Das vermehrte Ölfässchen. Denise Remisberger

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Das vermehrte Ölfässchen - Denise Remisberger

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ist tot.»

      «Was?», rief der Pfarrer nochmals und untersuchte den Sachverhalt selber. «Es stimmt. Silvia Gerlind ist tot. O.K., Leute, Folgendes: Wir dürfen den Tod Silvias auf keinen Fall melden. Sonst bekommen wir riesige Bürokratie-Probleme wegen der Überführung zurück in die Schweiz und ausserdem müssten wir umkehren. Wir tun einfach so, als würde sie noch leben.»

      «Müssen wir sie überhaupt überführen?», steckte Tessa Weissfeld aus dem anderen Abteil den Kopf herein, «soviel ich weiss, hat sie keine Verwandten. Wir könnten sie also auch in Frankreich beerdigen.»

      «Gute Idee», meinte Pfarrer Jacques erleichtert, «sag das den anderen und dass sie schweigen sollen, Tessa.»

      «Klar, mach ich.»

      «Wann wird die Leichenstarre einsetzen und wie lange wird sie andauern?», wollte Marie wissen.

      Oberschwester Klara ergriff das Wort: «In einer guten Stunde wird sie wohl einsetzen und in zwei Tagen wird der ganze Spuk wieder vorbei sein. Am besten legen wir sie langgestreckt hin. Dann bleibt sie auch so und wir können sie dann in Paris einfach in die Mitte nehmen und eskortieren.»

      Also zogen sie zwei der sich gegenüberliegenden Sitze aus und betteten die Verstorbene darauf zurecht.

      4

      Roszalia Zarew, Kroatin und bei der Kantonspolizei Zürich tätig, hockte vor ihrem Fernseher zuhause und schaute sich eine Folge von SOKO Wien an, die sie vor kurzem auf Video aufgenommen hatte. Ganz insgeheim liess sie sich vom elektrisierenden Augenzwinkern des serbischen Schauspielers berieseln, was sie natürlich nie zugeben würde, denn offiziell war sie gegen ganz Serbien und überhaupt, die Schweizerinnen und Schweizer mochte sie auch nicht besonders, allen voran einen ihrer Chefs, Abteilungsleiter Normann Kluss, gross, schwabbelig und blöd wie Bohnenstroh, Letzteres die ideale Voraussetzung, um bei der KAPO Zürich in hohem Masse befördert zu werden. Ein total borniertes Arschloch, doch er hatte das Sagen. Roszalia nahm einen weiteren tiefen Zug von ihrem Joint, dessen Gras sie selber zog, was niemanden etwas anging, damit sie nicht mehr an ihre Arbeit und deren lausige Umstände denken musste und widmete sich wieder den für einen original frühabendlichen und jetzt frühmorgendlichen Krimi doch recht vielen Maschinengewehren im Film.

      5

      Endlich! Nach genau vier Stunden und drei Minuten, also um elf Uhr 37, traf die nicht mehr ganz lebendige Reisegruppe in Paris, Gare de Lyon, ein. Pfarrer Jacques auf der einen Seite, Oberschwester Klara auf der anderen, trugen sie die verstorbene Silvia aufrechten Ganges und umringt von Pfarrer Sebastienne mit seinem Riesenkoffer, Sabine Pfau, die ihre Hutschachtel auf Kopfhöhe hielt, sodass sie Silvias Gesicht, der Kiefer mit einem bunten Tuch festgebunden und einen enormen Hut auf dem Kopf, verdeckte, der hochgewachsenen Tessa Weissfeld, der breiten Marie Krug, dem erschreckend nüchternen Hunki Chrüter, Mama Gwendolen, die Babsi huckepack trug, an der Hand einen leichten Rollkoffer und Hedwig Sandmann, welche die eng aneinander geschmiegte Truppe anführte. So konnten sie natürlich nicht im Hotel einchecken, also mietete Sabine gleich beim Bahnhof um die Ecke einen älteren, leicht verbeulten Citroën, hellbeige, mit dem sie zackig in eine Seitenstrasse fuhr, die um diese Zeit, kurz nach zwölf Uhr mittags, menschenleer war. Dort verfrachteten sie Silvia auf die hinteren Sitze, immer noch mit Jacques und Klara auf je einer Seite, diesmal mit Silvias Kopf auf Jacques’ und den Füssen auf Klaras Schoss und Tessa auf dem Beifahrersitz. So sausten sie los, während die anderen mit der Metro ins Hotel fuhren.

      «Wo soll’s hingehen?», wollte Sabine übermütig wissen.

      «Aus der Stadt raus in Richtung Étampes, also südlich.» Jacques nannte Sabine die Adresse der Kirche, welche die gesuchte Reliquie beherbergte und starrte fasziniert auf das Bild, das ihm Hans-Peter auf sein Handy geschickt hatte. Es handelte sich um ein winziges Ölfässchen aus Silber mit einem eingravierten Bildchen. Der Stopfen war eindeutig aus Kork. Jacques vergrösserte das Foto und erkannte Maria mit dem Jesuskind in der Gravur, umringt von einem fein ziselierten Blätterkranz. Eine wunderschöne Arbeit. Hans-Peter schrieb dazu, dass das Gefäss einen Rest des Öls enthalte, mit dem Christus’ Leichnam einbalsamiert worden sei.

      «So ein Unsinn», dachte der reformierte Pfarrer, doch er musste es ja nicht behalten, sondern nur stehlen.

      «Wir sind da.» Sabine hielt in der Nähe vom Château de Farcheville auf einem abgelegenen Kirchhof an und stieg aus.

      «Da kommt schon der Pfarrer», sah Tessa einem freudig heraneilenden, stämmigen, eins sechzig grossen Mann entgegen.

      Jacques erzählte dem gutgläubigen katholischen Kollegen auf Französisch eine rührselige Geschichte von den letzten Atemzügen der Silvia Gerlind, die noch im Sterben ihre sehnlichst gewünschte letzte Ruhestätte nannte, und zwar genau diese Kirche hier. Sie sei nämlich als Katholikin aufgewachsen und habe erst später, wegen ihres Mannes, zu den Reformierten übergewechselt. Und nun wolle sie wieder zurück ins Katholische, auf dass sich der Kreis schliesse. Papiere habe sie zwar dabei, doch es wäre wünschenswert, die arme Frau möglichst schnell ohne grosses Aufhebens zu bestatten.

      «Das ist hier kein Problem», versicherte der herzerweichte Pfarrer und so brachten sie die selige Silvia in den Aufbahrungsraum.

      6

      «Ich brauche Verstärkung», maulte Sebastian Meyer ins Diensthandy.

      «Wieso? Hat sich Hunki Chrüter geklont?», witzelte Hauptkommissar Fulminand Grube von seinem Festanschluss der Spezialabteilung Vier der Kantonspolizei Zürich aus.

      «Nein. Aber die ganze Reisegruppe hat sich aufgeteilt. Beim Ausstieg sind sie praktisch miteinander verschmolzen und nun hat sich ein Teil der Gruppe abgesetzt.»

      «Und wo ist Chrüter?»

      «Im Hotel. Und ich auch. Im gleichen Stock wie die anderen, gleich neben dem Lift. So höre ich sie, wenn sie ausgehen. Aber sie haben mich komisch angeguckt.»

      «Wer? Die Reisegruppe?»

      «Nein. Die an der Rezeption. Ich glaube, unsere Dienstkleidung sollte einen Tick eleganter werden.»

      «Wie meinst du das?», konnte sich der aus einer dörflichen Bauernfamilie stammende Hauptkommissar nicht erklären.

      «Meine Güte, Fulminand! Anstatt der ausgelatschten Turnschuhe vielleicht ein Paar schicke Stiefel? Aus echtem Leder? Dazu eine passende Jacke, die nicht bereits zwanzig Jahre alt ist? Möglicherweise mehr als nur ein rohseidenes Hemd und mit allen Knöpfen dran?», träumte Sebastian Meyer weiter und wurde von seinem Chef rüde unterbrochen: «Du übertreibst sinnlos, Sebastian. Wir schicken dir die Kroatin zur Verstärkung.»

      «Roszalia Zarew? Die kann mich nicht ausstehen.»

      «Die kann niemanden ausstehen. Sie kommt heute noch mit dem Auto.»

      Roszalia Zarew wurde also, ausgerüstet mit einem uralten Peugeot, schlammfarben, auf die Reise nach Paris entsendet, um dem chronisch frustrierten Drogenfahnder Sebastian Meyer unter die Arme zu greifen. Und obwohl es von höchster Priorität hätte sein müssen, sich sofort nach der Ankunft Sebastians bei den Pariser Behörden anzukündigen und die Erlaubnis einzuholen, im Ausland ermitteln zu dürfen, liessen sie es einfach bleiben. Würde eh keine Sau merken. Dachten sie.

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