Nach(t)Sicht. Jo Jansen

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Nach(t)Sicht - Jo Jansen

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ich könnte Dir genau beschreiben, wie es dort aussah. Alles ziemlich klein und praktisch eingerichtet.“

      „Was ja auch einen Sinn ergibt, wenn es sich um eine Studentenbude handelt.“ Angelika ging langsam weiter und ich folgte ihr, wollte nur noch weg, fort aus Heidelberg.

      „Hm, dann muss dein Prinz irgendwie an den Schlüssel von diesem Frank gekommen sein. Vielleicht ist er ja jemand aus der großen Verwandtschaft, von der sie sprach, der dir von Anfang an Theater vorgespielt hat. Bleibt immer noch die Frage nach dem Warum.“

      Seltsamerweise war ich zunächst ruhiger nach dem Gespräch mit Frau Pötsch, bei dem ich nur Zuhörer gewesen war. Wollte ich wirklich noch wissen, was hinter dem ganzen Theater steckte oder wollte ich einfach in Ruhe gelassen werden? Angelika akzeptierte das und so drehte sich unser Gespräch während der Rückfahrt um sie, ihren Mann Martin, das Baby, die Schweiz …

      Natürlich bestätigte sich meine Vermutung, dass Angelika gar nichts in Konstanz zu erledigen hatte und nur meinetwegen hergekommen war. So brachte ich sie am nächsten Morgen zum Zug, bevor ich zur Arbeit ins Büro fuhr. Der Alltag hatte mich wieder. Zwar versuchte ich, jeden Gedanken an Frank, wie ich ihn immer noch nannte, zu verdrängen, doch es gelang mir nicht. Tagsüber vergrub ich mich in Arbeit und lenkte mich damit ab. Spätestens abends im Bett kamen die Fragen, tanzten wie kleine böse Geister in meinem Kopf herum und hinderten mich am Einschlafen. Wenn ich dann irgendwann für kurze Zeit in einen unruhigen Schlaf fiel, erwachte ich wenig später wieder, nur um mich für den Rest der Nacht im Bett hin und her zu wälzen und kein Auge mehr zu zu tun.

      Mit Angelika telefonierte ich regelmäßig, aber wir sprachen nie mehr über Frank. Ich vermied das Thema, da es nichts Neues zu berichten gab. Und sie? Glaubte sie mir wirklich? Immerhin hatte sie sich nach ihrem Besuch mit dem freundlichen Rat verabschiedet, ich sollte vielleicht einen Therapeuten aufzusuchen. Ich war wie besessen davon, ein winziges Zeichen dafür zu finden, dass Frank existierte, mir selbst zu beweisen, dass ich nicht verrückt war. Da ich aber nicht einmal seinen richtigen Namen wusste, machte es wenig Sinn, ihn per Google zu suchen oder Heidelberger Firmen nach ihren IT-Mitarbeitern zu fragen. Bei Frau Pötsch brauchte ich es schon gar nicht versuchen. Ihn bei der Polizei als vermisst melden? Lächerlich. Mister X war ja nicht wirklich verschwunden, sondern wollte nur von mir nicht gefunden werden. So blieb ich allein mit meiner Grübelei, die mich mehr und mehr gefangen nahm. Mir schmeckte kein Essen mehr, ich magerte ab, schminkte mich nur noch sehr nachlässig, wählte meine Kleidung lustlos aus, hatte an nichts mehr Freude.

      Es kam die Weihnachtszeit. In den Jahren zuvor hatte ich nach der Arbeit gern den einen oder anderen Glühwein mit meinen Kollegen getrunken. Der Weihnachtsmarkt am See war für mich immer der schönste in ganz Deutschland gewesen. In diesem Jahr zog es mich nicht ein einziges Mal dorthin. Die Feiertage verbrachte ich bei meiner Mutter in Stuttgart, zusammen mit meiner Schwester, ihrem Mann und meinen beiden kleinen Nichten. Zum Glück beschäftigten die quirligen Kleinen die Familie so sehr, dass niemandem auffiel, wie wenig ich sagte. Erleichtert, dem heile-Welt-Gedudel entronnen zu sein, fuhr ich bereits am Morgen des zweiten Feiertages wieder nach Hause. Zu Silvester schlug ich alle Einladungen aus, wollte keine bunte Party, sondern vergrub mich in meiner Wohnung. Öffnete eine Flasche Rotwein, zündete eine Kerze an, legte klassische Musik auf und dachte über mein Leben nach. Was war nur schief gelaufen?

      Die Sache mit Frank war ein Desaster, die größtmögliche Verarsche, die ich mir vorstellen konnte. Irgendwie hatte ich mit Männern kein Glück. Verliebte ich mich in die Falschen oder verliebten sich die Falschen in mich? Holger zum Beispiel. Wir waren uns vor einem Jahr beim Eislaufen auf dem See begegnet, wo ich ihn fast über den Haufen gefahren hatte. Statt sauer zu sein, hatte er sich für die stürmische Begrüßung bedankt und mich auf einen Glühwein am Ufer der Reichenau eingeladen. Danach hatten wir uns zum Kartfahren und Klettern verabredet, uns auf den Hegauvulkanen wilde Schneeballschlachten geliefert, waren gemeinsam durch Kneipen gezogen und hatten jede Menge Spaß gehabt. Bis er eines Tages von Heiraten sprach. Da wurde mir bewusst, dass er nicht der Richtige war, ich ihn nie lieben würde. Nachdem ich ihm das unmissverständlich gesagt hatte, hörte ich nie wieder von ihm. Ein bisschen schwermütig holte ich mein Fotoalbum hervor. Von Holger und mir besaß ich noch Bilder. Ich lächelte, als ich die Fotos nun wieder sah. Holger war wie ein Clown, der mich immer wieder zum Lachen gebracht hatte. Aber wer will schon einen Clown heiraten?

      Angenehme Erinnerungen stiegen in mir auf, als ich die Bilder vom Hohentwiel betrachtete. Wir hätten von mir aus gerne Freunde bleiben können. Moment, was war das? Auf der nächsten Seite hatte ich Fotos eingeklebt, die Holger mir geschenkt hatte. Sie waren entstanden, bevor wir uns kennengelernt hatten, und zeigten alle sein typisches, lausbubenhaftes Lächeln. Er am Strand von Hurghada, mit einem süßen, streunenden Hund. Holger auf dem Empire State Building, im Hintergrund die Wolkenkratzer von New York. Er als Pirat geschminkt, wobei eine gewisse Ähnlichkeit zu Johnny Depp nicht zu leugnen war. Ein kahler Apfelbaum, an dem ein einziger roter Apfel hing. Das letzte Foto war definitiv nicht von Holger. Das hatte ich gemacht, im Herbst, kurz bevor ich Frank begegnet war. Es hatte, mit anderen Naturfotos zusammen, lose vorn im Album gelegen, da war ich mir sicher. Meine Gedanken tanzten Pirouetten, ich bekam sie nicht zu fassen. Welches Foto fehlte hier und war durch das Apfelbild ersetzt worden? Warum und vor allem, von wem?

      Ich fröstelte, obwohl die Heizung voll aufgedreht war. Hatte dieser Fototausch etwa auch mit den Ereignissen um Frank zu tun? Seit dem folgenschweren Abend im Schwarzwald hatte ich keinen Alkohol mehr angerührt. Es mag an dem Glas Rotwein gelegen haben, dass ich nun plötzlich mutig wurde. Alles in mir drängte danach, Holger anzurufen. Unbedingt. Jetzt. Zwar hatte ich seine Nummer längst aus meinem Handy gelöscht, doch kannte ich seinen Namen und wusste von der Wohnung im Haus seiner Eltern in Ravensburg. Wobei Haus untertrieben war, Villa traf es eher. Einmal waren wir gemeinsam dort gewesen und Holger hatte von früheren Kindergeburtstagspartys im riesigen Garten der Villa geschwärmt. Er bewohnte das ehemalige Gärtnerhaus, einen Anbau mit eigenem Zugang. Unbemerkt von seiner Familie hatten wir uns spätabends hinein und am Morgen wieder hinausgeschlichen.

      Der Computer blinkte einladend, ich rief das Onlinetelefonbuch auf, Ravensburg, Samson … Da, Federburgstraße, das waren sie. Automatisch griff ich zum Telefon und gab die Nummer ein. Während am anderen Ende der Wählton erklang, überlegte ich, was ich sagen sollte, wenn jemand von seiner Familie abhob. Es war Silvester, kurz nach 22 Uhr. Ich könnte mich damit herausreden, ihm alles Gute zum neuen Jahr wünschen zu wollen.

      „Samson?“, eine fragende, schon etwas älter klingende Frauenstimme meldete sich, wahrscheinlich seine Mutter.

      „Hallo, hier ist Nadine“, gab ich mich fröhlich. „Ich würde gern mit Holger sprechen.“

      „Nadine ...“ wurde mein Name am anderen Ende wiederholt. Dann war es still. Ich wartete, doch nichts passierte. Gerade wollte ich mich wieder in Erinnerung bringen, aber das Hallo blieb ungesagt auf meinen Lippen kleben.

      „Holger ist tot. Rufen Sie nie wieder hier an.“ Aufgelegt.

      Ich war wie betäubt, hielt noch lange den Hörer ans Ohr, bis das Tuten des Besetztzeichens endlich bis in mein Hirn vordrang.

      Holger war tot? Der fröhliche, lachende Holger? Das wollte ich einfach nicht glauben.

      Was war passiert? Wie war es passiert? Nur zu gern hätte ich seine Mutter danach gefragt. Vielleicht war er erst vor Kurzem gestorben und der Schmerz saß noch so tief in ihr, dass sie deshalb nicht mit mir reden wollte? Während ich noch vor mich hin grübelte, flogen meine Finger wie von selbst über die Tastatur, tippten Holgers Namen ein. Google lieferte zehn Seiten voller Suchergebnisse. Ich reduzierte auf drei Seiten, indem ich Ravensburg hinzufügte. Aktuelle Beiträge zuerst. Da war etwas. Ein Nachruf seines Arbeitgebers, datiert auf Ende März, also kurz nach unserer Trennung. Von einem tragischen Unglücksfall

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