Schock am Walpurgisfeuer. Holger Rudolph
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Читать онлайн книгу Schock am Walpurgisfeuer - Holger Rudolph страница 3
Die Kommissarin schaut auf die Armbanduhr. Es ist kurz nach Drei. „Keine Panik, Dennis. Ein bisschen Zeit wollen wir ihnen zugestehen. Es kommt schließlich nicht jeden Tag vor, dass mitten in der Nacht am Ende der Welt eine Tote gefunden wird.“
Sie setzt sich auf eine der hohen Holzbänke am überdachten Rastplatz und lässt die Beine baumeln. „Dennis, glaubst Du, dass ein Wolf einen Menschen derart zurichten könnte?“
Dennis schüttelt den Kopf schnell, fast schon hastig: „Ich denke, es waren mehrere Tiere. Wölfe, Hunde oder weiß der Gott, was für Wesen. Nein, ich glaube nicht an Werwölfe, aber wir sollten Luchse nicht ausschließen. Die kommen hier zwar eigentlich nicht vor. Doch wer kann sich da schon sicher sein. Die vielen Blutergüsse sehen allerdings so aus, als ob die Frau ausgepeitscht worden ist. Wer tut so etwas?“ Er schüttelt den Kopf verstört. „Chefin, wir sollten uns auf keinen Fall bei der Beurteilung der Wunden nur auf unsere Leute verlassen. Dieser Wolfsexperte Norden könnte uns eine große Hilfe sein.“
Anna weiß nicht, ob sie Dennis loben oder ihn für seine belehrende Art schelten soll. Mit etwas verkniffener Miene sagt sie nach kurzem Überlegen: „Ja, mein Bester, so weit war ich auch schon. Den Norden kannst du gleich morgen früh anrufen.“
Spuren
Heute ist der 1. Mai. Die Kommissarin wollte den Feiertag und das daran anschließende Wochenende nutzen, um an die Ostsee zu fahren. Drei Tage Erholung in der frischen Meeresluft würden ihr gut tun. Das kann sie nun vergessen.
Als Anna Klettner am Morgen das Rheinsberger Polizeirevier betritt, wird sie herzlich empfangen. Die Kollegen mögen ihre ruhige, aber bestimmte Art. Schon dreimal hat sie von hieraus in den zurückliegenden zwei Jahren die Ermittlungen geführt. In der Kleinstadt mit ihren rund 8000 Einwohnern gibt es keine eigene Abteilung für Kapitalverbrechen. Doch das Präsidium in der Kreisstadt Neuruppin, von wo aus Anna meistens ermittelt, liegt 30 Kilometer von der Rheinsberger Kernstadt entfernt. Bis nach Adamswalde, dem Tatort, sind es sogar fast 45 Kilometer. Die Kommissarin weiß, dass sie viel schneller zu guten Ergebnissen gelangt, wenn sie möglichst nahe am Tatort und an den Zeugen ist.
Dennis hängt bereits an der Strippe, als Anna gegen 8.30 Uhr das kleine Zimmer betritt, von wo aus sie ihre Ermittlungen führen werden. „Chefin, Wolfskenner Norden hätte Zeit, sich die Tote anzuschauen. Ich habe deshalb schon unsere Spurensicherer angerufen. Sie wissen nun, dass das Opfer auf keinen Fall abtransportiert werden darf, ehe auch Norden es sich vor Ort angesehen und seine Schlüsse gezogen hat.“
Anna klopft dem jungen Kollegen auf die Schulter: „Dennis, das hast du gut gemacht. Lass uns gleich auch nochmal hinfahren. Ich möchte den Tatort samt Leiche bei Tageslicht sehen. Du kannst fahren. Die kaputten Radlager an deinem alten Volvo klackern so schön monoton. Das ist der perfekte Hintergrund, um in Ruhe nachdenken zu können.“
Es sind nur noch wenige Kilometer bis nach Adamswalde. Kurz vor Großzerlang zweigt der holprige Waldweg von der schmalen Landstraße ab. Überall Wald. nd Sand.
Ein paarmal setzt der alte Wagen auf, obwohl Dennis sehr langsam fährt. Er nimmt es mit Humor und beginnt zu singen „Märkische Heide, märkischer Sand, sind des Märkers Freu-eu-de.“
Anna sieht ein ganz klein wenig genervt aus: „Na, sing schon weiter, Caruso. Ich werde es überleben. Wir sind sowieso gleich da.“
In der Nacht hatte Anna nur erahnen können, wie es am Tatort aussieht. Jetzt bemerkt sie, dass es hier tatsächlich schön ist. Der kleine Rastplatz liegt nahe einer Badestelle mit Liegewiese am See. Vorige Nacht hatten die Hobby-Hexen auf den beiden Bänken gesessen. Jetzt zwitschern die Vögel. Die Sonne scheint. Ein Wildkaninchen hoppelt über die Wiese. Zitronenfalter flattern. Der Mord passt nicht ins Bild dieser scheinbar so heilen Welt.
Bis zum Tatort im Gebüsch am Waldrand sind es vielleicht hundert Meter. Olaf Norden kommt den beiden Ermittlern entgegen. Er hat sich die Leiche bereits angeschaut. Der Wolfsfachmann, von Hause aus Biologielehrer an einem Neuruppiner Gymnasium, fuchtelt mit den Armen. Das rundliche Gesicht des fülligen Mittfünfzigers ist hochrot. Hastig gibt er Anna und Dennis die Hand. Gleich darauf bricht es aus ihm heraus: „Niemals war das ein Wolf. Diese Tote ist mit einer Vielzahl von Bissen übersät. So wie es aussieht, waren das zwei Hunde. Ein sehr großer und ein etwas kleinerer. Ein Wolf würde zielgerichtet zubeißen und sein Opfer mit wenigen Bissen erlegen. Dass Wölfe Menschen umbringen, das gibt es nur im Märchen. Wild, Schafe, Ziegen, sicher doch. Aber das hier war kein Wolf. Außerdem sind die Bissspuren viel zu breit. Wölfe haben einen schmalen Unterkiefer. Hier hat jemand seine Hunde auf die arme Naturschützerin gehetzt. Die konnte keiner Fliege etwas zu leide tun. Und nun musste sie auf derart bestialische Weise sterben.“
Die Kommissarin schaut den Experten fragend an: „Ach, Sie wissen, wer die Frau ist?“
Olaf Norden nickt mehrfach und so sehr, dass ihm die Brille tief nach vorn und fast von der Nase rutscht: „Das ist Beatrice Donner. Ich kenne sie vor allem als Naturschützerin. Erst letztens hat sie doch in Rheinsberg im Wolfskostüm demonstriert, nachdem der Wolf wegen der gerissenen Schafe eine schlechte Presse hatte. Soweit ich weiß, war sie so um die Sechzig und lebte schon seit Jahren in der Nähe von Adamswalde. Ohne fließendes Wasser, ohne Strom. Sie konnte sehr gut zeichnen und hat ihre Tier- und Landschaftsbilder unter einem Pseudonym über eine Galerie in Potsdam verkauft.“
Die Kommissarin schüttelt unwillkürlich den Kopf: „Weshalb sollte so eine Frau Feinde gehabt haben? Können Sie sich irgendeinen Reim darauf machen, was da passiert ist?“
Nein, Olaf Norden hat auch keine Erklärung für das Geschehene: „Sie hat eigentlich niemanden gestört. Ich weiß nur, dass sie vom Verkauf ihrer Bilder für ihre Verhältnisse gut leben konnte. Sie hatte allerdings auch kaum Ansprüche. Manche Leute hielten sie für eine Hexe. Der einzige kleine Luxus, den sie sich in ihrer selbst gewählten Wildnis wählte, war ein Zugang zum Internet per Surfstick. So hielt sie den Kontakt mit anderen Naturschützern. Auch mir hat sie etliche Mails geschrieben. Sie hatte seit einiger Zeit Angst, dass jemand den Wölfen etwas antun könnte, die in unsere Wälder zurückkehren. Ich habe ihr geantwortet, dass zwar nicht alle Menschen begeistert von diesen prächtigen Tieren sind, doch es wohl niemanden gebe, der ihnen etwas antun würde.“
Olaf Norden kann die Tränen jetzt nicht mehr zurückhalten. Er schluchzt: „Und nun. Welche menschliche Bestie hat das getan? Fassen Sie den Täter und bringen sie ihn lebenslänglich hinter Gitter!“
Dennis blickt dem Wolfskenner sehr ruhig in die Augen: „Herr Norden, wir sind noch ganz am Anfang unserer Ermittlungen. Sollte es sich um einen vorsätzlichen Mord handeln, dann können Sie sicher sein, dass Täter oder Täterin für sehr lange Zeit hinter Gitter gehen.“
Auch Anna Klettner versucht, den Naturschützer zu beruhigen. Sie legt ihren rechten Arm auf seine Schulter: „Vielen Dank, Sie haben uns wirklich sehr geholfen. Wir werden alles tun, um den Fall schnell aufzuklären.“
Olaf Norden trocknet die Tränen mit einem Taschentuch. Offenbar hat er sich etwas gefasst und schaut nun herausfordernd, fast ein wenig grimmig: „Und sorgen Sie dafür, dass es in den Zeitungen keine Schlagzeilen über Mörderwölfe gibt. Das wäre blanker Unsinn.“
Die Ermittlerin kann ihm das nicht versprechen: „Soweit es in unserem Ermessen liegt, werden wir versuchen, die Presse positiv zu beeinflussen. Falsche Schuldzuweisungen können wir aber nicht ausschließen.“ Norden schaut auf seine Armbanduhr: „Schon gut, ich verstehe Sie. Ich muss nun aber schnell los, denn in 90 Minuten beginnt meine nächste Unterrichtsstunde.“
Drei