Berlin, Bülowstraße 80 a. Gabriele Beyerlein

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Berlin, Bülowstraße 80 a - Gabriele Beyerlein

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      Er lachte. „Was macht die werte Frau Mama?“, fragte er. „Ich hoffe, sie ist nicht indisponiert. Ich habe eine wichtige Angelegenheit mit ihr zu bereden — unter vier Augen. Dann führe mich mal in die gute Stube und hole die verehrte Majorin! Doktor Schneider versicherte mir, die Genesung sei gut vorangeschritten, da wird sie ihren alten Schwager ja wohl empfangen können. Tüchtiger Arzt, das.“

      „Ja“, bestätigte sie, noch immer um Fassung ringend. Sie führte den Onkel in den Salon und ging der Mutter Bescheid sagen.

      „Dein Onkel, Oberst Zietowitz?“, wiederholte diese mit einem verwunderten Hochziehen der Augenbrauen. „Unter vier Augen? Seltsame Töne. Nun, wie auch immer, sag ihm, er möge sich noch einen Moment gedulden, und biete ihm von dem alten Port an. Und dann hilf mir beim Umkleiden. In diesem Hauskleid mag ich ihm denn doch nicht begegnen.“

      Sophie führte alle Aufträge aus, holte die Flasche Port aus dem Schrank, die einzig für solche Gelegenheiten aufbewahrt wurde, schenkte dem Onkel ein, wechselte ein paar höfliche Floskeln mit ihm, kehrte zur Mutter zurück, schloss deren Kleid am Rücken, Häkchen für Häkchen.

      Doktor Schneider versicherte mir ...

      Wann hatte der Onkel denn mit Doktor Schneider gesprochen? Doktor Schneider war doch nicht der Hausarzt des Onkels, sie erinnerte sich genau, wie der Onkel Herrn Doktor Schneider mit seinem Hausarzt verglichen hatte, einem Doktor Rübezahl oder so ähnlich. Oder hatte der Onkel etwa den Arzt gewechselt? Tüchtiger Arzt, das. Wichtige Angelegenheit

      Die Mutter ging in den Salon. Sophie hielt ihr die Tür auf, zog sie hinter der Mutter wieder zu. Doch auch durch die geschlossene Tür vernahm Sophie die schnarrende Stimme des Onkels, seine Begrüßung der Mutter.

      Sophie zögerte. Sollte sie wirklich? Nein. Es gehörte sich nicht, an Türen zu lauschen. Ganz und gar unschicklich war es. Mehr noch — es beleidigte ihr eigenes Ehrgefühl, so etwas zu tun. Entschlossen kehrte sie der Tür den Rücken, durchquerte den langen Raum und ließ sich am Fenster mit ihrer Stickerei nieder. Von weitem hörte sie die Stimme des Onkels wie ein fernes Dröhnen, hin und wieder lösten sich ein paar Wortfetzen aus dem Hintergrund, drangen an ihr Ohr. Mehrfach ihr eigener Name und dann der andere: Doktor Schneider.

      Sie sprang auf. Achtlos fiel die Stickerei zu Boden. Sie lief zur Tür zum Salon, trat leise ganz dicht heran und lauschte.

      „Vater Kreisphysikus, tadelloser Leumund. Er in Berlin studiert, schlagende Verbindung, erstklassiges Corps. Nach der Approbation zunächst magere Jahre in Gnesen. Aber er hat sich damit nicht eingerichtet, wollte höher hinaus, daher der Wechsel nach Berlin. Hier bald nach der Niederlassung Fuß gefasst, hat sich peu à peu hochgearbeitet, Anfangsschwierigkeiten längst überwunden. Solvente Patienten, auch aus höheren Kreisen, aufstrebende Praxis, respektables Renommee. Das weißt du ja selbst, hast ihn schließlich auch gewählt. Dazu kommt etwas ererbtes Geld, vor allem von der Mutterseite her. Habe seine Bücher geprüft, er hat sie mir mit größter Bereitwilligkeit offengelegt, hatte sie gleich dabei, als er bei mir vorsprach. Gefällt mir, verrät Sinn für die Realitäten. Und was ich gelesen habe, gefällt mir noch mehr: solide, sehr solide. So eine Basis würde ich manchem Hauptmann aus unseren Kreisen wünschen. Haustetten hat außerdem Erkundigungen über den Doktor eingezogen — das ist ein Privatbeamter bei meiner Bank, der mir schon öfter entsprechende Dienste geleistet hat. Der Gute ist geschickt in solchen Dingen, Nachbarschaft, Bank, medizinische Gesellschaft etc. Haustetten hat mir heute Bericht erstattet, alles sehr zufriedenstellend.“

      Sophies Herz klopfte so laut, dass sie meinte, es müsste durch die Tür zu hören sein und sie verraten. Kein Zweifel, von wem da die Rede war, auch wenn sein Name nicht fiel. Die Antwort der Mutter aber war zu leise, um zu verstehen zu sein, sosehr Sophie sich auch anstrengte.

      Doch dann wieder der Onkel: „Zweifellos gebildet. Das Beste: Oberleutnant der Reserve, in Frankreich dabei gewesen, nicht etwa als Stabsarzt, nein, bei der kämpfenden Truppe, das Kreuz für Tapferkeit vor dem Feind, also schneidig. Artillerie, immerhin — Kavallerie kann man beim besten Willen nicht erwarten, nicht bei einem Bürgerlichen, Artillerie ist jedenfalls besser als Pioniere.“

      Sophie schloss die Augen, lehnte sich an die Tür. Sie zitterte so, dass ihre Knie nachgaben. All dies, was sie da hörte, ließ nur den einen Schluss zu. Es war wirklich wahr. Dieser eine Satz von Doktor Schneider: Gilt Ihnen die Liebe mehr als Herkunft oder Namen?, war nicht nur dahingesagt gewesen. Doktor Schneider meinte es ernst. Er hatte beim Onkel um ihre Hand angehalten.

      Wieder die leise, nicht verstehbare Erwiderung der Mutter. Dann wurde deren Stimme lauter und eine Spur schrill: „Diese ganze Sorgfalt mit ihrer Erziehung! Für wen habe ich mir denn all diese Mühe gegeben, den Schein zu wahren, die Familienehre hochzuhalten, die Zugehörigkeit zu unseren Kreisen nicht zu verlieren? Doch nur für Karl und Sophie — damit Sophie einmal standesgemäß heiraten kann! Und nun einen Bürgerlichen! Völlig unter Niveau. Das hat es im ganzen Stammbaum derer von Rieskow niemals gegeben. Gut, ihr Zietowitz', ihr habt eine Pastorentochter in euren Reihen zu verzeichnen, da mag es dir nicht so unmöglich erscheinen wie mir. Ich als geborene Rieskow sage jedenfalls: Ausgeschlossen!“

      Und der Onkel: „Versteh' ich ja, Agathe, versteh' ich. Auch ohne die Herkunft meiner Mutter, auf die du anzuspielen beliebst. Bewundernswert, wie du dich und die Kinder nach dem Tod meines Bruders gehalten hast — in der Situation, die er auf dem Gewissen hat. Zweifellos. Und deine hochfliegenden Pläne mit Sophie — verständlich. Natürlich, gräfliches Haus, das wäre was anderes, und das Zeug hätte das Mädchen dazu dank deiner Bemühungen, außer Frage. Oder ein Rittmeister der Ulanen mit Gut in Ostpreußen oder ein märkischer Junker, wem sagst du das. Würde mir auch besser schmecken. Aber ich bitte dich, betrachte die Realitäten! Nicht die geringste Mitgift, nicht einmal Tafelsilber und Tischwäsche, geschweige denn Geld oder Land! Niederschmetternde Aussichten, alter Adel und gesellschaftlicher Schliff hin oder her, das weißt du doch selbst! Wie ich dich kenne, bist du nicht die Frau, die sich etwas vormacht. Der 1870/71-er Krieg hat die Reihen der Offiziere gelichtet, so mancher Fähnrich und frischgebackene Leutnant kamen nicht zurück. Sie haben die freie Wahl, die Herren Hauptmänner und Rittmeister, und die Damen das Nachsehen, bleiben wir doch mal ganz nüchtern! Und vielen Offizieren steht das Wasser bis zum Hals, die heiraten eher eine Bankierstochter als eine mittellose Zietowitz, mag sie auch noch so wohlerzogen sein und adrett aussehen. Aber, mit Verlaub, weibliche Reize werden mit zunehmendem Alter nicht größer.“

      Ein Einwurf der Mutter, von dem Sophie nur die Empörung in der Stimme vernahm, doch nicht den Wortlaut. Dann wieder der Onkel: „Ich weiß, ich weiß, du hast recht, sie ist mit ihren gerade mal achtzehn Jahren zum Heiraten noch sehr jung, Zeit genug wäre zum Abwarten. Aber wer sagt dir denn, dass in fünf, sechs Jahren der Passende kommt, und was soll Sophie dann einmal tun? Etwa ihrem Bruder den Haushalt führen oder bei deinen hochnoblen Verwandten das fünfte Rad am Wagen sein und täglich zu spüren bekommen, dass sie nur das Gnadenbrot isst? Das Schicksal einer alten Jungfer — mein Gott, Agathe, willst du denn, dass das Mädchen bis an sein Lebensende im Hinterzimmer sitzt und für einen Hungerlohn Monogramme in die Brautwäsche reicher Jüdinnen stickt?“

      Ein Klumpen bildete sich in Sophies Magen. Wie der Onkel da über sie redete ... Sie wollte nichts mehr davon hören, und doch blieb sie stehen, lauschte weiter. Die Worte der Mutter waren nicht zu verstehen, doch dann war da wieder die Stimme des Onkels: „Ja doch, ist ja mein Reden! Doktor Schneider ist bereit, vollständig auf Mitgift zu verzichten, auch auf Wäsche, Tafelsilber und so weiter. Mehr noch — als ich ihm andeutete, dass das Offizierspatent von Karl auf schwachen Füßen stehe, ließ er durchblicken, dass er auch da zu einem Zugeständnis bereit wäre. Allerdings, wie er das formulierte — alle Achtung. Ließ klaren Geschäftssinn erkennen, und das ist gut so. Auf Romantik ist noch nie eine sichere Existenz gegründet worden, und in seinem Alter wäre Sentimentalität nur bedenklich. Wir haben eine klare

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