Das faulige Herz. Johanna Vedral

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Das faulige Herz - Johanna Vedral

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Im Fernsehen schreit eine Prolo-Tussi ihren Mann an, weil sie ihn mit einer anderen in flagranti erwischt hat.

      Es ist mal wieder einer dieser Abende, an denen Tascha bei Sonjas Mutter schläft. Franz und Sonja haben früher an solchen Abenden romantische Abendessen, Ausflüge in die Therme oder auch mal einen Besuch im Theater genossen. Sonja kann sich gar nicht mehr erinnern, wann das aufgehört hat. Jetzt sind kinderfreie Abende Abende wie alle anderen auch: Franz ist in Skype-Konferenzen oder mit dem Aufarbeiten seiner nie endenwollenden Mails beschäftigt und telefoniert zwischendurch, ziemlich laut, um den Fernseher zu übertönen, den Laptop am Schoß jonglierend.

      Sonja fragt sich eigentlich gar nicht mehr, was sie tun könnten, um wieder etwas Leben in ihre Beziehung zu bringen. Sie geht lieber gleich in ihr Zimmer, macht es sich mit dem Laptop auf der Couch gemütlich und beschließt, mal die Schularbeiten der sechsten Klasse liegen zu lassen, das kann sie morgen auch noch machen. In ihrem Posteingang findet sie ein Mail mit dem Betreff „Endlich!!!“ Der Absender ist Tony, ihr Schwarm aus der siebten Klasse, von dem sie seit ihrem ziemlich heftigen Bruch damals nie wieder etwas gehört hat! Ihr Herz beginnt schneller zu klopfen, sie öffnet das Mail:

      „Sonja! Wie lange habe ich gesonnen, um dich finden zu dürfen, ich denke, es ist vollbracht. Ach Gott! good vibrations, Tony. du erinnerst dich vielleicht? :)“

      Ja, sie erinnert sich, dass sie damals ziemlich verzweifelt war, weil er so plötzlich mit ihr Schluss machte wegen dieses dämlichen Groupies, aber dann ist sie sowieso für ein Semester nach Berkeley und in eine ganz andere Welt eingetaucht, da war nicht mehr viel Raum für Liebeskummer. Aber dann war sie wieder im Lande, und er hätte ja nur bei einer ihrer Schulfreundinnen nachfragen müssen, wenn er sie wirklich gesucht hätte. Schon irgendwie komisch, dass er sich jetzt, 27 Jahre später meldet.

      Sonja schreibt Tony gleich zurück. Zwei Minuten später poppt der Facebook-Chat auf, und eine halbe Stunde später, nachdem sie sich über ihre Ehepartner, Kinder, Hunde und berufliche Werdegänge up to date gebracht haben, weiß sie auch schon, dass Tony in seiner Ehe sehr unglücklich ist, weil Christine keinen Sex mehr will. Normalerweise redet Sonja ja mit niemandem über ihren Frust mit Franz, nicht einmal mit ihren Freundinnen, weil sie findet, dass Beziehungsprobleme nicht nach außen getragen, sondern in der Beziehung besprochen werden sollen, aber heute ertappt sie sich dabei, dass sie Tony erzählt, dass sie keinen Sex mehr habe mit Franz. Und auch mit sonst niemand. Und sie erzählt Tony, dass Franz sich in den letzten zwei Jahren eine Wampe zugelegt hat. Es gibt nicht mehr Körperkontakt als ein Küsschen zur Begrüßung und eines zum Abschied. Sie masturbiere nicht einmal mehr. Sie hätte sich nicht gedacht, dass mit 45 schon tote Hose ist.

      Kaum ist der sexuelle Notstand ausgesprochen, geht es auch schon um sexuelle Fantasien… Tony scheint hier ja ein großes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Aber kaum fragt Sonja nach, was ihn denn in der Ehe noch halte, wenn er doch so unbefriedigt sei… beendet er das Gespräch mit „Sie kommt! Küsse, mein Liebstes, bis bald!“

      Aufgezwirbelt hat sie der Chat mit Tony. Geflirtet wurde schon sehr lange nicht mehr mit ihr. Sie fragt sich, wer war, wer ist sie für ihn. Eine erotische Fantasie?

      Tony hatte ein Moped, mit dem er sie im tiefsten Winter mitnahm. Manchmal küssten sie sich so lange am Sozius, bis die Füße wie Eiszapfen waren und die Gänsehaut in schaudernden Wellen über ihre Haut rieselte. Aber sie kann sich nicht mehr daran erinnern, wie seine Brust aussah, ob sie behaart war oder nicht, wie es war, mit ihm im Bett zu sein, wie sein Penis aussah… nur an seine Augen erinnert sie sich, seine großen, weichen, braunen Augen.

      Aber sie will wissen, wer er jetzt ist. Sie will ihn leibhaftig vor sich sehen. Sie will ihm in diese Augen sehen, mit denen er sie schon einmal verzaubert hat. Sie googlet ihn und findet Bilder… von atemberaubenden Models mit sehr wenig Stoff auf der Haut… und ein paar davon haben sein Gesicht…

      Tony schreibt ihr eine Stunde später – als sein Drachen schlafen gegangen ist - von seinen Jahren als Modefotograf, wie sehr ihn diese Branche angeekelt hätte, mit den Kokainbergen auf den Regietischen, den kotzenden Magermodels und den aufgetakelten alten Tunten, die ihm Avancen gemacht hätten. Er beteuert, weder seine Nase gepudert, noch reihenweise Models verführt zu haben oder einem Modeschöpfer erlegen zu sein. „Da hat meine Nemesis immer viel zu gut auf mich aufgepasst“, lässt er in einem Nebensatz fallen. Sonja will mehr wissen. Immerhin ist Christine Weininger nicht irgendwer, sie ist eine der reichsten Erbinnen am Wörthersee und bekannt für ihre Charity-Events, bei denen sie mehr Spenden für behinderte Kinder lukriert als Frau Swarowsky und Frau Schiller zusammen. Noch dazu sieht sie unverschämt gut aus dafür, dass sie fast 60 ist.

      Um Mitternacht chatten Sonja und Tony noch immer. „Ich will deine Falten aus der Nähe angucken und zählen, wie viele Zähne du noch hast“, neckt sie ihn, und dann reden sie über ein Date. Mal heimlich treffen? Einmal ist keinmal, wer sagt denn, dass wir uns wieder ineinander verknallen? Das ist doch alles nur ein Hirngespinst zweier alter Dackel, die schon viel zu lange nicht mehr gut gevögelt haben.

      Tonys Zimmertür steht offen. Es duftet nach seinem neuen Parfum, Dior for Men, und nach kaltem Rauch. Christine reißt das Flügelfenster auf, und ein Hauch von Frühling kommt in das Zimmer. Die dicken roten Vorhänge, die den Blick in ihren Park aussperren, wirbeln Staub auf, Christine muss husten. Im Garten plätschert der Springbrunnen mit der Meerjungfrau, den Tony nicht leiden kann, weil ihn der Nazi-Onkel hat aufstellen lassen, wie er Christines Onkel Theodor immer nennt.

      Tony hat scheinbar mal wieder nicht entscheiden können, was er heute anziehen soll. Auf dem rosa Bretz-Sofa, das sie ihm zu Weihnachten geschenkt hat, liegen seine rote, die schwarze und die taupefarbenen Röhrenjeans von Armani, die hautengen passenden schwarzen Wildseidenshirts, Wildseidenslips in allen Farben, Größe S, seine Yashica und die neue digitale Spiegelreflexkamera, zwischen den Slips. Am Boden verstreut Fotoabzüge von einem seiner Shootings, von unzähligen Fotos blickt Christine Tony entgegen, da hat er noch seine lange Mähne und lutscht lasziv an einem Lolli, da sitzt er am Ufer des Wörther Sees und das Blau des Wassers spiegelt sich in seinen gnadenlos blauen Augen… Könnte es sein, dass er wieder die Kamera zur Hand nehmen möchte? Oder hat er eine dieser Anwandlungen gehabt, wo er stundenlang vor dem Spiegel posiert und Fotos nachstellt, die aber natürlich nie so aussehen wie diese alten Fotos… Auch wenn er der einzige Mann in seinem Alter ist, der noch in die Hosen reinpasst, die er vor 20 Jahren getragen hat. Nicht dass er diese Hosen noch hätte, die hat er doch alle weggeworfen, nicht mal zur Altkleidersammlung gegeben, und dann hat er seine Mähne abgeschnitten, weil die Geheimratsecken immer deutlicher wurden.

      Das Bett, in dem er in letzter Zeit immer häufiger alleine schläft, ist zerwühlt, am Nachttisch der überquellende Aschenbecher, das ist doch die venezianische Kristallschale, die Christines Mutter ihnen zur Hochzeit geschenkt hat. Daneben der Laptop, seine Medikamente, Zyprexa, Meresa und schon wieder eine neue Schachtel Valium. Und er dürfte gestern auch mal wieder zu tief ins Glas geschaut haben, gleich zwei fast zur Neige geleerte Flaschen mit dem ältesten Tokayer aus ihrem Keller, dabei hatte sie ihn doch gebeten, den für ihren Hochzeitstag aufzuheben, das sind doch die letzten Flaschen… Und er darf die Antidepressiva nicht mit Alkohol mischen, das weiß er doch, er nimmt sie ja schon lange genug.

      Christine widersteht der Versuchung, den Aschenbecher auszuleeren, sie ist doch nicht seine Mutter, aber da steht sein Laptop, und ein Chatfenster ist offen…

      „Hast du am 1. Mai Zeit?“, poppt Tonys Nachricht auf Sonjas Handydisplay auf. Ihre Tochter ist schneller beim Handy als sie, Sonja reißt es ihr aus der Hand, gerade als Tonys nächste Zeile reinflattert: „Drei Tage lang nackt am Strand liegen, nur wir zwei…“

      „Schreib mir keine SMS!!!“, schreit Sonja in Großbuchstaben und mit drei Rufzeichen. „Und schon gar keine eindeutigen!“ Ihr ist heiß, ihr Herz flattert. Gut, dass Tascha nicht den zweiten Teil der Nachricht gesehen hat.

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