Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab
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traf er den Sohn des Anchises am Hüftgelenk, zermalmte dieses und zerriß ihm die Sehnen, daß der
Held, die Rechte gegen den Boden stemmend, ins Knie sank und ihm die Sinne vergingen; und er
wäre gestorben, wenn nicht Aphrodite ihren trauten Sohn mit den Lilienarmen umschlungen, ihn mit
den Falten ihres silberhellen Gewandes umhüllt und aus der Schlacht getragen hätte. Sthenelos hatte
inzwischen Wagen und Rosse des Äneas, dem Befehle seines Freundes folgsam, zu den Schiffen
geführt und war auf dem eigenen Wagen bald wieder an der Seite des Tydiden angekommen. Dieser
hatte mit seinen von Athene geöffneten Augen die Göttin Aphrodite erkannt, durch das
Schlachtgetümmel verfolgt und mit ihrer Beute erreicht. Der Held stieß mit der Lanze nach ihr, und
sein Speer drang durch die ambrosische Haut in die Handwurzel, daß ihr unsterbliches Blut zu rinnen
begann. Die verwundete Göttin schrie laut auf und ließ den Sohn zur Erde sinken. Dann eilte sie
ihrem Bruder Ares zu, den sie zur Linken der Schlacht, Wagen und Rosse in Nacht gehüllt, sitzen fand.
»O Bruder«, rief sie flehend, »schaff mich weg, gib mir die Rosse, daß ich zum Olymp entkomme;
mich schmerzt meine Wunde; Diomedes, der Sterbliche, hat mich verwundet: er wäre imstande,
selbst mit unserem Vater Zeus zu kämpfen.« Ares überließ ihr den Wagen, und Aphrodite, auf der
Höhe des Olymps angekommen, warf sich weinend in die Arme ihrer Mutter Dione und wurde von
ihr unter schmeichelnden Trostworten vor den Göttervater geleitet, der sie lächelnd empfing und ihr
entgegenrief: »Drum wurden dir nicht die Werke des Krieges verliehen, mein liebes Töchterchen;
ordne du Hochzeiten und laß die Schlachten den Kriegsgott besorgen!« Ihre Schwester Pallas und
Hera aber sahen sie spöttisch von der Seite an und sprachen stichelnd: »Was wird es sein?
Wahrscheinlich hat die schöne falsche Griechin unsere Schwester nach Troja gelockt, da wird sie
Helenas Gewand gestreichelt und sich mit einer Spange geritzt haben!«.
Drunten auf dem Schlachtfeld hatte sich Diomedes auf den liegenden Äneas geworfen und holte
dreimal aus, ihm den Todesstreich zu versetzen; aber dreimal hielt der zornige Gott Apollo, der nach
der Schwester Verwundung herbeigeeilt war, ihm den Schild vor; und als jener das viertemal
anstürmte, drohte er ihm mit schrecklicher Stimme: »Sterblicher, wage nicht, mit den Göttern dich
zu messen!« Scheu und mit zauderndem Schritt entwich Diomedes. Apollo aber trug den Äneas aus
dem Schlachtgewühl in seinen Tempel nach Troja, wo Leto, seine Mutter, und Artemis, seine
Schwester, ihn in ihre Pflege nahmen. Auf dem Boden, wo der Held gelegen, schuf er sein Scheinbild,
um das sich nun Trojaner und Griechen mit wilden Schlägen und Stößen zankten. Dann ermahnte
Apollo den Ares, daß er den frechen Tydiden, der die Götter selbst bekämpfe, aus der Schlacht zu
entfernen strebe. Und der Kriegsgott, in der Gestalt des Thrakiers Akamas, mischte sich im
Getümmel unter die Söhne des Priamos und schalt sie: »Wie lange gönnet ihr den Griechen das
Morden, ihr Fürsten? Wollt ihr warten, bis um die Tore eurer Stadt selbst gekämpft wird? Wißt ihr
nicht, daß Äneas auf dem Boden liegt? Auf und retten wir den edlen Genossen aus der Hand der
Feinde!« So erregte Ares die Herzen der Trojaner. Sarpedon, der Fürst der Lykier, näherte sich dem
Hektor und sprach zu ihm: »Hektor, wohin ist dir dein Mut geschwunden? Rühmtest du dich doch
jüngst, selbst ohne Verbündete, ohne Heeresmacht, mit deinen leiblichen Brüdern und Schwägern
allein wolltest du Troja schirmen; nun aber sehe ich ihrer keinen in der Schlacht, sie schmiegen sich
alle wie die Hunde vor dem Löwen, und wir Bundesgenossen allein müssen den Kampf
aufrechterhalten!« Hektor fühlte den Vorwurf tief im Herzen, er sprang vom Wagen, schwenkte die
Lanze, durchwandelte ermahnend alle Heldengeschwader und erweckte den tobenden Streit aufs
neue. Seine Brüder und alle Trojaner kehrten die Stirne dem Feinde wieder zu. Auch den Äneas, mit
Gesundheit und Kraft erfüllt, sandte Apollo wieder in den Kampf, daß er sich plötzlich unverletzt den
Seinigen wieder zugesellte. Alle freuten sich, aber keiner nahm sich Zeit, ihn zu fragen; sie stürzten
nur miteinander in die Schlacht.
Aber die Danaer, Diomedes, die beiden Ajax und Odysseus an der Spitze, erwarteten ruhig die
Heranstürmenden wie ein unbewegliches Gewölk; und Agamemnon durcheilte die Heerschar und
rief: »Jetzt seid Männer, o ihr Freunde, und ehret euch selbst in der Schlacht; denn wo ein Volk sich
selbst ehrt, da stehen mehr Männer als fallen; aber für den Fliehenden gibt es keinen Ruhm und
keine Rettung!« So rief er, schickte zuerst den Speer gegen die heranrückenden Trojaner ab und
streckte den Freund des Äneas, den hochgeehrten Deïkoon, der immer im Vorderkampfe stritt,
nieder. Aber auch die gewaltige Hand des Äneas tötete zwei der tapfersten Danaer, Krethon und
Orsilochos, Söhne des Diokles, die zu Pherai im Peloponnes wie zwei freudige Berglöwen zusammen
aufgewachsen waren. Um die Gefallenen trauerte Menelaos, schwenkte den Speer und warf sich
rasch in das vorderste Gewühl. Ares selbst spornte sein Herz, denn er hoffte, daß ihn Äneas fällen
werde. Aber Antilochos, Nestors Sohn, um den Völkerhirten besorgt, stürzte gleichfalls hervor an
seine Seite, während jene beiden schon voll Kampfgier ihre Lanzen gegeneinander gezückt hatten.
Als Äneas zwei Helden sich gegenübersah, wich er zurück; Menelaos und Antilochos retteten die
beiden Leichen aus den Händen der Feinde und übergaben sie den Freunden; sie selbst wandten sich
dem Vorkampfe wieder zu. Menelaos durchstach den Pylaimenes, Antilochos hieb seinem
Wagenlenker Mydon das Schwert