Rück. Angelika Nickel

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Rück - Angelika Nickel

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darauf warten, dass wieder ein Kind in Not war und seine Hilfe brauchte.

      Heute war es wieder soweit. Nicht mehr allzu lange und ihn würde der Schmerz wie eine Feuersbrunst durchziehen und ihn von Tannbaum fortzugehen, zwingen. Oftmals begleitete der Mann das Tier auch, war er letztendlich der Wächter des Seelenhundes, wie er Rück im Stillen für sich nannte.

      »Ach, Rück«, stöhnte er, »warum muss es nur all dieses Leid geben?« Er zwang seinen Blick hin zu seiner Uhr. Auch die war etwas Besonderes. Nicht auf den ersten Blick. Nein, das wäre zu verräterisch, zumal sich ab und an, Wanderer in die kleine Hütte verirrten, und die durften nicht wissen, wer der alte Mann war. Von daher war auch die Uhr nicht auf den ersten Augenblick als das zu erkennen, was sie war: Eine Uhr, die zwar die Zeit aufwies, aber auch das Leid aufzeigte. Je dunkler sich ihre Farbe färbte, desto näher kam das Leid auf Rück zu.

      »Einen Tag vor Heiligabend, Rück.« Der Mann hob dem Hund einen Knochen hin. »Du solltest dich stärken. Nicht mehr lange, und wir müssen wieder los.« Kopfschüttelnd, murmelte er: »Ausgerechnet auch noch zur Weihnachtszeit. Das dürfte es nicht geben. Schon gar nicht, im Monat des Fests der Liebe und des Friedens.«

      Rück nahm den Knochen und zernagte ihn. Zuerst zog er das anhaftende Fleisch davon ab.

      Das Tier spürte das Leid schon auf sich zukommen. Selbst das Nagen fiel ihm bereits schwer. Die Zähne wackelten. Jetzt schon! Das Leid, es musste kurz davor sein, an die Tür der Hütte anzuklopfen.

      2 - Sternschnuppe

      Es war fast nicht zu hören, das sachte Klopfen an der Tür.

      Rücks Ohren stellten sich auf, und Tannbaum Blau erhob sich aus dem Sessel. Mit der einen Hand stützte er sich auf seinen Stock auf. Er schlurfte zur Tür und öffnete sie. »Sternschnuppe, habe mir schon gedacht, dass es nicht mehr lange braucht, bis du an unsere Tür klopfst«, begrüßte er das Mädchen, das draußen vor der Tür stand.

      »Guten Abend, Tannbaum«, erwiderte das Mädchen seinen Gruß, und lief an ihm vorbei, hinein in die Hütte. »Hallo, Rück. Es ist wieder so weit. Du musst einem Kind helfen«, sagte das Mädchen traurig und hockte sich neben dem Hund auf den Boden.

      Rück leckte dem Mädchen über die nackten Füße; danach nagte er weiter an seinem Knochen.

      »Stärke dich, Rück. Lass dir Zeit damit. Es reicht, wenn wir bis Mitternacht aufbrechen«, sagte das Mädchen zu dem Tier.

      »Sternschnuppe, möchtest du einen Tee?«, fragte der alte Mann.

      Das Mädchen nickte, und der Alte ging und holte einen Becher.

      Über dem Feuer hing ein kupferner Kessel, daraus schenkte er Tee in den Becher für das Mädchen ein, und reichte ihn ihr.

      Dankend nahm sie den Becher an und trank auch gleich daraus. »Diese Nacht ist zwar nicht sonderlich kalt, dennoch friert es mich«, sagte sie, und wärmte an dem Becher ihre zierlichen Hände.

      Der Alte nickte. »Ich weiß, Sternschnuppe, auch du leidest mit den Kindern mit, und das lässt dir kalt werden.« Mit den Händen stützte er sich an den hölzernen Sessel-Knäufen ab und ließ sich in den Sessel hineinfallen.

      Sternschnuppe langte zu einem der Feuersteine hin, auf dem Tannbaum die Pfeife abgelegt hatte, und reichte sie ihm.

      »Danke«, murmelte er und legte sich die Pfeife zwischen die Lippen.

      »Morgen ist Weihnachten«, flüsterte Sternschnuppe.

      Der alte Mann nickte, und Rück knurrte.

      »Es ist traurig, dass die Menschen selbst in dieser Zeit, keine Rücksicht nehmen. Wie kann man nur ein Kind dermaßen leiden lassen?« Traurig legten sich seine Augen in Sternschnuppes Blick.

      »Ich weiß es nicht«, sagte sie leise. »Niemand sollte irgendwen leiden lassen oder Schmerzen zufügen.«

      »Ja, da hast du Recht.« Er strich sich übers Kinn. »Doch leider ist dem nicht so.«

      Sternschnuppe stand auf. »Darf ich mir nachschenken?«, fragte sie, und wartete die Antwort des alten Mannes ab.

      »Sicher, bedien‘ dich nur«, antwortete er, und zeigte mit der Hand zum Kessel hin. »Es ist genügend da.«

      Um Sternschnuppes Mund lag ein Lächeln, als sie zum Feuer hin lief.

      Mit jedem Schritt, den sie machte, verlor sie kleine Sterne, die ihren Weg hinter ihr säumten.

      »Ich weiß, dass dein Tee dir niemals ausgeht«, sagte sie leise, während sie sich den Becher neu auffüllte.

      »Sicher weißt du das«, bestätigte der alte Mann. »Doch du weißt auch, dass das unser Geheimnis bleiben muss«, erinnerte er sie.

      »Alles, was wir tun, muss unser Geheimnis bleiben«, antwortete sie daraufhin und setzte sich wieder neben Rück.

      Die auf dem Boden liegenden Sterne waren wieder verschwunden. Sie hatten sich wieder an Sternschnuppes Füße zurückgezogen, wohin sie auch gehörten.

      »Wie lange ist es her, seit du das letzte Mal an meine Tür geklopft hast?«, fragte der Mann. Den Kopf angelehnt an die hohe Rückenlehne des Sessels, die Augen geschlossen, und an der Pfeife schmatzend, saß er da. Er wollte die wenige Zeit der Ruhe, die sie noch hatten, in Stille genießen. Keiner von ihnen wusste im Vorneherein zu sagen, wie lange Zeit sie eine Mission in Anspruch nehmen würde. Manchmal ging es recht schnell, doch es kam auch vor, dass es langwierig war, ein Kind von seinem Leid zu heilen. Wenn es nur die Kinder wären, die zu heilen waren, wäre es eine ziemlich einfache Aufgabe gewesen. Doch da sie sich auch gleichzeitig dem Verursacher des Leids annehmen mussten, meist tat dies Tannbaum, war es schon vorgekommen, dass sie viele Monate zu tun hatten, an nur einem Fall.

      »Was nutzt mir all mein Können, Sternchen«, Sternchen nannte er das Mädchen oft, meist dann, wenn er in sich ging und nachdachte, »wenn es mir doch nicht gelingt, all das Elend aus der Welt zu entfernen?«

      »Hör doch auf, Tannbaum, dich zu grämen.« Das Mädchen sah zu ihm auf; hockte sie doch bereits wieder neben Rück. »Wir können nicht das Leid der Menschheit auf unsere Schultern packen«, sagte sie, und auch ihre Stimme klang traurig. »Dennoch haben wir doch das Wissen, dass es uns zumindest gelingt, ein paar Wenige, die unserer Hilfe bedurften, erlöst zu haben, von ihrem Leid. Und wir werden es weiterhin tun.« Sie tätschelte die Hand des Mannes. »Wir werden auch in Zukunft Kindern helfen.« Ein aufmunterndes Lächeln legte sich um ihren Mund und spiegelte sich auch in ihren Augen, als sie Tannbaum zuversichtlich zunickte.

      »Ich weiß. Dennoch: Warum können wir nicht das gesamte Leid aus der Welt verbannen?«

      »Das fragst du mich, Tannbaum. Du kennst doch die Antwort darauf selbst.«

      Traurig war die Gebärde des alten Mannes, als er nur stumm nickte.

      »Niemand ist in der Lage, all das Leiden von der Menschheit zu nehmen. Und dennoch, Tannbaum, genau wie ich, weißt auch du, dass es immer wieder Wunder gibt.«

      Rück hatte seinen Kopf auf ihren Schoß gelegt und sie streichelte über sein Fell, als sie weitersprach: »Und für einige der gequälten Kinder, sind wir das Wunder. Das tut doch

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