Unter der Seufzerbrücke. Hans Herrmann

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Unter der Seufzerbrücke - Hans Herrmann

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ging sie hinunter zu Schertenleibs.

      Dort blieb sie ziemlich lange. Ich hörte sie reden; meistens aber redete Schertenleib. Als sie ging, wurde sie vom Ehepaar feierlich ans Gartentor eskortiert. Er trug zur Feier des Tages ein weisses Hemd, seine Frau ihren diskret geblümten Rock. Die beiden winkten, als die Hausbesitzerin wegfuhr. Sie winkten noch, als das Auto längst ausser Sichtweite war.

      Am Dienstag in der zweiten Woche begegnete ich Schertenleib im Treppenhaus. Er hatte einen schweren, altmodischen Lampenschirm aus Alabaster unter dem Arm, einen der drei Exemplare, die noch von meinem Vormieter stammten. Bei meinem Einzug hatte ich sie demontiert und auf dem Estrich gelagert.

      «Gut sehe ich Sie gerade, Herr Mieter», sagte Schertenleib. «Ich habe die Hausbesitzerin gefragt, ob ich diese Lampenschirme haben könne, und sie hat Ja gesagt. Sie haben ursprünglich ihren Grosseltern gehört. Die sind wertvoll. Ich nehme doch an, Sie haben nichts dagegen?»

      Nein, hatte ich nicht. Schertenleib verschwand mit dem angeblich wertvollen Stück in seiner Wohnung. Was wollte er wohl mit diesen Dingern? Seine Wohnung veredeln? Oder Handel treiben? Vermutlich Letzteres.

      Beim Hinaufgehen fiel mein Blick auf das kleine Fenster beim Treppenabsatz. Es war mit einem rot karierten Vorhang versehen. Tagsüber war dieser Vorhang offen; sobald es eindunkelte, wurde er gezogen, vermutlich von Frau Schertenleib, die ich aber bei dieser Verrichtung nie sah. Ich sah sie nur, wenn sie mit einem Kessel Seifenwasser unterwegs war.

      «Herr Mieter», sprach Schertenleib am übernächsten Tag, «es geht mich ja nichts an, aber es wäre sinnvoll, wenn Sie Ihre Schuhe jeweils vor Betreten der Wohnung ausziehen und auf einer Kunststoffablage – die sind nicht teuer – ausserhalb der Wohnung lagern würden. So bringen Sie garantiert keinen Dreck in Ihre Wohnung.»

      «Das tönt gut», sagte ich. Frau Schertenleib kam gerade die Kellertreppe hochgestiegen. Das Wasser im Kessel dampfte. Es roch nach Seife.

      Ich schloss auf, trat in meine Wohnung, warf mich aufs Sofa und plante den ersten Mord meines Lebens. Ich führte ihn aber nicht aus. Stattdessen zog ich eine Woche später bereits wieder aus. Zum Glück hatte ich so schnell eine andere Wohnung finden können. Seither hause ich zwar in einer erbärmlichen Bruchbude, aber Ehepaar Schertenleib gibt’s hier zu meinem unsäglichen Glück keines. Die beiden bin ich los.

      Eigentlich haben sie mir ja nichts zuleide getan. Aber Leute, die einem unaufgefordert Veloabstellplätze bauen und ohne Unterlass mit Seifenwasser durchs Haus geistern, machen mich mit der Zeit ein wenig nervös.

      Mord spielen

      «Huu! Huu!»

      Erwin wandte sich um und erschrak. Hinter ihm stand eine kleine, gnomenhafte Gestalt, deren Gesicht zum grössten Teil von struppigen, schmutzverklebten Haaren verdeckt war.

      «Hereingelegt, hereingelegt», quäkte die Gestalt mit hoher Piepsstimme und nahm die schmutzige Perücke ab. Darunter kam das kugelrunde Gesicht der kleinen Babs zum Vorschein.

      «Hast du mich erschreckt», sagte ihr älterer Bruder. «Wo hast du denn dieses scheussliche Ding her?»

      «Das ist neben dem Mann gelegen.»

      «Was denn für ein Mann? Du musst ihm das zurückgeben. Das gehört sicher ihm. Wo ist er?»

      «Dort, hinter der Tanne. Uh, ist der dreckig. Und stinken tut er. Er liegt am Boden; ganz komisch, wie Anna, wenn sie schläft.» Anna war Babs’ Lieblingspuppe.

      «Leg das wieder hin, wo du es gefunden hast, sonst schimpft er, wenn er aufwacht.»

      «Und wenn er schon wach ist? Ich will nicht allein zurück.»

      «Dann kommen wir halt alle mit.»

      Erwin rief in die Höhle. Florian und Willi krochen, über und über lehmverschmiert, aus dem niederen Spalt ins Freie. Vor ungefähr 15’000 Jahren hatten in der Höhle Steinzeitmenschen logiert; wer im Lehm nachgrub, fand immer wieder Teile ihrer Hinterlassenschaft, fein gearbeitetes Gerät aus Feuerstein, Messer, Schaber, Stichel und Speerspitzen, zudem Knochenfragmente und die Zähne erbeuteter Tiere.

      An den steinernen Geräten waren die Kinder nicht interessiert; das waren in ihren Augen ganz gewöhnliche Steine, weiter nichts. Wenn sie an schulfreien Nachmittagen herkamen und gruben, dann der Tierzähne wegen, die sie an die örtliche Floristin verkauften. Diese fertigte daraus archaische Schmuckketten, die sie in ihrem Blumengeschäft als besondere Spezialität feilbot.

      «Was ist?», fragte Willi, der älteste der vier. Er putzte seinen Pfadfinderdolch, mit dem er gegraben hatte, an den Hosen ab und steckte ihn in die lederne Scheide zurück.

      «Dort hinter der Tanne schläft einer», sagte Erwin. «Babs hat ihm die Perücke stibitzt; jetzt hat sie Angst, sie zurückzugeben.»

      «Zeig mal her», verlangte Willi und streckte die Hand nach der Perücke aus. Babs reichte sie ihm.

      Willi besah sich den grauen, schmutzigen und verstrubbelten Haarschopf.

      «Das ist doch der Deckel vom alten Jakob», meinte er dann. «So ein unmögliches Ding trägt nur der. Gell», wandte er sich an Babs, «der dort hinter der Tanne, das ist der alte Jakob.»

      «Weiss nicht», sagte Babs. «Sein Gesicht ist im Laub.»

      «Na, wir werden ja sehen», sagte Willi. «Vor dem alten Jakob brauchen wir uns jedenfalls nicht zu fürchten. Und wenn’s jemand anderes ist, ein schräger Vogel vielleicht – gut, wir sind zu viert und überdies bewaffnet.» Er deutete vielsagend auf sein Dolchmesser, um sich und den anderen Mut zu machen. «Gehen wir.»

      Florian war als erster hinter der Tanne.

      «He, der schläft aber wirklich komisch», rief er seinen Kameraden zu.

      «Schscht, willst du wohl leise sein», wies ihn Willi gedämpft zurecht, als er einen Augenblick später mit den anderen angekommen war. Dann aber, als er die am Boden liegende Gestalt sah, hob er die Stimme wieder zu normaler Lautstärke an. Würde der Schläfer erwachen, wäre das nicht weiter schlimm. Es war in der Tat der alte Jakob, ein harmloser alter Mann, der ein landstreicherhaftes Leben führte, meistens betrunken war und manchmal auf einem Bauernhof, manchmal im Pfarrhaus, manchmal unter freiem Himmel und zuweilen auch in der Höhle nächtigte. Willi erkannte ihn am dunkelblauen, abgewetzten Eisenbahnermantel. Der Alte lag auf dem Bauch und streckte einen Arm und ein Bein in unnatürlich verwinkelter Haltung ab. Vom Kopf war nur der vollständig kahle hintere Teil zu sehen; das Gesicht war, wie Babs es geschildert hatte, ins feuchte Laub gedrückt.

      «So könnte ich nicht schlafen», meinte Erwin. «Der kriegt doch kaum Luft.»

      «Sieht wie krank aus», kam es von Florian. «Wir sollten ihn wohl wecken und fragen, ob ihm etwas fehlt. Vielleicht muss er zum Doktor.»

      «Gut, sehen wir mal», sagte Willi und stiess den Liegenden mit dem Fuss an, zuerst behutsam, dann kräftiger. Schliesslich versetzte er ihm einen regelrechten Tritt. All das zeigte keine Wirkung.

      «Los, drehen wir ihn um», kommandierte Willi.

      Die Kinder drehten den alten Jakob mit vereinten Kräften auf den Rücken. Babs stiess einen kreischenden Schrei aus. Den Kindern starrten aus einem weissen Gesicht zwei weit aufgerissene, erloschene

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