Katzenmusik. Renate Welsh
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„Ich fürchte mich nicht“, dachte Tani und streckte sich so hoch sie konnte, aber das Fenster war zu weit oben.
Tani setzte sich und betrachtete das Zimmer.
Da stand ein Bett, auf das konnte sie leicht springen. Sie war ja tapfer. Eigentlich war sie Nummer Eins im Tapfersein. Wahed und Talet lagen ja bei Mama im Korb und schliefen. Nur sie allein war unterwegs.
Vom Bett aus konnte sie vielleicht das glatte hohe Ding erreichen und von dort das Fenssterbrett.
„Ich bin tapfer“, dachte sie. „Sehr tapfer.“
Sie schlich auf das Bett zu, machte einen Satz und landete so weich wie im Katzenkorb. Ihre Pfoten sanken ein, als sie auf das glatte hohe Ding zustapfte.
Tani stand und beäugte es, blickte hinüber zum Fenster. Weit weg war das alles. Je länger Tani schaute, umso weiter weg schien es ihr. Die Welt war wirklich sehr groß. Wuchs sie nicht gar von einem Augenblick zum nächsten?
Tani duckte sich, spannte jeden Muskel an, und bevor sie es sich noch einmal überlegen konnte, sprang sie los. Sie schlitterte über das glatte Holz, kam knapp an der Kante zum Stehen. Ihre Beine zitterten, ihr Herz klopfte, das Atmen tat weh.
Wie schön wäre es jetzt, im Korb zu liegen, sich an Mama zu kuscheln und bei ihr zu trinken. Tani hörte ein klägliches Maunzen, erst eine Weile später erkannte sie, dass sie selbst es war, die da miaute.
„Nein“, dachte sie. „Ich geh nicht zurück. Ich bin tapfer. Sehr tapfer …“
Mit diesem Gedanken sprang sie los und landete auf dem Fensterbrett. Ein Sonnenstrahl traf ihre Nase. Sie musste niesen. Dann spürte sie einen warmen Windhauch. Ihr Fell bewegte sich hin und her. Sie begann sich zu putzen.
Vor ihr ging es schräg bergab.
„Jetzt müssten mich Wahed und Talet sehen. Mich, die Erste, die hierher aufs Fenster gekommen ist. Die Tapferste von uns dreien.“
Plötzlich rauschte und knatterte es über ihr, etwas streifte ihren Rücken. Tani schloss die Augen, sie konnte nur noch zittern.
„Mama, Mama!“, wollte sie maunzen, aber aus ihrem rosaroten Mäulchen kam nur ein einziger sehr kläglicher Laut.
Im selben Augenblick streute zwei Stockwerke unter ihr eine alte Frau Maiskörner auf ihr Fensterbrett und der Taubenschwarm flog im Sturzflug darauf zu.
Tani wusste das natürlich nicht, sie konnte nicht glauben, dass die Gefahr vorbei war. Sie saß immer noch mit geschlossenen Augen auf dem Dach und zitterte so sehr, dass sie ins Rutschen kam. Immer schneller schlitterte sie über die Dachziegel und blieb schließlich in der Regenrinne hängen.
Es dauerte lange, bis sie es wagte, die Augen zu öffnen. Sie spähte über die Regenrinne.
Tief, tief unten war die Welt, und zwischen ihr und der Welt war nichts, ein großes, gefährliches Nichts.
Ihr Herz schlug so laut, dass es in ihren Ohren dröhnte.
Inzwischen war die Katzenmutter längst aufgewacht und suchte ihr Kind. Sie suchte im Zimmer, wo der Katzenkorb stand, sie lief in die Küche, ohne ihre Schüssel voll mit Hühnerleber auch nur ein einziges Mal anzusehen. Sie steckte ihre Nase in den Garderobeschrank und in jeden Schuh. Schließlich rannte sie ins Schlafzimmer, dort meinte sie, einen ganz leichten Hauch von Katzenkind zu riechen.
Sie sprang auf das Bett, brachte die Decken durcheinander, kratzte an der Kommode, zerrte die Pullover aus dem Kleiderschrank und rief die ganze Zeit nach Tani.
Tani aber hörte nichts und sah nichts.
Zuletzt sprang die Katzenmutter aufs Fensterbrett und blickte hinaus. Ihr Fell sträubte sich, als sie zwei spitze Ohren in der Regenrinne entdeckte. Sie stieg auf das Dach, stakste vorsichtig abwärts.
Eine Elster, die gerade in diesem Moment übers Haus flog, sah die große graue Katze und ließ vor Schreck den Violinschlüssel fallen, den sie im Schnabel trug.
Der Violinschlüssel trudelte herab und landete auf Tanis Mäulchen. Das ging ganz von selbst auf und der Violinschlüssel klirrte gegen Tanis Milchzähne. Ihre Zunge leckte daran, das war irgendwie tröstlich.
Schritt für Schritt kam die Katzenmutter näher, stand endlich mit weit gespreizten Beinen neben der Regenrinne, senkte den Kopf und packte Tani am Nackenfell. So trug sie ihr Kind über das steile Dach hinauf, stieg durchs Fenster, sprang ins Zimmer und ließ Tani auf den Boden fallen.
Vor Entsetzen war Tani so steif, dass sie hart aufschlug und nicht weich fiel, wie das alle Katzenkinder können. Die Mutter fauchte und miaute und gab Tani zwei kräftige Ohrfeigen, dann legte sie sich einladend hin.
Tani musste den Violinschlüssel ausspucken, bevor sie trinken konnte. Es war herrlich, die Nase in Mamas Bauch zu stupsen. Es war herrlich, Mama zu riechen, ihre Milch zu trinken. Tani nuckelte weiter, als sie schon längst satt war.
Da stand die Mutter auf. „Höchste Zeit nachzusehen, ob deine Schwestern auch so närrisch sind wie du“, miaute sie.
Jetzt erst sah Tani den Violinschlüssel. Er glitzerte neben Mamas grauem Fell. Tani fand ihn schön. Sie konnte gerade noch danach schnappen, bevor Mama sie wieder im Nacken packte und in den Korb zurücktrug. Tani wäre lieber hinter Mama hergelaufen und nicht wie ein Baby zu den Schwestern zurückgeschleppt worden. Die würden nie glauben, was sie alles erlebt hatte!
Wahed und Talet lagen im Korb und schnarchten. Die Mutter fuhr mit ihrer rauen Zunge über die Köpfe der beiden.
„Nimm dir ein Beispiel, Tani!“, miaute sie. „Du bist das schlimmste Katzenkind, das ich je hatte.“
„Das schlimmste Katzenkind“, wiederholte Tani immer wieder, als sie sich an Mamas Bauch kuschelte. „Das schlimmste und das tapferste. Endlich bin ich die Nummer Eins!“
So oft ihre Zunge an den Violinschlüssel anstieß, hatte sie ein komisches Gefühl. Es dauerte lange, bis sie einschlief.
Der Violinschlüssel
Tani wachte auf, weil es links und rechts von ihr plötzlich kalt war. Wahed stapfte von einer Zimmerecke in die nächste, Talet spielte mit den Teppichfransen. Die hatten bestimmt schon die beste Milch getrunken. Und jetzt war Mama überhaupt weg.
Tani jammerte leise vor sich hin.
Wahed stolzierte neben den Korb und tat furchtbar wichtig. „Ich und Talet …“, begann sie.
Talet kam angelaufen und unterbrach sie: „Es heißt Talet und ich, weil man sich nicht zuerst nennen soll!“
„Hab