Mia am Meer. Katja Pelzer

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Mia am Meer - Katja Pelzer

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      Günther Mondric war von all den alten Krücken auf der Insel noch die lustigste. Er kam aus dem Ruhrgebiet und seine zauseligen weißen Haare und der Schnauzer gaben ihm etwas Spitzbübisches. Auch legte er seine üppige Körpermasse nicht, wie viele Mitpatienten, allabendlich auf der großen Couch vor dem Fernseher ab. Die meisten taten das ohnehin nur, um sich über all das Elend auszutauschen und auch weiterhin nichts zu tun, um diese Erde durch ihre Gegenwart auch nur einen Deut angenehmer zu machen. Da war Günther Mondric Mia bei weitem lieber. In ihm loderte noch ein Feuer. Der alte Gockel machte einer rüstig wirkenden Asthmapatientin, den Hof. Abends sah Mia sie häufig in einem Strandcafé sitzen. direkt neben ihrem Hotel. Dort genossen die beiden ein paar Bierchen zum Sonnenuntergang und hielten sich an den Händen. Günther war überhaupt noch gut auf den Beinen. Der Rücken ziepte zwar und die Bandscheiben kullerten nur so, wie er sagte, aber das hielt ihn nicht von kilometerlangen Strandspaziergängen ab. Einmal fragte er Mia, ob sie Lust hätte, ihn zu begleiten. Und das tat sie. Er wollte wissen, warum sie hier war. Und sie erzählte ihm alles.

      „Ach Mädchen, für so viel Kummer sind Sie doch noch viel zu jung!“

      „Das Schicksal richtet sich nicht nach dem Alter!“

      „Das nicht, aber Sie wollen doch auch noch keine gramgebeugte Alte sein. Dagegen können Sie was tun.“

      „Was denn?“, fragte Mia leise.

      „Meine Berta ist jetzt schon zwanzig Jahre tot. Und ich glaube nicht, dass irgendwem damit geholfen wär’, wenn ich ewig um sie trauern würde. Was sie für mich war, geht nie weg. Aber ich bin noch hier und muss weitermachen.“

      Ein Austernfischer, der vor ihnen im Watt auf und ab stolziert war, brach plötzlich in lautes Gezeter aus. Sein Schnabel glänzte rot, als hätte er ihn gerade in Nagellack getaucht. Günther Mondric schaute den zeternden Vogel amüsiert an. Dann zog er sein Smartphone aus der Hosentasche und machte typische Wischbewegungen. „Find’ mal den Vogel da“, sagte er und zeigte auf die Liste in seiner Vogel-App. „Ich hab’ meine Lesebrille vergessen.“ Er zuckte entschuldigend die Schultern. Mia beugte sich über das Gerät. Eigentlich boykottierte sie die Dinger. Sie tippte auf den Austernfischer mit seinem gebogenen roten Schnabel, den roten Beinen und dem schwarz-weißen Gefieder und aus dem Telefon erklang das vertraute Keckern. Der Austernfischer am Strand hob seinen Kopf, wiegte ihn hin und her und fing dann an, noch lauter und empörter zu Zetern. „Wie gemein!“ sagte Mia und stieß Günther ihren Ellbogen in die Seite. Ein zweiter Austernfischer landete und stimmte in das zweistimmige Geschimpfe ein. Mia machte fast in die Hose vor Lachen und musste sich an Günther festhalten, der sich ebenfalls seinen Bauchansatz hielt.

      Kapitel 4

      Menschen sterben. Ununterbrochen. Unangekündigt, einfach so. Aber warum dieser? Er war doch ihr Mann gewesen.

      Die spanische Polizei wusste nicht, ob es ein Unfall gewesen war. Und Mia wusste nur, dass Thom nicht mehr glücklich gewesen war. Schon lange nicht mehr. Aber war die Abwesenheit von Glück ein Grund zu gehen?

      In die Tage nach Thoms Tod drang kein Licht. Mia wusste schon beim Aufwachen nicht, was sie mit sich anfangen sollte. Warum sollte sie aufstehen? Das Grün der Bäume war ohne Farbe. Das Grün der Ampeln dagegen so grell, dass es sie blendete. Sie roch nichts, alles schmeckte nach nichts. Der Schmerz ihrer verlorenen Liebe war körperlich. Sie wand sich wie ein verwundetes Tier. Sie wollte, dass der Schmerz aufhörte. Sie wollte, dass es wieder schön war zu leben.

      „Sie sind nur für sich selbst verantwortlich“, sagte Stefanie Berenboom, ihre Therapeutin. „Schuldgefühle entstehen aus unseren Gedanken. Zuerst sind da die Hirngespinste, dann erst die Gefühle.“ Aber obwohl sie das verstand und sogar lebte, bedeutete das nicht, dass sofort alles wieder gut war. Überhaupt nicht.

      Mia wusste nicht, wie sie jemals ins Leben zurückfinden sollte, wenn der Mann, der alles für sie gewesen war, nicht mehr bei ihr hatte sein wollen.

      Kapitel 5

      „Mädchen, Sie sehen heute aber schon viel besser aus!“ Das war wieder einmal Günther Mondric, der Mia das zurief. Als sie von einer ihrer Fahrradtouren zurückkam, saß er im Strandcafé, dieses Mal ohne seine Bekannte. „Setzen Sie sich doch zu mir, ich fühle mich so allein“, er zwinkerte ihr fröhlich zu.

      Mia parkte ihr Fahrrad und schloss es ab.

      „Ich war heute in Nordblum auf dem Friedhof“, sagte sie, während sie sich setzte.

      Günther schüttelte den Kopf.

      „Na, Sie machen Sachen! Kümmern Sie sich mal lieber um die Lebenden. Beispielsweise um so’n alten Mann wie mich.“

      „Als Ihre Berta gestorben ist, wie haben Sie danach weiter gemacht?“, fragte Mia ihn.

      „Na, ich bin morgens aufgestanden, hab mir eine Stulle mit Butter gemacht und einen Kaffee und dann hab ich Gott gedankt, dass ich sie wenigstens für die zwanzig Jahre haben durfte, die wir verheiratet waren. Manch einer findet doch nicht mal den Menschen, mit dem er es ein Jahr aushält.“

      Mia schaute aufs Meer.

      „Aber das tut doch umso mehr weh, wenn man so einen Menschen dann verliert.“

      „Mag sein, aber ändern können Sie es auch nicht. Ich sag mir immer, was du nicht ändern kannst, damit halt dich nicht auf. Also versuch ich, das Gute zu sehen, das wir zusammen hatten.“

      „Aber dann leben Sie doch immer in der Vergangenheit!“

      „Ich bin ja nun schon ein bisschen älter als Sie, und Sie können mir glauben, dass es jeden Tag leichter wird, weiterzumachen.“

      „Aber ich weiß nicht, warum ich weitermachen soll. Wenn ich nicht so feige wäre, wäre ich auch schon längst gesprungen.“

      „Was für ne Verschwendung“, sagte Günther und schüttelte sein weißes Haupt.

      Kapitel 6

      Die Landschaft war am Morgen wie verwischt. Die Warften der Hallig – wie Schemen nur.

      Mia liebte das Kommen und Gehen des Meeres. Sie fühlte sich klein, aber irgendwie auch zugehörig zu dieser allmächtigen Natur. An die etwas langsame, manchmal recht ruppige Art der Inselbewohner hatte sie sich schon gewöhnt.

      Matts, der Therapieassistent mit den braunen Haaren, die erstes Grau zeigten, entschuldigte sich. „Ich kann Ihnen kein Meerwassersprudelbad anbieten. Die Sprudelanlage ist kaputt und ich weiß nicht, ob wir das Ersatzteil vom Festland brauchen. Wenn ja, dann ist das frühestens am Montag da.“ Seine kindlichen blauen Augen schauten schuldbewusst.

      Mia wusste nicht, ob der Mann eine Antwort erwartete. Sie hatte jedenfalls keine parat, also schwieg sie.

      „Sie können aber ein Meerwasserbad ohne Sprudel haben“, setzte er hinzu.

      Zwanzig Minuten lag Mia daraufhin in der Badewanne in warmem, salzigem Wasser in einem stillen dunklen Raum im Souterrain. Auf der Fensterbank stand eine Skulptur, eine Ballerina aus Bronze. Mia betrachtete die grazilen Arme, die elegante Beinhaltung. Alles schlicht und schön und so zerbrechlich wie das Leben.

      Mia

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