Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten. Gerstäcker Friedrich
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Читать онлайн книгу Das alte Haus. Heimliche und unheimliche Geschichten - Gerstäcker Friedrich страница 5
Eins von diesen fesselte ihre Aufmerksamkeit vor allen anderen. Es stellte einen jungen Mann in Lebensgröße dar, mit hochgepudertem Haar und reich bordirtem, hellgelbem Seidenrocke; das Gesicht sehr roth und weiß, und die ganze helle Figur aus dem fast schwarz gedunkelten Hintergrunde des Zimmers herausspringend.
„Herr Quetzlinberger," flüsterte da der Knabe leise, der dem auf das Bild gehefteten Blicke seines jungen Gastes mit den Augen gefolgt war. Er deutete dabei vorsichtig mit der Hand nach dem schon fast düstern Erker hinüber, wo Marie jetzt zu ihrem Entsetzen die Gestalt des kleinen Mannes erkannte, gerade wie ihn die Großmama in dem gelbseidenen Schlafrocke mit den grellrothen Aufschlägen beschrieben haben sollte, und der jetzt zwischen den fest zusammengezogenen Gardinen vorsichtig nach der Straße hinunter blinzelte. Wie das aber so eigenthümlich ist, daß wir den eigenen /23/ Namen, der in unserem Umkreise, oft selbst außer Gehörweite ausgesprochen wird, fast mehr fühlen als verstehen und uns unwillkürlich, manchmal sogar unbewußt, danach umdrehen, so wandte auch die Gestalt im Erker, die den leisen Ton unmöglich gehört haben konnte, den Kopf halb zur Seite, und ihr Blick fiel in diesem Moment auf das kleine Mädchen, das zitternd in der Mitte der Stube stand.
Herr Quetzlinberger sah sie ein paar Secunden still und forschend an, hob dann langsam die Hand auf und drohte ein klein wenig mit dem Finger. Aber er sah nicht böse dabei aus, und es war mehr, als ob er Ruhe gebieten wolle.
„Er kommt heute wieder nicht," sprach er dabei leise vor sich hin und schüttelte traurig mit dem Kopfe; „es ist schon fast dunkel und er läßt sich noch nicht sehen."
Marie sah fragend zu ihrem Führer auf, der aber legte warnend den Finger auf seine Lippen und zog Marien mit sich auf die gegenüberliegende Seite der Stube, wo gerade unter dem großen Bilde ein breitmächtiges, weich gepolstertes und mit schwerem Seidenzeuge überzogenes Kanapee stand. In dessen eine Ecke drückte er sich hinein und winkte dem Mädchen, neben ihm Platz zu nehmen.
In dem großen Zimmer war es indessen ganz dunkel geworden - dunkel und still. Von gegenüber aber, und wie es Marien so vorkam, von einer breiten, hochbeinigen Commode nieder, schaute ein anderes, fast weißleuchtendes Gesicht aus dem vollkommen unerkennbaren Hintergrunde heraus. Es war dies das Gesicht eines jungen, bildschönen Mannes, auch natürlich in der Tracht damaliger Zeit, doch mit edlen, offenen Zügen, aus denen nur ein trüber, gar so schwermüthiger Ernst sprach. Marien kam es aber fast vor, als ob das gar kein Bild sein könne und die Gestalt mit den lebhaft klugen Augen und den halb geöffneten, wie sprechenden Lippen dort oben in Wirklichkeit stehen müsse und jeden Augenblick herunterspringen könne. Links von dem Erker, wo an der schmalen Wand eines starken Vorbaues ein schmaler hoher Spiegel in goldgeschnitztem Rahmen angebracht war, stand unter diesem ein kleiner Pfeilertisch mit Marmorplatte /24/ und eingebogenen vergoldeten Beinen. Auf diesem lag ein großes aufgeschlagenes Buch voll schwarzer und rother Buchstaben mit großen gelben Beschlägen, wie es die Großmutter beschrieben. Die Brille zwischen den Blättern verrieth auch, daß der alte Herr erst ganz kürzlich darin gelesen und den Band vielleicht erst weggelegt hatte, als es anfing dunkel zu werden. Auf der Commode stand eine Uhr, wie ihr Vater eine ganz ähnliche, ein Erbstück aus alter Zeit, in seinem Studirzimmer hatte. Der Perpendikel ging auch in regelmäßigen Schwingungen herüber und hinüber - aber vollkommen geräuschlos. Nicht das geringste Schnarren oder Klappern konnte sie hören. Lautlos schwang er hin und her, und ebenso rückte der Zeiger nach, das unerbittliche Schreiten der Zeit verkündend.
Keins sprach von da an mehr ein Wort, und Marie schloß die Augen. Es war ihr dabei fast, als ob sie nun wieder daheim in der eigenen Stube in dem bekannten Lehnstuhl sitzen müsse und nur um sich zu schauen brauche, um gleich zu wissen, daß irgend ein toller, wunderlicher Traum sie geneckt. Und doch fühlte sie, daß es kein Traum sei, selbst noch ehe sie die Augen wieder öffnete. Die ganze Luft um sie her war anderer Art; das Sopha, auf dem sie lehnte, so leicht und elastisch, als ob sie mehr darauf schwebe wie ruhe, und das fremde, wunderbare Wesen selbst dort drüben im Erker - deutlich hörte sie es seufzen, und als sie, darüber erschreckt, die Augen aufschlug, hatte es sich von seinem Sitze erhoben und ging langsam, mit den Pantoffeln eben hörbar auf dem weichen Teppich schleppend, durch das Zimmer, durch dessen andere Thür es verschwand.
Marie sah das Alles und wunderte sich dabei, daß sie bei all' dem Unheimlichen, Grausenhaften um sie her so ruhig blieb und sich so gar nicht fürchtete. Aber der freundliche Knabe an ihrer Seite hatte seine Hand wieder auf ihren Arm gelegt, und mit der Berührung war es ihr fast, als ob ihr nun gar nichts Böses von irgend Jemandem geschehen könne.
„Nun muß ich aber wieder hinübergehen," sagte sie endlich, als der junge Bursche aufgestanden war und eine Weile /25/ hinter dem alten Herrn hergehorcht hatte - „die Mutter ängstigt sich doch sonst um mich."
„Jetzt?" lachte aber der Knabe, „jetzt essen wir ja erst zu Nacht, und da mußt Du ja doch unser Gast sein. Hörst Du nicht die alte Margareth draußen mit den Schlüsseln klimpern? das ist stets ihr Zeichen. Heute hat es überdies so lange gedauert."
„Die alte Margareth?"
„Nun ja, unsere Haushälterin."
„Von der hat mir aber ja Mama neulich erzählt," sagte Marie ganz erstaunt, „daß sie spurlos verschwunden wäre und kein Mensch wieder etwas von ihr gehört hätte. Ist das nicht wahr?" Der Knabe lachte leise vor sich hin und sagte kopfschüttelnd:
„Da draußen mögen sie sich wunderliche Dinge erzählen, ihre Spanne Zeit durch, und sie kommen und gehen. Einer hört's vom Andern und Jeder thut das Seine noch dazu. Laß Dich das nicht kümmern, Marie; siehst Du, da kommt sie schon. So, nun gieb mir Deine Hand, und ich führe Dich hinüber in den Speisesaal."
Marie sprang von ihrem Sitze auf, als sich die Thür auch öffnete und eine alte Frau mit einer, das gelbe Gesicht dicht umschließenden spitzen, hohen weißen Mütze den Kopf ins Zimmer steckte und ein freundliches „Es ist angerichtet!" hereinrief. Da nahm der Knabe die Hand des Mädchens und führte es über den sammetweichen, dicken Teppich der Nebenstube zu. Diese öffnete er, und ein heller, blendender Lichtstrahl schoß ihnen daraus entgegen.
„Aber, mein Gott, da hat der alte Nachtwächter ja doch Recht gehabt!" rief Marie fast unwillkürlich aus.
„Ja, sieh nur nach den Gardinen, Margareth," lachte der Knabe, der ihr aber jetzt schon viel größer und älter vorkam als vorher, „daß der alte Narr nicht wieder die ganze Straße in Aufruhr bringt, wie neulich einmal. Und nun komm, Mariechen; setz' Dich zu uns und thu, als ob Du bei Dir zu Hause wärest. Du bist gern gesehen bei uns, und wir haben uns lange darauf gefreut, Dich einmal hier /26/ zu bewirthen; hätten aber doch lange darauf warten müssen, wenn der Doctor heute nicht gekommen wäre."
Marie konnte nichts erwidern, denn zu viel des Neuen, Unbegreiflichen umgab sie hier. Der Kopf wirbelte ihr ordentlich.
Das Speisezimmer stieß dicht an das Wohnzimmer, mußte auch in früherer Zeit gar prachtvoll mit gelber Seide tapeziert gewesen sein, wie denn überhaupt Gelb die Lieblingsfarbe des Hauses schien. Die helle Beleuchtung verrieth hier aber doch, daß die Jahre den Wänden arg mitgespielt. Die Seide hing an sehr vielen Stellen in Streifen herunter und war verschossen und