Der 884. Montag. Gunter Preuß

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Der 884. Montag - Gunter Preuß

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stand schon alles bis oben hin, obwohl es doch noch gar nicht richtig angefangen hatte.

      "Du?", sagte Firat und schüttelte bedeutsam das Haupt. "Für dich bin ich Sie. Damit wir uns gleich richtig verstehen: Du bist der Lehrling. Ich bin der Meister."

      Ich knallte die Hacken zusammen, was leider verpuffte, weil ich nur Sandalen und keine verdammten Kommissstiefel anhatte.

      Ich riss die rechte Hand zur Denkerstirn und rief: "Habe verstanden!"

      Den Walrosstyp kannte ich. In der Verblödungsanstalt hatten wir so einen Lehrer. Der konnte es nicht verkraften, wenn jemand etwas mehr wusste als er. Dieser Firat würde so lange nicht aufgeben, sein Maul an mir zu wetzen, bis ich nur noch lachte, wenn er einen Witz riss.

      Firat säuselte mich weiter an: "Bisher scheint sich keiner um dich gerissen zu haben. Wir sind hier eine eingearbeitete Truppe. Wer nicht auf dem Arbeitsamt Schlange stehen will, muss ranklotzen. Hast du eigentlich einen Schimmer, was du hier lernen sollst?"

      "Sie werden es mir bestimmt gleich sagen, Sir."

      "Also", begann Firat mich zu belehren. "Wir sind hier für alles verantwortlich, was mit Schwachstrom zu tun hat. Und was alles hat mit Schwach-strom zu tun?"

      Ich tippte mit dem Zeigefinger an meinen Denkapparat, in dem die grauen Zellchen den Aufstand probten. Die anderen feixten wieder. Aber Firat ließ sich nicht beirren wie alle, die meinen, es besser zu wissen und andere damit quälen. Er erklärte, dass Schwachstrom für Telefone, Faxgeräte, elektrische Uhren und den Notruf gebraucht werde. Und die Geräte müssten sie tadellos in Ordnung halten.

      Firat sah mich an, als müsste ich ihm für seine Mitteilung aus Dankbarkeit die Hand küssen.

      "Ist okay", erwiderte ich lahm. Ich wusste nicht, was mich hätte in Begeisterung versetzen sollen.

      Firat klappte erst einmal sein Walrossmaul zu, nickte zufrieden und beschielte mich aber weiterhin misstrauisch. Ich konnte damals noch nicht wissen, dass der Mann immer so guckt.

      Plötzlich zog mich so ein von Geburt an Zerknitterter auf einen Stuhl. Er sagte, als stände ihm für jedes Wort eine Ewigkeit zur Verfügung: "Setz dich erst mal. Mutzelkopp. Ich bin Kauer. Du bist mein neuer Kollege. Egon hat sich vor einer Woche davongemacht. Direkt aus dem Fenster seiner Wohnung. Fünfzehnter Stock. Todsicher."

      Kauer war nicht viel älter als dreißig. Das sagte er mir gleich, denn ich hätte es nicht geglaubt. Er hatte tatsächlich eine verblüffende Ähnlichkeit mit einem indianischen Schrumpfkopf. Nur seine Mutter hätte genau sagen können, wie viele Sommer er schon gesehen hat.

      Kauer machte mich nicht neugierig. Er passte zu diesem Montag, von dem ich sowieso nichts erwartet hatte. Kauer war so einer, der die Ruhe auf Lebenszeit gepachtet und für jedes Wehwehchen auch gleich die passende Medizin bereitliegen hatte. Und wenn ihm doch mal was passiert, ist er dagegen versichert.

      Nun hatte der Typ mir auch noch so einen verdammten Namen verpasst – Mutzelkopp. Ich sagte, ich heiße Bruno Jäger. Aber er war stocktaub auf bei-den Ohren. Er erklärte mir lang und breit, wie meine Arbeit verläuft: also früh erst mal eine halbe Stunde vor Arbeitsbeginn zur Stelle sein, rein in den blauen Strampler, dann den Anweisungen von Meister Firat lauschen, und nun ran ans Werk: Kabel verlegen, Störungen beseitigen, damit die Patienten die Schwestern mit dem Notruf auf Trab halten und die Chefs wieder mit ihren Bumsdamen telefonieren können und das ganze Gesäusel nicht außer Gang kommt. Das ist ziemlich frei übersetzt, aber es stimmt genau.

      "Nachmittags", flüsterte Kauer und sah sich um, als würde er mir den Plan für einen Banküberfall verraten. "Nachmittags ist dann auch mal ein Minütchen Zeit. Das heißt, wenn wir alles geschafft haben. Da können wir in Mutters Stullen beißen. Und ein Nickerchen machen. Ist doch in Ordnung. O-der?"

      3.

      Ich verlor kein Wort, dachte, hältst es wie die Drei Affen, Olga zuliebe. Irgendwo musst du es auch mal durchstehen und wenn du totgehst dabei. Schon lange vor meinem Abgang vom Gymnasium sah ich einfach kein Land mehr. Als ich dann den Schulmief hinter mir hatte, dachte ich, jetzt geht es richtig los, jetzt liegt aber was an, Junge, jetzt kippst du die Welt aus den Angeln und hängst sie wieder richtig ein.

      Meine Mutter wollte unbedingt, dass ich mein Abi mache und Pauker werde wie mein zweiter Vater. Aber ich hielt es keinen Tag länger in diesem Bildungsgefängnis aus. Die Lehrer wären den Unruhestifter mit pathologischem Widerspruchsgeist gern losgeworden. Doch blöderweise fabrizierte ich nur Einsen, ohne die grauen Zellchen in Aufregung zu versetzen. Und Olga drohte mit einem spektakulären Suizid und vor allem mit Sperrung jeglichen Taschengeldes, wenn ich freiwillig die Schule aufgeben würde. Also musste ich mir was einfallen lassen, wenn ich nicht von einem Schulknast in den anderen kommen wollte. Obwohl einige Pauker an unserer Schule ehemals stramme Rote waren, sahen sie sich jetzt als Widerstandskämpfer gegen die rote Barbarei. Schlimmer als jede Messerstecherei bestraften sie Verstöße gegen Grundgesetz und Demokratie, die sie Hausfrieden nannten. Wenn sie jemals ein Rückgrat besessen hatten, war es ihnen nun endgültig gebrochen worden. Um im Schuldienst bleiben zu dürfen, hatten sie sich tausendmal durchleuchten lassen. Ihr Über-Ich hieß jetzt nicht mehr Lenin, sondern Herrgott, und ihr höchster Vorgesetzter saß nicht mehr im Kreml, sondern im Vatikan.

      Ich hing mir also ein ehemaliges Reklameschild für irgendeinen Fleckentferner, das einmal eine Hauswand bedeckt hatte, vor den Bauch. Darauf hatte ich in roten Glanzbuchstaben ein paar Worte aus dem Kommunistischen Manifest von den Opas Marx und Engels geklebt: Die Kommunisten erklären es offen, dass ihre Zwecke nur erreicht werden können durch den gewaltsamen Umsturz aller bisherigen Gesellschaftsordnungen. Mögen die herrschen-den Klassen vor einer kommunistischen Revolution zittern. Die Proletarier haben nichts in ihr zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. Proletarier aller Länder, vereinigt euch!

      Aus der Schule, vor ein paar Jahren noch eine sozialistische Erweiterte Oberschule, ist inzwischen ein katholisches Gymnasium geworden. Eine Seltenheit im evangelischen Sachsen. Wo vorher die Riesenbirnen von Marx und Lenin gestanden hatten, waren jetzt die Jungfrau Maria und der gekreuzigte Jesus aufgebaut. Innerhalb einer Woche war ich gefeuert. Es hatten jede Menge Verhöre im Direktorenzimmer stattgefunden, die sie freundschaftliche Gespräche nannten. Der Oberschlappsack, der sich Schuldirektor nannte, und ein nikotingelber Onkel, den ich noch nie gesehen hatte, wollten wissen, welcher extremen kommunistischen Organisation, die den Umsturz plant, ich angehören würde. Ich erzählte ihnen großartige Storys, Material für eine dreizehnteilige Thrillerserie. Bestimmt marschiert ihnen heute noch ein Tausendfüßler übers Kreuz. In jedem Fall, so meinten sie, würde meine aggressive Weltanschauung nicht in das friedlich geprägte Weltbild ihres Gymnasiums passen. Es stände mir ja frei, meine Ausbildung an einer anderen Schule zu beenden.

      Die härteste Strafe waren nicht die Pauker, obwohl sie keinen zu Begeisterungsstürmen hinrissen und von Geburt an schon auf die Rente warteten. Am übelsten waren die Schüler. Allesamt Ableger von verdammten Ehrgeizlingen. Für eine gute Zensur hätten die meisten ihre Großmutter auf dem Trödelmarkt verkauft.

      Nach meiner Entlassung heulte ich weder aus Freude noch aus Trauer. Mir war einfach nur knochenkalt. Zuerst saß ich zu Hause im Wohnzimmer vor der flimmernden Bildröhre und konnte nichts mit mir anfangen. Dann transportierte ich aus einer Bibliothek jede Menge Wälzer in mein Zimmer. Ich aß Kartoffelchips und ähnliche Fettmacher, trank Cola und las mich durch Hermann Hesses Bibliothek der Weltliteratur.

      Ich dachte tatsächlich, dass ich mein Dasein mit Lesen, Kauen

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