Die schönsten Sagen des klassischen Altertums - Zweiter Teil. Gustav Schwab
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Götter demütigten sich unter dieses zornige Wort; Zeus selbst bestieg seinen Donnerwagen und fuhr
nach dem Ida, wo er einen Hain und Altar hatte. Dort setzte er sich auf die Höhe und überschaute mit
freudigem Trotze die Stadt der Trojaner und das griechische Schiffslager. An beiden Orten warfen
sich die Männer in die Rüstung. Der Trojaner waren zwar weniger, doch waren auch sie nach der
Schlacht begierig, galt es ja den Kampf für ihre Weiber und Kinder. Bald öffneten sich bei ihnen die
Tore, und ihr Kriegsheer stürzte, zu Fuß und zu Wagen, unter Getümmel heraus. Den Morgen über
wurde mit gleichem Glücke gekämpft, und auf beiden Seiten strömte viel Blut auf den Boden. Als
aber die Sonne hoch am Mittagshimmel stand, legte Zeus zwei Todeslose in seine goldene Waage,
faßte sie in der Mitte und wog in der Luft. Da sank das Verhängnis der Griechen, daß ihr Gewicht sich
bis zur Erde niedersenkte und das der Trojaner zum Himmel emporstieg.
Mit einem Donnerschlage kündigte er die verwandelte Schickung dem Heere der Griechen an, indem
ein Blitzstrahl mitten unter dasselbe herabfuhr. Bei diesem Anblicke durchschauderte ein
ahnungsvoller Schrecken die Reihen der Griechen, und die größten Helden fingen an zu wanken.
Idomeneus, Agamemnon, die beiden Ajax selbst hielten nicht mehr stand. Bald war nur noch der
greise Nestor im Vorderkampf zu schauen, aber auch dieser nur gezwungen; denn Paris hatte sein
Roß vorn am Mähnenbusch mit einem Pfeile tödlich getroffen. Das Pferd bäumte sich angstvoll und
wälzte sich bald mit seiner Wunde; während nun Nestor dem Nebenroß die Stränge mit seinem
Schwert abzuhauen bemüht war, kam Hektor mit seinem Wagen, in der Verfolgung der Griechen
begriffen, auf ihn zugefahren; und jetzt war es um das Leben des edlen Greises geschehen, wenn
nicht Diomedes herbeigeeilt wäre. Dieser schalt den mit umgewandtem Rücken den Schiffen
zufliehenden Odysseus und ermunterte ihn vergebens zur Abwehr; dann stellte er sich selbst vor die
Rosse Nestors, überantwortete sie dem Sthenelos und Eurymedon und nahm den Greis auf seinen
eigenen Wagen. Hierauf ging er mit ihm gerade dem Hektor entgegen, schickte seinen Speer ab und
verfehlte zwar den Helden selbst, durchschoß jedoch seinem Wagenlenker Eniopeus die Brust, daß er
dem Wagen entsank. So tief ihn der Tod des Freundes schmerzte, ließ ihn Hektor doch liegen, rief
einen andern Helden herbei, die Rosse zu lenken, und flog dem Diomedes entgegen. Hektor wäre
verloren gewesen, wenn er sich mit dem Tydiden gemessen hätte, und der Göttervater wußte wohl,
daß mit seinem Sturze sich die Schlacht gewendet und die Griechen noch an diesem Tage Ilion
erobert hätten. Dies wollte Zeus nicht und schleuderte dicht vor dem Wagen des Diomedes einen
Blitzstrahl in den Boden. Nestor ließ vor Schrecken die Zügel aus den Händen fahren und sprach:
»Auf, Diomedes, wende deine Rosse zur Flucht; erkennst du nicht, daß Zeus dir heute den Sieg
verweigert?« »Du hast recht, o Greis«, erwiderte dieser, »aber es empört mir das Herz, wenn Hektor
einst in der Versammlung der Trojaner sagen darf: der Sohn des Tydeus hat sich vor mir in banger
Flucht den Schiffen zugewendet!« Aber Nestor sprach: »Was denkst du, wenn dich Hektor auch feige
schilt, werden ihm die Troer und Troerinnen glauben, deren Freunde und Gatten du in den Staub
gestreckt hast?« Mit diesen Worten wandte er die Rosse zur Flucht, und Hektor, mit seinen Trojanern
nachstürmend, rief. »Tydide, dich ehrten die Griechen in der Versammlung und beim Festmahl;
künftig verachten sie dich wie ein zagendes Weib! Du bist es nicht, der Troja erobern und unsere
Frauen zu Schiffe wegführen wird!« Da besann sich Diomedes dreimal, ob er die Rosse umlenken und
dem Höhnenden entgegenfahren sollte; aber dreimal donnerte Zeus fürchterlich vom Ida her, und so
setzte er die Flucht und Hektor die Verfolgung fort.
Vergebens wollte Hera, die dies mit Kummer sah, Poseidon, den besondern Schutzgott der Griechen,
bewegen, seinem Volke beizustehen; er wagte es nicht, gegen das zornige Wort seines mächtigen
Bruders zu handeln. Jetzt waren die Fliehenden mit Roß und Mann am Wall und Graben vor den
Schiffen angekommen; und gewiß wäre Hektor eingedrungen und hätte die Brandfackel ins
Schiffslager der Griechen geworfen, wenn nicht Agamemnon, von Hera ermutigt, die verstörten
Griechen um sich gesammelt hätte. Er betrat das gewaltige Meerschiff des Odysseus, das in der Mitte
stand und hoch über die andern hervorragte. Hier stand er auf dem Verdeck, den schimmernden
Purpurmantel mit der nervigen Rechten sich über die Schulter schlagend, und rief, auf der einen Seite
zu den Gezelten des salaminischen Ajax, auf der andern zu denen des Peliden hinab, wo auf beiden
Seiten das flüchtende Heer sich zusammendrängte: »Schämet euch, Verworfene«, rief er, »wo ist
euer Heldenmut jetzt, ihr Prahler bei den Krügen? Vor dem einen Hektor sind wir jetzt zunichte
geworden; bald wird er unsere Schiffe in Brand stecken. O Zeus, mit welchem Fluche hast du mich
beladen! Wenn ich dich je mit Gebeten und Opfern geehrt, so laß mich jetzt wenigstens entfliehen
und entkommen und nicht hier bei den Schiffen von der Macht der Trojaner erdrückt werden!« So
rief er unter Tränen, daß es den Göttervater selbst erbarmte und er den Griechen ein heilvolles
Zeichen vom Himmel sandte, einen Adler, der ein junges Reh in den Klauen trug und vor dem Altar
des Zeus selbst niederwarf.
Dieses Zeichen stärkte die Danaer, und aufs neue flogen sie vorwärts, dem Gewühl der
eindringenden Feinde entgegen. Vor allen andern sprengte Diomedes mit seinen Rossen über den
Graben hervor und stieß den Trojaner Agelaos, der vor ihm seinen Streitwagen