Die Endzeitpropheten. Hermann Christen

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Die Endzeitpropheten - Hermann Christen

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dieser Vorlesungen war das üppige Platzangebot im Hörsaal. Von den zwanzig Plätzen waren meistens kaum mehr als sechs oder sieben belegt. Schließlich erkannte er erstaunt, dass die Prähistorik was für sich hatte, wenn man nicht alles für bare Münze nahm und einfach Spaß an Geschichten hatte. Es war fast wie in den alten Büchern, die Steve so mochte, nur dass der Held am Ende die Frau nicht kriegt.

      Nach knapp einem Jahr ernannte ihn Becker zu seinem Assistenten.

      Das Telespeak summte. Helen! Er ignorierte den Anruf. Schließlich hatte er wichtigeres zu tun und konnte seine Konzentration nicht wegen einer hysterischen Frau fallen lassen. Helen selber verlangte ja immer wieder von ihm, sich zu fokussieren. Heute fokussierte er sich auf die Arbeit.

      Das verschollene Evangelium

      Die Bahn tauchte in das Tunnel auf der gegenüberliegenden Seite des Kraters ein und wischte den Himmel und die Gedanken weg. Einige Minuten später stoppte der Zug im Uni-Terminal. Steve stieg aus und eilte die Treppe hoch. Er hielt den Batch ans Lesegerät. Lautlos schwenkte die Tür zur Uni auf.

      'Das muss mein Tag sein', dachte er amüsiert, weil die Automatik auf Anhieb funktionierte.

      Das quietschende Geräusch der aufsetzenden Sohlen während seines Schwebeganges hallten hohl von den Wänden zurück. Einige Leuchtröhren waren blind, andere flackerten als ob sie dagegen protestierten, am Wochenende arbeiten zu müssen.

      Die kalte, seelenlose Umgebung jagte Steve Schauer über den Rücken. Nicht einmal der stets mürrische Facilitymanager, den vermutlich selbst die eigene Mutter verabscheute, war zu sehen. Er vergrößerte seine Sprünge und bog in den kleinen Seitentrakt, der Beckers Institut beherbergte. Es belegte zwei Räume am Ende des Ganges: ein kleiner Vorlesesaal und gleich daneben das 'Labor', Beckers Büro und Studierzimmer. Für Steve war es oft genug die Kammer des Schreckens, weil hier die Workshops stattfanden.

      Steve klopfte kurz an der Tür des Büros, bevor er eintrat. Es roch nach abgestandener Luft und anderem, was Steve nicht unbedingt wissen wollte.

      Becker saß in seinem Sessel und blätterte Unterlagen durch. Steve wunderte sich schon lange nicht mehr über den verschwenderischen Protz dieses Sessels. Das Ding glich einem Thron, wie ihn die alten Könige benutzt haben mussten. Der hochlehnige, hölzerne Rahmen war ein Relikt aus vergangener Zeit – und passte hervorragend zu Becker. Die Lehne und der Rahmen waren mit Schnitzereien verziert. Auf der Lehne prangte in der oberen Hälfte ein Kreuz, an welchem ein Mann hing, der sich eindeutig unwohl fühlte, darunter eine Art Teewärmer mit Bändern. Unter dem Teewärmer kreuzten sich zwei Schlüssel. Steve hatte keinen Schimmer, was die Symbole zu bedeuten hatten. Im Kopfteil prangte die Jahreszahl 2048, das Jahr der Großen Säuberung.

      Becker blickte hoch begrüßte seinen Assistenten mit einem Kopfnicken.

      "Ich dachte schon, die Nachricht habe sie nicht erreicht. Bei den Drohnen weiß man nie. Gut sind sie hier. Hatten sie Probleme?"

      "Nein", sagte Steve. Becker brauchte nichts von dem Mann in der Metro zu wissen. Solange Becker keine Verschwörungen witterte, konnte das hier zeitlich glimpflich ausgehen.

      "Kommen sie, ich muss ihnen etwas zeigen."

      Der Professor legte sein Hauptdokument, wie er es nannte, auf den Stehtisch und strich es flach.

      "Das wird sie begeistern."

      Steve trat heran und blickte angewidert auf das Papier. Er kannte dieses wirre Durcheinander von eingekreisten Wörtern und Verbindungslinien zwischen diesen Ovalen. Becker hatte ihm einst erklärt, dass diese Methode 'vernetztes Denken' hieße und im Goldenen Zeitalter gang und gäbe war.

      '… bis die Mächtigen dahinter kamen, dass vernetzt denkende Menschen gefährlich sind. Danach führten sie das Spezialistentum und die Technokratie ein...' geistere eine Bemerkung Beckers durch Steves Erinnerung.

      "Und?"

      "Geben sie mir noch eine Minute."

      Becker trat einen Schritt zurück, zog die E-Pipe hervor und begann geräuschvoll daran zu saugen.

      Steve blendete das abstoßende Geräusch aus und konzentrierte sich auf die Darstellung. Aufgefaltet hatte das Dokument etwa die Größe des Esstisches zu Hause. Das linke Drittel war mit eingekreisten Begriffen, Namen und Ereignissen und Linien zwischen den Ovalen übersät.

      Die rechte Seite zeigte eine Matrix, in welcher die Beziehungen dargestellt und bewertet waren. Steve erwartete nichts Gutes, denn Becker konnte stundenlang über die Bedeutung der Beziehungen und deren unumstößliche Beweiskraft philosophieren.

      Steve erinnerte das Gesamtwerk eher an seine eigenen, schrägen Visionen, wenn das Party-LSD wieder einmal von besonders schlechter Qualität war. Seiner Meinung nach war vernetztes Denken mit Kartenlegen oder Traumdeutung identisch. Beides waren seines Wissens Methoden, mit welchem in der Altzeit die Zukunft geplant wurde. Den Leuten damals fehlte die kühle, koloniale Nüchternheit, mit der heute entschieden wurde.

      Becker trat vor und stellte sich neben ihn an den Tisch. Sein Gesicht leuchtete vor Erregung.

      "Und?"

      "Äh, nun ja – interessant, nicht?"

      "Mehr als das, mehr als das!"

      Becker setzte sich in Bewegung und umrundete den Tisch. Steve seufzte innerlich, denn das war das Denk- und Ideenentwicklungsritual das immer ablief, wenn sich der Professor an einer Sache festbiss und monologisch Beweise und Gegenbeweise für seine 'Erkenntnisse' anführte. Zu Steves Erstaunen blieb Becker nach zwei Runden stehen und deutete mit der Pfeife auf ihn.

      "Sie wissen, was dieses Dokument darstellt."

      "So in etwa", wich Steve aus.

      "Hier sind die verwandtschaftlichen Relationen der Endzeitpropheten aufgeführt", lachte Becker verlegen auf, "natürlich die wissenschaftlichen, nicht die genetischen. Sie verstehen…"

      Steve schielte Becker mit gerunzelter Stirn von der Seite her an. Der kleine Mann redete schnell und fahrig. Ganz anders als sonst, wenn er unbeirrbare Selbstüberzeugung ausstrahlte.

      "… und wie ich schon lange vermutete, waren die Bezüge der Endzeitpropheten", Becker nuckelte angestrengt an der Pfeife und drehte die Nikotinzufuhr höher, "aller Endzeitpropheten, wie ich betonen möchte, zum verschollenen Evangelium nicht nur rhetorische Floskeln, sondern Realität."

      Er blickte Steve herausfordernd an, doch bevor dieser eine nichtssagende Platitude von sich geben konnte, fuhr er fort: "Hier sehen sie den begründeten Verdacht, dass das verschollene Evangelium kein Mythos ist. Wie gesagt: alle großen Endzeitpropheten und ein schöner Teil der kleinen Prediger berufen sich auf die Weisheiten dieses Buches. Wenn sie genau hinsehen, wird das aus meiner Grafik ersichtlich."

      "Der hier auch", fragte Steve desinteressiert und deutete auf ein Oval, welches rot eingekringelt war und einen grobschlächtig hingeworfenen Totenkopf unter einem Namen zeigte. Er beugte sich näher, um den Namen zu entziffern: "dieser Henry Wallich. Aber den haben sie, wenn ich mich richtig erinnere, noch nie erwähnt."

      "Zu Recht", schnaubte Becker, "Wallich war ein Antiprophet. Ein reizbarer Charakter, der aus niederen, eigennützigen Beweggründen zum Lügen neigte und das verschollene Evangelium als 'unverantwortbaren Unfug' bezeichnete. Ein übles Geschöpf, das

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