Redewendungen: Episoden 2003. Carsten Both

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Redewendungen: Episoden 2003 - Carsten Both

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war zwar eifersüchtig und aus Männersicht eine Spielverderberin, aber dumm war sie nicht. Sie durchschaute das Spiel und erbat die Kuh als Geschenk. Der erwischte Gatte/Bruder konnte nicht ablehnen, ohne sich verdächtig zu machen, und so kam die mutierte Io in Isolationshaft und Argus wurde von Hera als unüberwindbarer Wächter angestellt, sodass sich nie wieder der liebestolle Gatte/Bruder der jüngeren, attraktiveren Rivalin nähern könne.

      Bei der Argus-Fabrikation soll übrigens eine Nymphe den weiblichen Part übernommen haben. Und die Nymphen, die verführerischen, jugendlichen Göttinnen des Lebens in der freien Natur, gelten bekanntlich als Töchter des Zeus; so schließt sich der Kreis und Zeus, wie immer, mit geballter Manneskraft mittendrin statt nur dabei.

      Soweit die Beschreibung, wie jener Argus zu seinem Job kam, der für die Erläuterung der Redewendung bedeutsam war.

      Nun gab es in der griechischen Mythologie aber nicht nur eine Person, die angelaufen kam, wenn man rief: „Argus, Essen ist fertig!“ Zumal meine Abhandlungen ja für ihre wissenschaftliche Genauigkeit berühmt sind (die mancher Kleingeist als sophistisch diskreditiert), muss ich noch kurz die restlichen erwähnen:

      Da wäre zum einen bzw. schon wieder der Potenzprotz Zeus. Einen seiner unzähligen Söhne hatte er gemeinsam mit der Königin Niobe – der Frau, die allzu sehr und einmal zu oft mit ihrer Gebärfreudigkeit prahlte und dafür abgestraft wurde. Ihr Zeus-Sprössling brachte es immerhin zum Namensgeber und Held der peloponnesischen Landschaft Argolis und war Gründer der dazugehörigen Hauptstadt Argos (s.o.). In Argos befand sich übrigens der Hauptsitz der schon charakterisierten Göttin Hera. Zumindest behauptet dies der örtliche Fremdenverkehrsverband; die Ruinen des Tempels können noch heute besichtigt werden.

      Auch der mythologische Phrixos, der oft zusammen mit seiner baden gegangenen Schwester Helle erwähnt wird, hatte mit einer Dame namens Chalkiope einen Sohn, der Argos gerufen wurde. Dieser war der Erbauer und Namensvetter des Schiffes „Argo“, des plaudernden Vehikels der Argonauten, einer Gruppe von griechischen Helden, die sich unter der Führung von Iason für den Reimport des Goldenen Vlieses einsetzten. Manche Quellen kennen sogar noch einen zusätzlichen Argonauten namens Argos.

      Dieser drei- bis vierfach vorkommende Argos/Argus führt des Öfteren zu Verwechslungen, insbesondere was Verwandtschaftsverhältnisse und Herkunft betrifft, vielleicht auch in diesem Beitrag!?

      Zumindest können Sie nun, falls das Stichwort „Argus“ fällt, über die fingierte Frage „Welcher Argus?“ rabulistisch von Ihrer jüngst erworbenen Bildung Gebrauch machen. Die beiläufige Ergänzung, dass wohl Argus Panoptes gemeint sein muss, wenn's um optische Leistungsfähigkeit bzw. die bekannte Redewendung geht, lässt den Durchschnittsbürger demütig verstummen, und Sie können mit obiger Geschichte beginnen (und vergessen Sie nicht, auf die zwei Theorien der Kuhentstehung hinzuweisen!).

      Wenn nach dieser Lektion noch jemand außer Ihnen im Raum ist, dann können Sie mit der Klugscheißerei erst richtig loslegen, denn auch auf die Zoologie hat Argus Panoptes abgefärbt:

      Die Familie der Argusfische (Scatophagidae) besteht aus den beiden Gattungen Scatophagus und Selenotoca und nur wenigen Arten. Die Fische werden ca. 30 cm lang und weisen einen seitlich stark zusammengedrückten Körper mit zwei Rückenflossen auf, wobei die vordere mit Giftstacheln versehen ist. Der Gemeine Argusfisch (Scatophagus argus) ist mit vielen runden schwarzen Flecken übersät.

      Argusfische sind vor allem an tropischen Meeresküsten und in Brackgewässern des Indischen und Pazifischen Ozeans beheimatet. Sie ernähren sich vorwiegend von organischen Abfällen und sind deshalb oft in Hafennähe und Abwasserzonen anzutreffen. Der Gattungsname Scatophagus, der „Kotfresser“ bedeutet, weist auf diese Exkrementen-Präferenz hin. Argusfische sind beliebte Speisefische; bei der Zubereitung sollte man auf die Stacheln achtgeben.

      Nach Argus Panoptes ist aber fernerhin ein Hühnervogel benannt, der zur Familie der Fasanenartigen (Phasianidae) gehört und vor allem in den Wäldern Sumatras, Malakkas und Borneos beheimatet ist: Der Argusfasan (Argusianus argus), auch bekannt unter dem Pseudonym Arguspfau, was missverständlich ist, denn es handelt sich nicht um einen Pfau, sondern um einen Fasan (Phasianinae), sogar um einen Pfaufasan (Argusianinae); aber das hätte ich gar nicht erwähnt, wenn ich kein Rabulist wäre.

      Das unspektakuläre Weibchen tut (nicht nur) bei Fasanen nichts zur Sache, aber das hübsche, farbenprächtige Männchen: Kopf und Hals sind leuchtend blau, die beiden mittleren Schwanzfedern erreichen eine Länge von bis zu zwei Metern und die stark verlängerten Oberschwanzdecken sind mit schillernden farbigen reflektierenden Augenflecken verziert. Aber diese Gefiederpracht zeigt sich erst bei der eigentümlichen Balz des Argusfasans: Dann entfaltet der Hahn seine großen, breiten Armschwingen und die schillernden Augenflecken werden sichtbar. Ferner stellt er die Schwingen derart nach vorne, dass diese quasi einen Federschild bilden. Durch das verbleibende kleine Loch in der Mitte schaut er dann nach der angebeteten Henne. Darüber hinaus stellt der balzende Hahn noch seine beiden überlangen mittleren Schwanzfedern hoch auf, sodass sie den großen Flügelfächer überragen.

      Dieses oder ein ähnliches Schauspiel haben wir alle schon einmal im Tierknast (beschönigend „Zoo“ genannt) als besondere Attraktion begafft. Oft wird dort ein naher Verwandter des Argusfasans ausgestellt, der Blaue Pfau (Pavo cristatus), der ebenfalls zur Familie der Fasanenartigen gehört und an dessen Gehege alle stundenlang gewartet haben, bis er endlich sein Pfauenrad schlug oder der Zoo zumachte.

      Die Augen auf dem Pfauenschweif sollen wahrhaftig die Original-Argus-Augen sein – behaupten die Griechen! Wie das geschehen konnte, berichte ich Ihnen vermutlich das nächste Mal. Dann werde ich gleichfalls das äußerst tragische Karriereende unseres Überwachungsgenies erläutern. Diesbezüglich sei nur soviel schon verraten: Er wurde quasi von einem passionierten Dieb, Kaufmann und Betrüger mit komischem Hut und Flügelsandalen totgeflötet und -gelabert. Besonders kluge Leser (also wieder mal ALLE) können den Argustöter auch prompt benennen; aber wenn Sie jetzt spekulieren, der hätte etwas mit der Kunst des absolut dichten Verschließens zu tun, dann liegen Sie nicht völlig aber ziemlich falsch. Über die landläufige Verwechslung des Argus-Killers mit einem Namensvetter kläre ich Sie besserwisserisch in der nächsten Folge auf.

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      Episode 38: Wer versiegelt luftdicht?

      Was in der letzten griechisch-mythologischen Folge geschah: Zeus bandelte mit der hübschen Priesterin Io an. Dies gefiel seiner anrückenden Alten, der Göttin Hera, überhaupt nicht. Plötzlich stand die arme Io als weiße Kuh da, wobei sich die Gelehrten streiten, wer gezaubert hatte: Zeus, um seine Neue vor der Gattin zu verbergen, oder die eifersüchtige Hera, als Strafe für die läufige Nebenbuhlerin. Wie dem auch sei. Die schlaue Hera handelte ihrem chronisch untreuen Ehemann die Kuh ab und stellte den hundertäugigen Riesen Argus Panoptes als unüberwindbaren, weil nie vollständig schlafenden Wächter ein.

      Und so geht die Story weiter: Da Zeus aufgrund der Argusaugen nicht mehr an seine neueste Errungenschaft herankam, beauftragte er einen seiner unzähligen Söhne, die biologische Blockade zu beseitigen und Io die Freiheit zurückzugeben. Der als Götterbote bekannte Hermes schläferte Argus mit Wiegenliedern und Hirtenflötengeflöte ein, wobei eine ganze Horde Sandmännchen [vgl. Episode 27] zum Einsatz gekommen sein muss. Als schließlich alle hundert Augen zugefallen waren, tötete der Zeus-Sohn hinterrücks den friedlich schlummernden Io-Hüter. Die zahlreichen Augen seines Mordopfers setzte Hermes in den Pfauenschweif ein. So kam der Pfau zu seinen schillernden Gefiederaugen.

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