Berührungen. Gunter Preuß

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Berührungen - Gunter Preuß

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nach frischen Brötchen, die sie aufschnitt und beide Seiten großzügig mit Butter bestrich.

      »Du bist jetzt fast vierzehn Jahre alt, Junge«, sagte sie, besorgt hatte sie den dunklen Flaum über seiner Oberlippe bemerkt. »Das heißt nicht, dass du erwachsen bist, das nicht. Aber du bist getauft und sollst auch weiter als Christenmensch durchs Leben gehen. In einem Jahr verlässt du die Schule. Ich will, dass du konfirmiert wirst. Alles soll seine Ordnung haben.«

      Bernhard erinnerte sich mit Unbehagen an Liebgotts Unterrichtsstunden und fürchtete einen neuen hinterhältigen Diener Gottes. Herbert Weisert drohte ihm: »Wenn du zu den Pfaffen gehst, brauchst du dich bei den Thälmannpionieren nicht mehr blicken lassen. Und deine Aufnahme in die Freie Deutsche Jugend kannst du dann vergessen.«

      Bernhard sah die Welt nicht wie die Erwachsenen und mancher seiner Mitschüler in zwei einander feindliche Lager gespalten, und so konnte er sich auch zu keinem bekennen. Er glaubte nicht an »Klassenfeindschaft«, einen neuen Krieg, an Verzweiflung und Tod, er konnte schnell vergessen, er war voller Glauben ans Paradies, und er suchte es nicht in weiter Ferne oder womöglich im Himmel, sondern auf der Erde, vielleicht ganz in der Nähe, er musste es nur noch finden. Er lebte in gespannter Erwartung und ahnte Ungeheures, er rannte mehr als er ging, um nichts zu verpassen. Begehrlich und scheu zugleich fing er lächelnde Blicke schöner Frauen auf, die sich verlorener Träume erinnerten, ihres ersten scheuen Kusses gedachten und ihres Glaubens an die unvergängliche Liebe. Sein Herz klopfte wild. Er errötete, wenn er nur von ferne ein Mädchen sah. Er begehrte alle und wusste von keiner. Seine Träume verschafften ihm für kurze Zeit Lust und Erlösung, für die er sich dann schämte.

      Die Jungen trafen sich in den Kanalwiesen. Sie betasteten aneinander die Steifheit ihrer Glieder. Sie sprangen nackt umher, griffen sich zwischen die Oberschenkel, lachten und johlten. Sie riefen nach »Weibern«, erzählten von ihren Müttern und Schwestern, bei denen sie dies und das entdeckt hatten. Sie grölten über schmutzige Witze, die sie laut tönend zum Besten gaben. Den unterernährten und etwas zurückgebliebenen Millich quälten sie mit bissigen Bemerkungen, weil er noch keine Haare an seinem »Ding« aufweisen konnte und es nicht schaffte, sein Glied steif zu bekommen. Sie riefen ihn »taubes Ei« und »leerer Sack«. Einmal, als sie, sich als Wilde wähnend, nackt umhersprangen und der Ruf nach »Weibern« laut wie nie wurde, tauchte Michas ältere Schwester auf, die den Bruder nach Hause bringen sollte. Die Jungen sprengten mit erschrockenen Aufschreien auseinander, rissen ihre Sachen an sich und verdrückten sich in den Wiesen.

      Bernhard war bei allem dabei, es gefiel ihm umso mehr, je unbändiger es zuging, es war wie ein Sog, dem er nicht widerstehen konnte. Auf dem Nachhauseweg wurde ihm entsetzt bewusste: Er war nicht dazu geschaffen, ein »Heiliger« zu sein. Das Sterntalermädchen aus dem Märchen, das ihm in ihrer geschlechtslosen Reinheit jahrelang nahe gewesen war, zeigte sich unter ihrem dünnen Hemdchen aufreizend nackt, sie hatte Beine, Hüften und Brüste bekommen, und sie sprach mit dunkler und betörender Stimme zu ihm.

      »Ich kann nicht in den Konfirmationsunterricht gehen«, wehrte er sich gegen die Weisung der Mutter.

      »Was soll das denn heißen – du kannst nicht? Warum kannst du denn nicht?« Maria sah, roch, fühlte. »Findest du nicht auch«, sagte sie zu Bolz, »dass der Junge anders geworden ist. Selbst seine Stimme klingt verändert. Er sagt manchmal Worte, also ich weiß nicht ...«

      Bolz lachte beruhigend. »Aus dem Jungen wird ein Mann, Maria. Es wird nicht lange dauern, da bringt er uns ein Mädchen ins Haus. Und ehe wir uns versehen, ist er, wie die anderen auch, auf und davon.«

      Maria griff sich ans Herz, ihre Lippen färbten sich blau, sie rang nach Luft und stöhnte. Bolz bettete sie aufs Sofa und legte ihr einen kalten Waschlappen auf die Brust. Charly griente, zweifelnd und ohnehin hilflos, griff seine Aktentasche, warf sich die Jacke über und schloss sich Rita an. Die »Große« dachte an das Nächstliegende und machte sich auf die Suche nach einem funktionierenden Telefon, um den Arzt herbeizurufen.

      »Du wirst doch tun, was ich dir sage, Bernd, mein Junge?« Maria rang nach Luft, sie zitterte am ganzen Körper und war nicht zu beruhigen.

      Kunzke war vor ein paar Tagen abgemagert und verlegen lächelnd aus dem Krankenhaus in seine Klasse zurückgekehrt. Aus »gesundheitlichen Gründen« hatte man ihn von seiner Direktorstelle befreit. Die Jungen versuchten, ihrem Klassenleiter den Neuanfang leicht zu machen. Selten musste er sie ermahnen, ein Donnerwetter bekamen sie schon gar nicht von ihm zu hören.

      Bernhard ging freitagnachmittags zum Konfirmationsunterricht in das kleine Pfarrhaus, das hinter der von Gewehrschüssen gezeichneten Kirche stand. Pfarrer Wendt, etwa fünfzig Jahre alt, reckte spähend den bleichen, hageren Schädel aus dem ihn eng einschließenden schwarzen Anzug. Mit zur Aufmerksamkeit zwingender Stimme und bereden Bewegungen der rötlich behaarten Hände trug er die biblischen Geschichten vor. Er sprach auch von der schweren Zeit der Prüfung, die den Gläubigen auferlegt worden sei, und dass die Christen sich jetzt enger denn je um ihren alleinigen Gott zusammenfinden müssten.

      Bernhard gefiel seine Beredsamkeit, die Auftritte eines großen Mimen auf kleiner Bühne. In seiner kämpferischen Haltung erinnerte Pfarrer Wendt ihn an Direktor Kunzke. Auch beim Pfarrer spürte er die unumstößliche innere Überzeugung. Was er sagte, klang wahr, wie auch bei Kunzke, nur dass der Lehrer einen Gott für eine Märchenfigur hielt und über ihn lachte, während der Pfarrer ihn als lebendig bezeichnete und anbetete. Gab es also zwei Wahrheiten? Hörte Bernhard Kunzke zu, so glaubte er mit ihm an die Allmacht des Menschen, an seine Berufung zur Herrschaft über die Welt. Hörte er Wendt reden, war ihm der in den Himmeln verborgene Herrgott nahe, dem Rübezahl ähnlich, der als Berggeist den Menschen, je nachdem, ob sie ihn als übermächtigen Herrn anerkannten oder nicht, Gutes tat oder sie ins Unglück stürzte. Er fühlte sich atmen durch seinen Atem und sah sich ameisengroß auf der Erde nach seinem göttlichen Willen umhertrippeln. Pfarrer Wendt schaffte es, Bernhard noch einmal eine Tür zum Garten Eden zu öffnen. Der Junge schlüpfte durch, es war nur ein Schritt, und er tummelte sich kindlich selig mit seinesgleichen auf samtenen Wiesen zwischen Löwen, Lämmern und Tigern. In solchen Augenblicken war er ohne Wünsche, sein Glück war vollkommen. Es gab keine »Weiber« mehr, das Sterntalermädchen, im strahlend weißen Hemd, lächelte ihm schwesterlich zu.

      »Bernhard ist auf dem rechten Weg«, beantwortete Pfarrer Wendt Marias besorgtes Nachfragen. »Ihr Sohn hat begriffen, dass der Glaube das Leben selbst ist.« Und Kunzke versicherte Maria beim Elternabend: »Bernhard wird den richtigen Weg gehen, Frau Bolz. Sein Bewusstsein ist stark gewachsen, er hat begriffen, dass er wissen muss, um zu leben.«

      Die Mutter lächelte, sich ihrer Macht bewusst.

      Bernhard fühlte sich rastlos wie das Pendel einer Uhr, er schwang hinüber und herüber und verlor an Kraft. Er suchte, nicht begreifend, Schutz bei Maria, ließ sich von ihr in die Arme nehmen, ihm wurde verziehen und er fühlte sich geliebt.

      Aber kaum wieder erholt und auf der Straße, vergaß er, packte ihn Unruhe, wurde er bestimmt von dem quälenden Willen, alles zu sehen, zu riechen, zu atmen, anzufassen und zu bewegen. Ungeheures passierte in der Welt. Er wollte dabei sein. Mit Ungeduld wartete er auf seinen Schulabgang. Die Oberschule kam für ihn nicht infrage, es drängte ihn auch keiner, obwohl seine schulischen Leistungen besser geworden waren. Der Abschluss der achten Klasse reichte für einen Lehrberuf. Er war es müde still zu sitzen. Was er tun wollte, wusste er nicht, es war ihm gleichgültig, wenn er nur etwas tun konnte.

      Kurz vor der Konfirmation, in den letzten Stunden bei Pfarrer Wendt, fiel er zurück in Verdammnis, das Spiel mit den wilden Tieren langweilte ihn, die Früchte des Gartens Eden verloren ihre Süße, die Blüten ihren Duft. Das Sterntalermädchen blinzelte vorwurfsvoll und puppenhaft blöd. Margitta Krüger, die lange Zeit nicht mehr in der Schule gewesen war und die er fast vergessen hatte, kam zum Konfirmationsunterricht in blau-weiß

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