1 Jahr und JanuS. Karin Szivatz
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Fahl im Gesicht und mit offenem Mund kommt er leicht gebückt ins Wohnzimmer zurück. „Was ist mit dem Befund?“
„Ja,“ sage ich, „es ist so.“
Er setzt sich und fährt sich mit beiden Händen durch sein volles Haar. Dann über die Augen und versucht anschließend, Leben in sein Gesicht zu massieren. „Wie schlimm ist es?“
„Pankreaskarzinom. Bauchspeicheldrüsenkrebs. Das Stadium ist hierbei unwichtig. Nur fünf Prozent aller Betroffenen überleben. Und ich war noch nie ein Kind des Glücks.“
Ich wundere mich, dass Tränen über meine Wangen kullern, denn ich weine gerade nicht. Ich spreche nach wie vor von einem fremden Körper, der Krebs hat. Und doch war da jetzt so etwas wie Schmerz in meinem Inneren, den ich bis jetzt nicht verspürt hatte. Es war wohl der Schmerz, meinem Liebsten wehtun zu müssen.
Aus meiner langjährigen Tätigkeit am Krankenhaus wusste er über Bauchspeicheldrüsenkrebs schon recht viel. Und das reicht auch für den Moment. Noch mehr Wahrheit kann er nicht ertragen, weil es dieses Mal mich betrifft.
„Wie geht’s jetzt weiter?“ fragt er tonlos und ich schwenke mit starrem Blick den Kopf langsam von links nach rechts und wieder zurück. „Ich habe keine Ahnung“, sage ich und meine es gar nicht so.
Denn irgendwie spüre ich, dass in meinem Innersten das Wort ‚Kapitulation’ in dicken Lettern geschrieben steht.
Die Antwort ‚ich warte auf das Ende’ pocht wie der Herzschlag in meinem Gehirn und fühlt sich gut an. Sie ist so präsent, als wäre es die einzig richtige Antwort. Und doch belüge ich ihn, weil ich ihm diese vielleicht bereits vor Stunden gefällte Antwort nicht zumuten kann.
„Wie sieht es mit einer Operation aus? Eine Chemotherapie? Bestrahlungen? Du könntest so einen Schreibkurs für Krebskranke machen, das soll auch ganz gut helfen. Gesunde Ernährung natürlich und viel Bewegung, wann immer es geht. Vielleicht helfen auch eine Psychotherapie oder gar chinesische Heilkräuter. Du solltest in eine Selbsthilfegruppe gehen und dich….“ Plötzlich verstummte sein Redeschwall und er sah mich entmutig an. „Du willst gar nichts tun, habe ich Recht?“
Mit völlig schlechtem Gewissen nickte ich stumm.
Er setzt sich ganz dicht neben mich, hält mich fest und weint heiße Tränen auf meine Schulter. Es tut mir weh, ihn so leiden sehen zu müssen und kralle mich in seinen Pullover, als könnte ich ihm damit mehr Trost geben als er jemals brauchen würde.
Am Abend sitzen wir vor dem Fernseher und reden über meine, seine und unsere Zukunft. Ohne diese Ablenkung aus dem medialen Kasten wäre das Thema einfach viel zu schwer ertragbar gewesen. Den Film sehen wir nicht, aber er mischt sich ein wenig wie Eischnee unter unsere Konversation und macht sie flaumiger und leichter, wenn auch nicht süßer. Wir können ohnehin nur spekulieren, denn niemand weiß, was wirklich kommt.
Jedenfalls wird mir immer mehr bewusst, dass ich mein Leben genießen und es nicht mit Krankenhausluft, Kotze und Intrigen verschwenden sollte. Nicht bei fünf Prozent Überlebenschance. Hätte ich Darmkrebs, läge ich längst unter dem Messer und hätte dem Chirurgen vorab einen Fünfziger zugesteckt, damit er mir eine möglichst kleine, schöne Narbe hinterlässt. Bei Bauchspeicheldrüsenkrebs liegt alles völlig anders. Er liegt auf der anderen Seite der Skala. Nämlich dort, wo man mit dem Leben beginnt, weil man weiß, dass es ein knappes Ablaufdatum hat. Ich fühle mich zwar nicht wie ein Becher Joghurt, der im verbilligten Extrakorb liegt, weil er am nächsten Tag das Ablaufdatum überschrit-ten hat, aber der Gedanke kommt mir doch in den Sinn. Ich spreche ihn aus und er zaubert Hubert ein kurzes Lächeln aufs Gesicht. Danke!
Wir diskutieren ausführlich über die verschiedensten Möglichkeiten, wie wir vorgehen können. Natürlich spricht er die klassischen Wege wie Operation und Chemotherapie als erstes an. Ich erzähle ihm von meinen ehemaligen Patienten und lege mein komplettes medizinisches Wissen dar. Und natürlich lasse ich die Lebensqualität sowie die Hoffnung all der Patienten auf Heilung nicht aus. Lebhaft erinnere ich mich an all die vielen Männer und Frauen, die schmerzgeplagt nach einer Whippleoperation mit einem künstlichen Darmausgang wochenlang im Krankenhaus lagen. Menschen, die innerhalb von nur fünf Wochen zwanzig Kilo verloren und sich auf Grund von Schwäche nicht mehr auf den Beinen halten konnten. Patienten, die sich die Seele nach der Chemo aus dem Leib kotzten und zwischendurch nur noch erschöpft schliefen.
Sie alle waren geliebte Mütter, Väter, Töchter, Söhne, Ehefrauen, Ehemänner, Tanten, Onkeln, Freunde, Geliebte, Arbeitskollegen. Und jedes einzelne Umfeld hatte Hoffnung und den Kranken nahe gelegt, sich der Therapien zu unterziehen. In bester Absicht natürlich. Aber erleiden musste es der Betroffene und nur der Betroffene.
Ich möchte keine dieser Betroffenen sein. Im Moment glaube ich das zumindest. Aber ich weiß nicht, ob ich derzeit zurechnungsfähig bin. Ob ich mir der Tragweite meiner Gedanken überhaupt bewusst bin. Oder ob ich schon längst entschieden hatte, nichts gegen den Krebs, sehr wohl aber etwas für meine Lebensqualität zu tun.
Wir reden noch lange bis in die Nacht und je mehr wir reden desto mehr verliert der Krebs an Schrecken. Dennoch ist mir bewusst, dass er weder für mich noch für Hubert an diesem Abend real ist. Der Schrecken wir kommen, darauf wette ich.
Vorsorglich nehme ich eine Schlaftablette und biete Hubert auch eine an. Sie ist zwar seit einem Jahr abgelaufen, aber der Wirkstoff ist sicher noch aktiv. Ich fürchte, mich in einer Gedankenspirale zu verfangen und nicht mehr aussteigen zu können. Obwohl ich todmüde und von unserem Gespräch ziemlich ausgelaugt bin, liege ich noch eine Zeitlang wach. Nicht an meine Erkrankung zu denken ist unmöglich, sosehr ich mich auch bemühe. Aber noch bevor ich Angst bekomme, nimmt mich die Schlaftablette mit in ihr dunkles Reich.
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