine große in sich ruhende Kraft, deren göttlicher Ursprung nach Entfaltung strebt. Dieser göttliche Ursprung und die Sehnsucht nach Entfaltung sind auch dem Menschen zu eigen. So kann die Natur im Menschen zum Klingen bringen und wieder zugänglich machen, was in ihm selbst innewohnt. Dies geschieht jedoch nicht automatisch, da sich die Natur dem Menschen nicht als Lehrmeisterin der Kontemplation aufdrängt. Die Natur beschwert sich nicht, wenn man einen Spaziergang macht, ohne auf sie zu achten, weil man in seinen Gedanken versunken bleibt. Wer sich jedoch die Zeit nimmt, sie bewusst wahrzunehmen, den belehrt, belebt und beschenkt sie. Dieser Geschenkcharakter ist der Natur zu eigen, so wie das Leben selbst ein Geschenk ist. Zur Lehrmeisterin der Kontemplation kann die Natur dann werden, wenn man ihre Geschenke bewusst wahrnimmt. Dies geschieht über unsere fünf Sinne: hören, sehen, riechen, mit der Haut fühlen und mit der Zunge schmecken, was ist.

      Für den Weg der Kontemplation ist wesentlich, anschließend einen weiteren Schritt zu beherzigen. Ich nehme die Natur mit meinen Sinnen nicht nur wahr, sondern vollziehe mit meiner Aufmerksamkeit eine Wende nach innen. Ich achte darauf, wie das, was ich wahrnehme, auf mich wirkt. „Spüre in dich hinein und lass diese Pflanze oder diesen Stein auf dich wirken. Nimm wahr, was von jener Blume zu dir fließt.“12 Durch die nach innen gelenkte Aufmerksamkeit komme ich in Verbindung mit meiner eigenen Natur. Ich sehe zum Beispiel ein kleines Gänseblümchen, das still am Wegrand wächst, und lasse es auf mich wirken. Ich achte dann darauf, was sich in mir bewegt. Es kann sein, dass diese kleine Blume eine Hoffnung in mir weckt, dass Gott auch mein Leben zum Erblühen bringt, und zwar genau dort, wo ich jetzt bin, und unabhängig davon, ob andere mich sehen oder gar bewundern oder nicht. Diese kleine Blume kann mich daran erinnern, dass es genügt, einfach da zu sein. So wie das Gänseblümchen keine Rose sein muss, muss auch ich nicht jemand anders sein. Diese kleine Blume kann mich ohne Worte tiefe Wahrheiten erkennen lassen. Sie können in mir zum Klingen kommen, wenn ich die Natur wahrnehme und auf mich wirken lasse.

      Es wäre jedoch ein Irrtum anzunehmen, dass es bei der bewussten Wahrnehmung der Natur darum geht, ein Gefühl in sich zu erspüren, um es benennen zu können, oder darum, Bilder zu suchen, mit denen ich mich selbst erkläre. Mit diesem Verständnis käme ich subtil unter Druck. Es genügt, achtsam dafür zu sein, ob das Wahrgenommene eine Resonanz in mir auslöst und wenn ja, welche. Das Entscheidende sind nämlich nicht die Gefühle, sondern meine Fähigkeit, aufzunehmen, was ist. Auch wenn mich nichts spürbar berührt oder ich nicht in Worte fassen kann, was gerade in mir geschieht, bleibe ich, so wie es mir möglich ist, weiterhin achtsam im Hier und Jetzt.

      Es kann sein, dass ich nach draußen gehe und es mir aufgrund einer inneren Unruhe unmöglich erscheint, stehenzubleiben, um die Natur auf mich wirken zu lassen. Wenn dem so ist, dann werde ich schneller gehen, weil dies meinem augenblicklichen Befinden entspricht. Irgendwann halte ich jedoch inne und nehme ausdrücklich meine Unruhe wahr. In diesem Moment bin ich bereits wieder in der Wahrnehmung. Ich kann mich mit allem, was ist, auch mit allem, was in mir ist, bewusst auf die Wahrnehmung einlassen. Der kontemplative Weg wäre alltagsuntauglich, wenn eine innere Ruhe seine Voraussetzung wäre. Wenn ich unruhig bin, so nehme ich dies wahr, doch dann achte ich darauf, was außer meiner Unruhe auch noch da ist. Ich vollziehe damit die Wende nach außen und verändere somit meine Blickrichtung: Ich lenke meine Aufmerksamkeit von meiner Unruhe hin zur Natur, einer Realität, die auch noch da ist.

      Die Wende nach außen, zu dem, was auch noch da ist, gilt es auch zu vollziehen, wenn ich bemerke, dass ich abgelenkt bin, weil mich meine Gedanken in die Vergangenheit oder in die Zukunft führen. Immer wenn mir dies bewusst ist, habe ich die Möglichkeit, meine Aufmerksamkeit wieder zur Natur zu lenken. Ich öffne mich ihr wieder, um mich von ihrer Schönheit, Vielfalt und Weisheit beschenken zu lassen.

      Diese Geschenke der Natur empfing eine Frau in einer schwierigen Lebensetappe. Sie war nach einigen Jahrzehnten im Ausland nach Europa zurückgekehrt und hatte große Schwierigkeiten, sich wieder einzuleben. Sie fühlte sich fremd und heimatlos. Auf dem Spaziergang machte sich in ihr das Gefühl der Heimatlosigkeit bemerkbar. Sie spürte es als eine unruhige Traurigkeit und innere Leere. Sie blieb mit ihrer Aufmerksamkeit jedoch weder bei ihren Gefühlen noch bei ihren Gedanken hängen, sondern lenkte sie immer wieder bewusst auf die Natur. Für diese Wende verhalf ihr die kleine Frage: Was ist da noch? Was ist außer meinen Gedanken auch noch da? Sie entdeckte einen orange blühenden Strauch, den sie noch nie gesehen hatte. Es war kein einheimisches Gewächs und sie dachte sich, dass er eigentlich nicht hierhergehörte. Dieser Strauch hatte jedoch trotzdem seinen Platz gefunden und blühte jetzt wunderschön, auch wenn er fremd bleiben würde. Sie blieb lange vor dem Strauch stehen und spürte, wie sie immer ruhiger wurde. Sie konnte einwilligen, dass vielleicht auch sie hier immer fremd bleiben würde. Die Natur hatte ihr jedoch gezeigt, dass auch sie an diesem Platz, wo sie jetzt lebte, ihr Leben zum Blühen bringen konnte.

       Gott ist da, aber wir nehmen ihn nicht wahr! 13

      Die Aussage, dass Gott da ist, gründet in der Selbstoffenbarung Gottes „Ich bin der ‚Ich-bin-da‘“ (Ex 3,14). Gott sagt nicht: Ich bin der, der da sein wird, wenn du es geschafft hast, so und so zu sein. Er sagt auch nicht: Ich bin der, der da war damals, als bei dir noch alles in Ordnung war. Gott hat sich klar als ein Gott der Gegenwart zu erkennen gegeben und ist konsequenterweise in der Gegenwart wahrnehmbar. Da unsere Wahrnehmungsfähigkeit jedoch begrenzt ist, nehmen wir stets nur einen Teil der Wirklichkeit wahr.

      Die Folgen dieser eingeschränkten Wahrnehmung veranschaulicht eine Parabel von fünf Blinden, die die Aufgabe bekommen haben, einen Elefanten zu beschreiben. Der erste Blinde fasst das Bein des Elefanten an und ist sich sicher: Ein Elefant sieht aus wie eine Säule. Der zweite Blinde, der den Schwanz des Elefanten untersucht, sagt: Ein Elefant sieht aus wie ein Seil. Der dritte Blinde widerspricht sofort: Ein Elefant sieht aus wie eine Schlange. Er hatte den Rüssel des Elefanten angefasst. Der vierte Blinde schüttelt den Kopf und sagt: Ein Elefant ist mit einer Wand vergleichbar. Dieser Mann hatte den Rumpf des Tieres berührt. Der fünfte

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