Vom Leben getötet - Tagebuch eines 14-17jährigen Mädchens - Band 130e in der gelben Buchreihe bei Jürgen Ruszkowski. Liesbeth K. – Anonym (alias Grete Machan)
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Wir gingen in die Heide zum Walde. Es hatte nur wenig geschneit, und jetzt war der Himmel sternenklar. Vor einem kleinen Tannenbäumchen machte Hans halt. Er faltete die Hände und sagte: „Lasst uns das Vaterunser beten.“ Wir beteten. Dann nahm er uns, links Fritz, rechts mich in den Arm und sagte: „Hier ist euer Bäumchen, liebe Kinder, und ringsherum leuchten euch die Sterne dazu, hier seid ihr dem lieben Gott und euren Eltern am nächsten, und eure Sehnsucht wird etwas gestillt. Ihr habt so liebe, warme Herzchen, und die Herzchen weinen heute. Seht mal, dieselben Sterne, die euch hier leuchten, und die der liebe Gott angezündet hat, die leuchten auch in Neuburg und leuchten jedem, der einsam und verlassen ist, und denkt daran, wie viele Kinder es gibt, die weder Vater noch Mutter haben, die ganz allein in der Welt stehen, und noch dazu ohne Liebe. Seht, wir haben euch lieb, denn nicht nur eure Eltern haben euch uns anvertraut, auch der liebe Gott, und das, was Gott anvertraut, muss man heilig halten und ehren. Wir wollen auch in stiller Andacht an den lieben Heiland denken und an die Gottesmutter, die jetzt bei uns ist, und die euch über eure Sehnsucht hinweghilft.“ Er betete noch einmal leise das Vaterunser. Und wir fielen mit ein.
„Hans, Du bist so gut“, sagte ich und küsste seine harte Hand. „Ich habe euch nur lieb, und nun blickt noch einmal um euch und über euch und sagt dem Bäumchen Lebewohl, und dann wollen wir nach Hause gehen.“
„Weißt Du Hans“, sagte Fritz, „wir binden an diesen Baum ein Zeichen, denn er ist unser Freund in Not geworden, und Sommer und Winter begrüßen wir ihn. Und wenn wir nicht mehr in Steinbach weilen, dann besuchst Du ihn wohl einmal und denkst an uns.“ Wir suchten in allen Taschen herum, da fand Fritz ein Überbleibsel von einem Schlips. Wir knoteten es an den Baum, sagten Lebewohl und gingen munter nach Hause. Man erwartete uns zum Abendessen, und Heinz sagte: „Na, was habt ihr wieder zusammen ausgeheckt, du machst doch alle Tollheiten mit Hans.“
„Du bist ja ebenso“, lachte Bine. „Kommt Kinder, wir wollen zu Tisch gehen, lasst uns beten, auch für die Armen und Verlassenen, die heute Not leiden.“ Wir sahen uns an, Hans und ich, und ich fühlte mich so geborgen.
Nach dem Essen beschenkten sich die Geschwister. Fritz bekam eine wollene Unterjacke und ich einen gestreiften wollenen Unterrock. Ich hatte ein Bild gemalt, eine Winterlandschaft, und Fritz überreichte Heinz ein Paar selbstgestrickte Strümpfe. Dann machten wir uns auf und gingen zu einem andern Bauernhof. Am ganz entgegengelegenen Ende des Dorfes, zum Bauern Reit. Aus diesem Hause stammt der im Kreis so sehr bekannte Menschenfreund Reits Jürgen. Jahrelang durchwandert er schon den Kreis, durchkostet Not und Entbehrungen, lebt ein Christusleben, ist den Menschen mit Rat und Tat zu Hilfe. Die Menschen aber verstehen ihn nicht, und er wird wohl geachtet, aber auch verlacht. Er war Student, und seine Sehnsucht war ein Pilgerleben. Aus diesem Hause stammt nun auch die Braut des Ringmannschen Erben, Heinz Ringmann. Er feierte gestern Verlobung. Sie passen zueinander wie ein Ei zum andern. Sie ist recht blöde und schielt. Aber ihre Aussteuer ist so groß, dass zwei Heuwagen kaum reichen. Von Mutti kam heute früh ein herzlicher Weihnachtsgruß und die Nachricht, dass Papa morgen, den 2. Festtag, in Osthausen eintrifft, wo wir ihn erwarten sollen. Hans beschäftigt sich viel mit uns, und ich danke ihm das.
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