Die Farben einer parallelen Welt. Mikola Dziadok

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Die Farben einer parallelen Welt - Mikola Dziadok

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einer weiteren Welle der „Humanisierung“ wurde der Zeitraum auf zehn Tage reduziert, aber de facto hat sich nichts geändert, denn hier ist die Rede von einer einmaligen Strafe für ein einzelnes Vergehen. Aber bei sogenannten Vergehen in der Strafisolation kann ein Gefangener so lange dort festgehalten werden, wie es beliebt. „Schläft auf dem Boden“ ist dafür nicht der einzige Grund. In jeder Strafkolonie gibt es eine eigene Standardbegründung, die für einen Häftling zurechtgebastelt wird, um seinen Aufenthalt in der Strafzelle zu verlängern. Irgendwo heißt es dann, er habe nicht aufgeräumt, irgendwo anders ist es ein nicht zugeknöpfter Knopf …

      Ich werde nie vergessen, wie ich in der Strafkolonie Nr. 17 in Schklou bereits zwei Stunden nach meiner Ankunft im Strafisolator landete und mich entschied, dass ich ihnen keinen weiteren Vorwand liefern und alles strengstens nach Vorschrift machen werde! Nichts wird es zu bemängeln geben, und nach zehn Tagen werden sie mich raus lassen. Mit einem winzigen Lappen putzte ich die ganze Zelle. Ich beseitigte die Spinnweben, den Staub, den Schmutz, sogar an den Stellen, an denen ich sicher war, dass sie seit dem Bau der Baracke nicht mehr sauber gemacht wurden. Dann erfolgt die Abendkontrolle. Die Zellentür öffnet sich, gleich drei Aufseher und der diensthabende Vertreter des Koloniechefs stürmen buchstäblich in die enge Kammer und fangen an rasend ihre Köpfe hin und her zu drehen, mit den Händen über die Regale, die Kanten der Pritsche, den Heizkörper, über den Tisch zu fahren, sie bücken sich, klettern unter den Tisch und kriechen fast schon auf allen Vieren, suchen nach Staub und wenigstens einem kleinen Fleckchen Schmutz. Alles vergeblich, die Zelle glänzt. Dann drückt einer der Aufseher, der zuvor mit der Hand über das Regal gefahren ist, auf die Stelle, wo die alte Farbe abgeblättert ist und verreibt sie zwischen seinen Fingern – winzige Farbpartikel bleiben auf seiner Hand.

      „Oh! Da haben wir es ja: Staub! Dann setzen wir aber gleich mal ein Protokoll auf.“

      Was ich denen geantwortet habe, weiß ich nicht mehr. Aber dieser Vorfall erledigte endgültig den Glauben, ein politischer Gefangener könne in der Zone3 so leben, dass man ihn in Ruhe lässt.

      Ein anderer Fall aus der Strafkolonie Nr. 9, in Horki. Ein Gefangener, der wusste, dass die Bullen wütend auf ihn waren und seine Strafisolation sehr wahrscheinlich verlängern wollten, verhielt sich vorbildlich. Er knöpfte seine Uniformjacke bis zum letzen Knopf zu, schlief tagsüber nicht. Und so bricht ein weiterer Tag an. Die Mittagszeit ist vorüber. Ein paar der Jungs, die mit ihm in der Zelle saßen, strecken sich auf dem Boden aus und schnarchen vor sich hin. Die Zellentür öffnet sich und der Vertreter des Koloniechefs tritt ein. Die da schlafen, beachtet er gar nicht. Mit dem vermeintlich vorbildlichen Gefangenen findet aber ein Gespräch statt:

      „Und warum schläfst du nicht?“

      „Ich halte mich an die Vollzugsordnung!“

      „So so, du hältst dich dran … Na, das gibt ein Protokoll – ein Protokoll!“

      Und dann kann der Gefangene vor der Disziplinarkommission versuchen, so lange zu beweisen, wie er will, dass er nicht geschlafen und auch sonst nichts verbrochen hat. Ich habe von keinem einzigen Fall gehört oder einen solchen erlebt, bei dem solche Erklärungen jemals, auch nur ein einziges Mal, irgendjemandem geholfen hätten, die Strafe wenigstens zu reduzieren, geschweige denn sie ganz abzuwenden.

      In der Strafkolonie Nr. 17, in Schklou, in den alten Zeiten, als man in der Zone noch öfter Handys finden konnte, hämmerten die gefängnisinternen operativen Ermittler5 den Häftlingen ein: Wer mit einem Handy erwischt wird, wandert für dreißig Tage in den Strafisolator! – Aber wie können es denn dreißig Tage sein, laut Gesetz sind doch maximal fünfzehn zulässig? Das heißt: Jemand ist noch gar nicht im Isolator gelandet, und die Bullen wissen schon, dass er dort einen „Regelverstoß“ begehen wird und man ihm noch weitere fünfzehn Tage drauflegen wird?

      Die Unverschämtheit der Aufseher und die Gewöhnung der Häftlinge an die Willkür erreicht absurde Dimensionen. Ein ehemaliger Insasse der Strafkolonie Nr. 8 in Orscha erzählte mir, wie er zusätzliche Tage in der Strafisolation bekam. Bei einer Zellenkontrolle kommt der diensthabende Vertreter des Koloniechefs und geht die Liste der Zelleninsassen durch. Er schaut, welcher Gefangene laut Liste als zuständiger Zellenältester ausgewiesen wird, und wenn es derjenige ist, den die Operativen abzuschießen befohlen haben, sagt er ohne den Blick von der Liste zu heben: „Iwanow6 – Spinnennetzchen“ und geht wieder raus. Das bedeutet, dass in der Zelle unter der Decke eine Spinnwebe hängt. Wenn der Diensthabende meint, da ist eins, spielt es überhaupt keine Rolle, ob da wirklich eines hängt oder nicht. Die Schuld daran trägt der zuständige Zellenälteste, der schlecht aufgeräumt hat. Das bedeutet, gegen ihn wird ein Verstoßprotokoll verfasst, das vom Chef der Strafkolonie bei der Sitzung der Disziplinarkommission geprüft wird und dann entscheiden die anwesenden Vollzugsbeamten, ob gegen Iwanow4 eine Disziplinarmaßnahme verhängt werden muss. Aber diese lange Erklärung braucht der Gefangene nicht. Das Wort Spinnennetzchen neben seinem Namen in der Liste bedeutet nur eines: Sein Aufenthalt im Strafisolator verlängert sich um mindestens zehn Tage. Im Verlauf dieses Spektakels stellt keiner der Anwesenden irgendwelche Fragen, es herrscht völliges Einvernehmen.

      Wie sehr ich auch danach gesucht habe, ich habe keinen Rechtsakt gefunden, der die Gesamtaufenthaltsdauer eines Gefangenen im Strafisolator irgendwie beschränken würde. Die längste Zeit, die ich ohne Unterbrechung in der Strafisoloationszelle verbracht habe, betrug zwanzig Tage und die Gesamtzeit bei meiner Entlassung betrug fast ein halbes Jahr. Der ehemalige politische Gefangene Jauhen Waskowitsch verbrachte im Gefängnis von Mahiljou dreißig Tage am Stück in der Strafisolation, ingesamt verbrachte er dort ein ganzes Jahr. Ich selbst wurde Zeuge, wie ein Gefangener für sechzig Tage am Stück im Isolator einsaß, weil er die „Selbstverpflichtung zum rechtskonformen Verhalten“ nicht unterschreiben wollte.

      Und mein Zellengenosse in Mahiljou saß 2005 für hundertachtzig Tage am Stück im Strafisolator ein! Alle fünfzehn Tage wurde er in die Gefängnisverwaltung gebracht, um ein weiteres Verstoßprotokoll zu unterschreiben und gleich danach ging’s wieder in die Strafzelle – und das zwölf Mal hintereinander.

      Deshalb, solltet ihr jemals von einem Polizisten, einem ehemaligen oder einem dienstaktiven, von einem staatlichen Journalisten oder von einem korrupten Pseudo-Menschenrechtsaktiven etwas über humane und europäische Standards in belarusischen Gefängnissen hören, dann erzählt ihnen einfach von den Liegestützen in der Nacht, hundertachtzig Tagen Betonkammer und den Spinnennetzchen.

       Juli 2016

      OPJER

      Opjer, der operative Ermittlungsbeamte, ist ein Phänomen der sowjetischen und leider auch der postsowjetischen Realität. Opjer ist das Wort, das jedem vertraut ist, der gerade seiner Freiheit beraubt ist oder es irgendwann einmal war.

      Die mit diesem Wort bezeichnete Person kann ein lächelnder junger Typ sein oder ein kurz vor der Rente stehender Herr mit ergrautem Haar und einem müden Blick, er kann ein Schreihals sein, dessen Augen unruhig hin und her rasen, oder auch ein höflicher Intellektueller, der dich ruhig und konzentriert anschaut, er kann ein willensschwacher Faulenzer oder ein fanatischer Profi sein – so unterschiedlich die Erscheinungen, das Wesen war und bleibt gleich: Opjer.

      Zu Zeiten des zaristischen Russlands wurden sie Gendarmen genannt, später einfach Mitarbeiter der Tscheka5, des UgRO6 und dergleichen Strukturen. Jetzt werden sie „operative Ermittler“, oder auch „Operative“ genannt. Ich frage mich, wie man sie in anderen Ländern nennt? Agents? Polizeiinspektoren? Detectives? Und ziehen sie eine genauso blutige Spur hinter sich her, wie „unser“ Opjer bereits seit rund hundert Jahren?

      Die offiziellen Pflichten eines Operativen, in schönen Gesetzen festgehalten, sind folgende:

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