Polstead Hall oder Die Frau in Rot. Katja Pelzer

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Polstead Hall oder Die Frau in Rot - Katja Pelzer

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und war froh schnell etwas Neues zu finden. Am nächsten Tag trat sie ihre Stelle an. Ihre Arbeitgeberin, Mrs Cooke, lebte im Herrenhaus der Familie ihres verstorbenen Mannes. Ganz aus hellem Sandstein glich es einer schlafenden Schönheit, deren beste Jahre lange zurücklagen. Das Gemäuer war zum letzten Mal im frühen 19. Jahrhundert renoviert worden und stand inmitten eines hügeligen ehemaligen Wild-Parks mit vereinzelten hohen Bäumen. Die legendäre über tausend Jahre alte Gospel Oak war im Jahr zuvor plötzlich in sich zusammengefallen, als habe sie die Last ihres Alters nicht mehr tragen wollen und war bis auf ein paar Reste verfeuert worden. An ihrer Stelle wuchs nun eine frisch gepflanzte junge Eiche. Marie war traurig, dass sie den alten Baum, gemessen an seinen Jahren, nur um die Länge eines Wimpernschlags verpasst hatte.

      Eine helle Kiesauffahrt führte zu der überdachten und von zwei weißen, toskanischen Säulen flankierten Eingangstür. Als Marie sie zum ersten Mal hochlief, schien die Sonne und tauchte das karamellfarbene Sandsteingebäude in weiches Licht. Marie konnte ihr Glück kaum fassen. Das sollte ihr neues Zuhause sein? So nah war sie ihrem Prinzessinnentraum noch nie gekommen.

      Im linken Flügel des Herrenhauses wohnte Mrs Cookes jüngere Tochter Sarah mit ihrem Mann und zwei Kindern. Im rechten lebte die ältere Tochter Margret, allein.

      Eine Wand in Maries Zimmer im ersten Stock bedeckte ein schwarz-weißes Fries mit Ranken, Pflanzen und Säulen. Durch diese Szenerien kämpften sich mit Schwertern ausgestattete Ritter. Alles im Stil der Renaissance aus dem frühen 16. Jahrhundert. Das Werk trug den Titel The Labours of Hercules. Marie blieb davor stehen und hatte selbst das Gefühl, die Ranken zögen sie mitten hinein in die Vegetation. Es fühlte sich beinahe an wie ein Spaziergang im Wald in der Nähe ihres kleinen Heimatdorfes. Und sie merkte, dass sie froh war, wieder auf dem Land zu sein. Fort aus Colchester.

      Maries Zimmer war groß. In seiner Mitte stand ein einfaches Metallbett. Aus dem Fenster blickte sie weit über den Park bis zu dem Friedhof mit der hübschen kleinen Kirche St. Mary. Marie fühlte sich sofort wohl in ihrem neuen Zuhause.

      Mrs Cooke war eine reizende Frau und Maries Englisch war mittlerweile gut genug, um sich über die wichtigsten Dinge mit ihr zu verständigen.

      Margret zeigte Marie, wie man Shepherd’s Pie kochte, Steak and Kidney Pie backte und alle möglichen Pasta-Gerichte, die zu dieser Zeit gerade in England in Mode kamen.

      Sarah hielt sich aus der Küchenarbeit völlig raus, da sie selbst Köchin in einem großen Hotel war. Sie verdiente das Geld für die Familie. Ihren Ehemann sah Marie meist, wie er sein Segelboot polierte. Hier und da etwas ausbesserte oder das Segel flickte.

      Die Kinder waren gut erzogen. Das Mädchen knickste zur Begrüßung und der Junge verneigte sich leicht. Sie waren beide freundlich, gar kein Vergleich zu den Harris-Blagen.

      Kapitel 5

      Wenn Marie mit Edith am Wochenende in Colchester ausging, kam sie erst mit dem letzten Bus zurück nach Polstead. In den dunklen Gassen hörte sie nichts als ihre eigenen Absätze. Von dort führte ihr Weg über den kleinen Friedhof von St. Mary. Um sich selbst Mut zu machen, schaltete Marie an dieser Stelle immer ihre Taschenlampe an. Dennoch sprang ihr Herz im schnellen Galopp. Sie hatte viele Geschichten gehört. Unter anderem die von der alten Frau im Pfarrhaus, die verrückt sein sollte und beim Schein des Vollmonds Monat für Monat Kräuter zwischen den Gräbern pflückte, um sich daraus einen magischen Trank zu brauen. Jedes Mal wenn Marie nachts hier entlang kam, fürchtete sie, die alte Frau könne plötzlich vor ihr stehen. Doch bisher waren ihr nur Käuzchen begegnet. Einmal leuchteten im Dunkeln die Augen einer Katze. Im Sommer waren es schon einmal Glühwürmchen die vor der Hecke tanzten, die den Kirchhof einfasste. Sobald sie im Park war, hatte Marie einen ganzen Pulk von Begleitern. Ein Bauer hatte das Land der Cookes gepachtet und weidete hier seine Kühe. Die schliefen nachts im Schutz der hohen alten Bäume. Der Pegel der Taschenlampe weckte sie jedoch und zog sie magisch an. Sie folgten ihm und Marie über das Grün hinweg bis zum Eingang des Herrenhauses. Marie fühlte sich von den Kühen beschützt. Sie hatte sich angewöhnt, in einem leisen Singsang mit ihnen zu sprechen. Es wurde zu einer Art Ritual ihrer Ausgeh-Abende. So endeten diese jedes Mal mit einer Herde Kühe vor den ehrwürdigen weißen Säulen von Polstead Hall. Sobald Marie die Tür geschlossen hatte, trollten sich die Tiere wieder unter die Bäume, um weiterzuschlafen.

      Als sie einmal nach einem Treffen mit Edith nachts durch die dunklen Gassen von Polstead lief, hörte sie hinter sich einen Wagen. Er näherte sich sehr langsam und fuhr dann einige Meter neben ihr her. Marie ignorierte das Auto und ging scheinbar ruhig ihres Wegs, während sie meinte, ihr Herz im ganzen Körper zu spüren. „Mary“, sagte da plötzlich eine bekannte Stimme. Und als Marie den Kopf wendete, sah sie Sarah, die jüngere der beiden Cooke-Töchter hinterm Steuer sitzen. „Do you want a lift?“

      Erleichtert lachte Marie auf und stieg neben Sarah in den Wagen.

      Eine Woche später, kam sie wiederum aus Colchester von einem Treffen mit Edith und überquerte den Friedhof. Als sie fast bei der Kirche angekommen war, huschte eine Gestalt in einem roten Kleid durch den Lichtkegel ihrer Taschenlampe und zwischen den Grabsteinen hindurch. Vor Schreck wäre beinahe Maries Herz stehen geblieben oder ihr zumindest die Taschenlampe aus der Hand gefallen. Als sie sich aus ihrer Starre gelöst hatte, begannen ihre Beine ohne ihr Zutun zu rennen, den Hügel hinauf auf das rettende Haus zu. Die Zweige der Büsche griffen gierig nach ihr. Einer verhakte sich in der Tasche ihres Mantels, die zerriss, als Marie sich voller Panik wehrte. Die Kühe konnten nicht mithalten und trollten sich bevor Marie die Tür erreicht hatte wieder zu ihren Schlafstellen an den Büschen und unter den Bäumen. Es knisterte und knackte, als sie sich niederlegten und Marie verlor beinahe den Verstand vor Furcht. Sie schien eine Ewigkeit zu laufen, ohne sich der Tür zu nähern. Dann endlich stand sie zwischen den Säulen und versuchte den Schlüssel in das Schloss zu stecken. Doch so sehr zitterte ihr die Hand, während sie sich ängstlich umschaute, dass sie mehrfach das Schloss verfehlte. Viel zu langsam öffnete sich endlich die große Tür und sie stolperte hinein. Noch in der Tür drehte sie sich um. Da war nichts. Und doch spürte sie etwas. Sehen konnte sie lediglich die Auffahrt und die Schemen der Bäume in der Dunkelheit. Der Wind heulte leise, wie eine gequälte Seele. Marie schloss schnell und viel zu laut die Tür und lief rasch auf ihr Zimmer. Dort rettete sie sich in ihr Bett und zog sich die Decke bis über die Ohren. Die Aufregung wich lähmender Müdigkeit. Und wenige Augenblicke später zog der Schlaf sie in die traumlosen Tiefen seines dunklen Ozeans.

      Kapitel 6

      Als sie am nächsten Morgen aufwachte, trug sie noch sämtliche Kleider. Nur die Schuhe hatte sie im Schlaf abgestreift.

      Nach dem Lunch mit Mrs Cooke, ging Marie auf den Friedhof, um das Grab näher zu betrachten, hinter dem in der Nacht die Gestalt im roten Kleid verschwunden war. Maria Marten war in den Stein geritzt und die Jahreszahlen 1802-1828.

      Ohne dass Marie wusste warum, klopfte ihr Herz bis zum Hals und sie fröstelte in dem ohnehin noch recht kühlen Frühjahr von Suffolk. Gedankenverloren strich sie über den verwitterten Stein, seine poröse Oberfläche fühlte sich an wie Schmirgelpapier. Mit 26 Jahren war diese Frau gestorben. Da fing das Leben doch erst an! Schließlich hatte sie zu viktorianischer Zeit gelebt und nicht im Mittelalter. Ob sie an einer schlimmen Krankheit gestorben war? Die Medizin war zu jener Zeit ja noch nicht besonders weit gewesen. Marie wollte unbedingt mehr erfahren über das Schicksal der jungen Frau.

      Als sie Mrs Cooke wenig später den Tee servierte, fragte sie daher ohne Einleitung und ein wenig atemlos vor Aufregung: „Wer war Maria Marten?“

      Mrs Cooke schaute sie erstaunt an. „Ach Kindchen, das ist ja schon so eine alte Geschichte. Wo sind Sie denn über die gestolpert?“

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