Eva und das Paradies. Dominik Rüchardt
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Sie starrte in die Luft, die Nase und die Augen gerötet, und blickte verzweifelt zu Mia hinüber, die immer noch so da saß wie bisher.
„Und das bedeutet, hier geht alles zu Ende. ESCO übernimmt den Grund wieder und macht Industrieäcker daraus.“ Sie strich verzweifelt über einen Aprikosenzweig. „Ihr müsst alle fort. Alle, die hier leben, müssen sich eine neue Existenz suchen, die sie kaum kriegen werden, als ehemalige Mitarbeiter unserer Farm. Die Kinder müssen in die normale Funktionsausbildung, wo sie zu Robotern gemacht werden, ihr Geist wird gebrochen und sie bekommen künstliches Essen, das sie zu dem züchtet, was die Entwicklungsprogramme für sie ausgerechnet haben.
Ich habe gestern meine Schwester besucht. Wie die leben ist“, sie suchte nach Worten, „schrecklich!“ Nun brachen die Tränen durch. Eva musste sich schütteln vor Schluchzen: „Es geht alles zu Ende, weil wir es nicht schaffen ohne Jasiri.“
Mia nahm ihre Hand, um sie zu trösten − und Eva ließ sie, obwohl es doch früher immer sie gewesen war, die Mia getröstet hatte. Doch sie fühlte sich so schwach und elend, nachdem sie alles gesagt hatte, was bisher noch unausgesprochen in ihrem Kopf und vermutlich auch in dem des Verwalters festgehalten gewesen war. Und die Wärme von Mias Hand tat ihr gut, auch wenn es sommerlich heiß war.
„Das kann nicht sein“, erklärte Mia mit einem Mal bestimmt, „wir finden einen Weg“. Energisch stand sie auf und ging im Kreis über den Kies, während sie die Nachricht verarbeitete.
„Du bist mit Jasiri verheiratet, Du bist seine Erbin. Du bist die neue Chefin. Es wäre doch gelacht, wenn es nicht gelänge, das Erbe anzutreten, hier weiterzumachen.“
„Ich habe mit allen gesprochen, aber keiner weiß eine Antwort. Keiner war je in seinem Dorf oder weiß überhaupt, wo genau es ist. Jasiri hat es auch mir nie erzählt, er wollte das nicht. Er meinte, diese Welten passen nicht zusammen. Ich glaube es lag an mir. Sie hassen mich, weil wir verheiratet waren, das muss für sie sein wie ein Verbrechen.“
„Ja, die Afrikaner erkennen die Ehe nicht an. An sich ein sehr fortschrittlicher Gedanke, aber in unserem Fall eher ein Problem“, bestätigte Mia nachdenklich. „Aber Probleme sind dazu da, dass sie gelöst werden.“
Sie überlegte. „Wieso, glaubst du, hat Jasiri Dir so wenig erzählt? Ihr habt euch doch vertraut.“
„Ja, das haben wir.“ Eva beruhigte sich allmählich, ließ alles noch einmal an sich vorbeigleiten. „Vermutlich war es auch einfach zu viel“, sie ließ die Schultern fallen. „Er hat so viel gemacht, und es war so voller Widersprüche, mit der Ablehnung der Ehe in Afrika, dem Schmuggel, und andererseits mit der Begeisterung hier. Und wir hatten ja auch so genug, worum wir uns kümmern mussten.“ Diese Gedanken halfen ihr, und sie fand zurück zu ihrem Problem.
„Wir haben zwei Monate Zeit, dann muss spätestens die Aussaat stattfinden“, erklärte sie mit einem Seitenblick zu Mia. „Jasiri war gerade losgereist, um alles zu organisieren.“
„Wir müssen uns einen Plan machen“, erklärte Mia. „Was ist das Ziel, wer sind die Beteiligten, was sind ihre Interessen und was können sie leisten“, sie stand auf. „Warte, ich hole uns was zum Arbeiten, dann legen wir los. Darf ich Felix einweihen? Er ist ein As darin, Zusammenhänge zu erschließen.“
„Ja, klar“, brachte Eva nur heraus und schon war Mia im Haus verschwunden.
‚Diese Philosophieschule ist doch unglaublich‘ dachte sie bei sich, ‚die sind so selbstbewusst, wie wir es nie waren‘. Aber bei aller Bewunderung war sie auch beunruhigt. Und als Mia zurückkam, Block und Tablet unter dem Arm, sagte sie ohne Zögern: „Lass den Tablet lieber weg. Wir sollten bei allem, was wir tun, so wenig wie möglich nachvollziehbar sein. Nimm den Block, das geht auch. Und wenn Du etwas recherchieren willst, nimm das öffentliche Netz mit einer Wegwerf-ID. Was Du so nicht herausbekommst, besprichst Du bitte vorher mit mir, damit wir überlegen, auf welchem Weg wir weiter nachforschen.“
Mia erschrak und Eva merkte sofort, dass sie etwas überfallartig gehandelt hatte. Doch sie wollte sich nicht entschuldigen. Daher setzte sie ein leicht sarkastisches Grinsen auf.
„Das sind die Regeln des Untergrunds“, sagte sie mit tief verstellter Stimme und hoffte, Mia würde verstehen, dass es ihr, bei aller gespielten Leichtigkeit, tatsächlich ernst damit war.
Mia fing an, auf dem Block Diagramme zu malen und Eva nach den Zusammenhängen zu befragen. Sie löcherte sie hartnäckig und erlaubte ihr keine Schummelei. Nach einer Weil kam Felix dazu und sie saßen zu dritt im Garten. So erarbeiteten sie ein Bild der Lage, diskutierten die Beteiligten und zogen Schlüsse. Am Ende hatten sie eine kompliziert aussehende Zeichnung und zwei neue Ansatzpunkte. Der eine war Helmut Montensacken. Eine flüchtige Bekanntschaft von Eva. Helmut war grundsätzlich dem feindlichen Lager zuzuordnen, er war ein einflussreicher Lobbyist in Berlin, der alles und jeden kannte. Aber anscheinend hatte er auch eine andere Seite, und Eva meinte, er könnte ein politischer Türöffner sein. Montensacken und Eva waren einmal auf einer Podiumsdiskussion gegeneinander angetreten, woraus, trotz aller Gegensätze, eine Beziehung entstanden war, die sich beinahe zu einer Affaire entwickelt hätte. Sie hatte sich zwar nie darauf eingelassen, hatte sie aber, angesichts mehrmaliger Anläufe Helmuts, auch nie endgültig verhindert. Diesen Teil verschwieg sie Mia allerdings.
Der andere war ein Lehrer von Mia und Felix. Er war zwar Chinese und stammte aus Amerika, aber er hatte offenbar jede Menge Ahnung von Afrika und war, nach beider Überzeugung, ein guter Ratgeber und ihnen gewiss freundlich gesonnen.
Anruf – Berlin Kohlbogen
Helmut Montensacken saß in seinem Büro im 22. Stock über Berlin, die Füße auf dem Schreibtisch, den Ausklang des Sonnenuntergangs vor Augen und dachte über sein Leben nach. Er, einer der erfolgreichsten Lobbyisten Berlins, war unzufrieden. Nein, mehr als unzufrieden. Eine dunkle Wolke der Sinnlosigkeit braute sich über ihm zusammen. Etwas, das ihm in letzter Zeit immer öfter geschah.
Der Tag war mehr oder weniger wie alle anderen gewesen. Ein steter Fluss Anfragen von Unternehmen nach Entscheidungsrichtwerten, seine eigenen Gespräche mit Abgeordneten und Funktionären, das übliche Mittagessen mit den Unternehmern an jedem Donnerstag, der Monatsbericht von ESCO in einer virtuellen Konferenz, schließlich der tägliche Blog an die Lokalbüros. Er hatte seinen Betrieb im Griff. Alle Agrarmanager suchten seinen Rat, und sogar die Pharmaindustrie und die Biotech-Gruppen wagten keinen Vorstoß ohne seine Zustimmung. Und seine Mitarbeiter standen in absoluter Loyalität hinter ihm. Ihrem Guru. Beim Spree-Bowlen, letzte Woche auf dem Boot, hatten sie ihm wieder alle gezeigt, wie sie ihn liebten. Besonders seine weiblichen Mitarbeiterinnen hatten ihn angehimmelt, einige hatten sogar versucht, ihn zu verführen. Er genoss es, ja, aber niemals würde er ein Verhältnis mit einer Mitarbeiterin anfangen. Da war nichts zu machen. Sie waren schamlos in ihrer Koketterie und ihrem Auftreten − und er flirtete brav zurück. Aber das war es auch. Schade. Er liebte es, wenn eine Frau sich ihm zeigte, sich um ihn bemühte, sich reckte und ihn herausforderte. Er liebte auch die Vorstellung, was daraus werden könnte, und die Vorstellung, was die Frauen sich wohl dachten, wenn sie an ihn dachten. Aber es musste bei der Vorstellung bleiben. Bei der Möglichkeit, die sich nicht erfüllte. Er musste unerreichbar bleiben, nicht nur um seine Autorität zu erhalten, sondern einfach, um weiter interessant zu sein. Wie könnte er sich weiterhin für all diese Menschen interessieren, wenn er sie so nah an sich heranließe? Sie würden banal werden, schales Fleisch mit erhöhtem Infektionsrisiko, mit Ansprüchen und tränenreichen Szenen. Dennoch, diese selbstauferlegte Reizlosigkeit nagte an ihm. Wofür tat er das alles? Wofür ging er immer wieder an die Grenzen und ersann neue Ideen, mit denen seine Kundschaft dem Recht wieder ein Schnippchen schlagen konnte?