Korridorium – fraktale Romanzen. Cory d'Or
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Auch ich habe mich schon als Magnetopath versucht, mir die Heilsteine des Maître heimlich ausgeliehen und über dem sich langsam wölbenden Bauch meiner Freundin geschwenkt, dem Zimmermädchen des Maître, Eloise. Auch sie hat die Augen verdreht, aber doch wohl eher deshalb, weil sie mich und meine halblauten Beschwörungen ziemlich lächerlich fand. Sie ist dann doch zur Engelmacherin gegangen.
Vielleicht sind es auch gar nicht die Magneten, sondern es ist der Maître selbst, sein eigener Magnetismus animalis, der die Reaktionen seiner Patientinnen und die wunderbaren Heilungen verursacht? Ich hoffe immer noch, dass er mich als Schüler annimmt und in seine Geheimnisse einweiht. Mit einer ungeduldigen Handbewegung entlässt er mich.
Ich trete wieder in den Korridor. Lange noch lausche ich an der Tür, wie er mithilfe seiner Magnete und Beschwörungen die Blockaden der Frau Stück für Stück zum Schmelzen bringt.
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15.5.12
Ich betrete den Korridor zwischen den Staudengewächsen und Zierbäumen. In unserem Freigelände können sich Pflanzenliebhaber fast jeden Wunsch erfüllen. Von Seerosen bis zu Rabattenstauden präsentiert sich ihnen unser Angebot wuchsfreudig, blühend und ganz in Saft und Kraft stehend. Die Pflege des umfangreichen Bestands ist für uns Mitarbeiter im Gartenmarkt eine ziemliche Herkulesaufgabe. Trotzdem habe ich während meines Praktikums immer wieder Zeit gefunden, staunend zu beobachten, wie die Pflanzen ihre Käufer finden.
Die Kunden streifen umher und begutachten unser Angebot, und dann irgendwann macht es Klick, und eine der Pflanzen hat ein neues Heim und einen neuen Besitzer gefunden. Ob es irgendetwas Chemisches ist, Pheromone vielleicht, oder ob es eine Form von Magie ist, habe ich noch nicht herausfinden können. Zwar glauben die Heimgärtner und Laubenpieper, sie wären es, die hier die Wahl treffen, aber in Wahrheit haben sie keinerlei Kontrolle über ihren Einkauf und stehen ganz im Bann der Blumen, Stauden und Ziergehölze, die sich ihnen aufdrängen. Wobei diese durchaus wählerisch sind. Und, ja, es gibt auch Kunden, die absolut unempfänglich sind für die Signale der Botanik und einfach einpacken, was auf ihrem Einkaufszettel steht. Doch die sind selten.
Ein fetter Mann, der seine Resthaare auf die Glatze gekämmt hat, schiebt seinen Einkaufswagen zwischen den Paletten durch. Er lässt seinen Blick schweifen und rollt gemächlich am Blauglockenbaum vorbei. Im Wagen hat er einen Zimmerspringbrunnen mit Drachenbaum und Zwergpfeffer. Ich als Pflanze würde mich jetzt klein und unscheinbar machen und ihn vorbeifahren lassen – wer ein weißes T-Shirt anzieht, das sich über den Bauch spannt und zahlreiche Flecken zweifelhafter Herkunft aufweist, wird auch seine Pflanzen nicht richtig pflegen.
Er hält an und nimmt den Blauglockenbaum in Augenschein. Ich beobachte ihn zwischen den Ästen der Harlekinweide hindurch. Was will er mit unserer Paulownia? Sie sieht ein wenig kümmerlich aus, ein paar der Blätter sind bräunlich verfärbt, als leide sie unter Pilzbefall. Niemand interessiert sich für sie. Schon seit Monaten steht sie unbeachtet auf der Palette neben dem Goldliguster: ein echter Ladenhüter. Aber der Dicke packt sie doch tatsächlich in seinen Wagen. Ich eile sofort hin.
»Kennen Sie sich mit der Pflege einer Paulownia aus? Sie ist sehr kapriziös.« Das soll ihn abschrecken. Doch der Kerl brummt nur und schiebt seinen Wagen weiter. Ich folge ihm.
»Oh, sehen Sie nur. Sie ist krank. Warten Sie, ich checke mal in unserem Bestand, ob ich nicht ein anderes Exemplar für Sie habe.« Wir haben keines, das muss ich nicht erst checken, aber ich kann ihm bestimmt einen Trompetenbaum unterjubeln, die werden oft mit der Blauglocke verwechselt. Doch der fette Glatzkopf schüttelt unwirsch den Kopf und reißt mir den Plastiktopf wieder aus den Händen, setzt ihn neben seinem Zimmerspringbrunnen, wirft Paulownia einen verliebten Blick zu und lässt mich einfach stehen.
»Entschuldigen Sie«, rufe ich ihm hinterher, »dieser Zierbaum ist bereits verkauft.« »Er gehört mir!«, will ich anfügen, doch ich sehe, dass die Tochter des Chefs auf mich aufmerksam geworden ist. Sie steht mit dem Wasserschlauch an den Silberweiden.
Der Übergewichtige dreht sich zu mir um. Ich habe nur Augen für meine Paulownia. Sie schüttelt ihre Blätter und reckt sich zu ihrer ganzen Größe auf. Sie will mich verlassen. Sie will sich diesem Dicken in seinem schmierigen T-Shirt an den Hals werfen, will die Seine werden und alles in den Dreck treten, was sich so behutsam zwischen uns beiden entwickelt hatte!
Die Tochter des Chefs tritt zu dem Dickwanst: »Es ist alles in Ordnung mit dem Bäumchen.« Dann dreht sie sich zu mir um. Sie hatte schon immer einen Kieker auf mich: »Ich glaube, unsere Orchideen müssen mal wieder ein wenig eingenebelt werden.« Doch ich habe bereits die große Gartenschere in der Hand. Von diesem Fettsack lass ich mir meine Paulownia nicht wegnehmen!
Ich stürze mich wütend auf ihn. Nach einem kurzen Handgemenge und ein paar schrillen Hilfeschreien der Chefstochter kann ich den Mann zur Seite stoßen und stehe dem treulosen Zierbaum gegenüber. Mit meinen Händen an den Griffen öffne ich die Schere. Paulownia scheint zurückzuweichen, ihre Zweige zittern, und sie scheint mich anzuflehen, es nicht zum Äußersten kommen zu lassen. Sie will alles wiedergutmachen, mir ein Leben lang treu bleiben, mir zu Diensten sein, mir jeden Wunsch von den Lippen ablesen! Pah! Sie kann mich nicht mehr täuschen …
Später habe ich erfahren, dass der Blitz, der in diesem Moment auf mich herniederfuhr und mich zu Boden schleuderte, eine der Edelstahlgießkannen für 94,99 Euro war, die mir die Tochter des Chefs über den Schädel zog. Die Aktion brachte mir neben einer schmerzenden Beule und einer leichten Gehirnerschütterung natürlich gleich auch die fristlose Kündigung ein. Meine Paulownia war fort, verkauft, als ich wieder zu mir kam. Der Dicke hatte sie in seinen Kombi geladen und war davongefahren. Wegen des unangenehmen Vorfalls haben sie ihm den Baum geschenkt und mir den Kaufpreis von meinem Praktikantengehalt abgezogen.
Also gehört sie jetzt ganz offiziell mir, oder? Ich habe sie schließlich bezahlt. Und ich werde sie mir holen! Janine von der Kasse, mit der ich hin und wieder heimlich hinterm Treibhaus an den Kompostcontainern geraucht hatte, hat mir den Namen und die Adresse des fetten Kunden gegeben. Der Chef hatte beides notieren lassen, für den Fall, dass es ein Nachspiel gibt.
Oh ja. Es wird ein Nachspiel geben! Diesmal habe ich die Motorsäge dabei …
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7.7.12
Ich betrete den Korridor, einen von zweien, die sich – wie mir Edarina per SMS versichert hat, bevor sie den zweiten, den Schwesterkorridor betrat – irgendwo in der Unendlichkeit treffen. Schnellen Schrittes laufe ich voran. Nicht, dass meine Rose für sie vorher welkt und ihre Blätter verliert!
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9.9.12
Ich betrete den Korridor im Namen der Wissenschaft – als Blau-8, also als jemand von der Teilnehmergruppe mit blauen Armbinden. Meine trägt die Nummer acht.
Die Forscher, die die Untersuchung durchführen, haben eine Fabrikhalle gemietet, durch die sich ein Korridor schlängelt, der für jeden einzelnen Durchgang der Untersuchung verändert wird. An beiden Enden des Korridors: eine Art Aufenthaltsbereich. Da stehen