Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien. Leo Deutsch

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Leo Deutsch: Sechzehn Jahre in Sibirien - Leo Deutsch gelbe Buchreihe

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      Zur Katorga (Zwangsarbeit) verurteilte Weiber beim Wasserholen. (Nischnaja Kara.)

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      Zur Katorga (Zwangsarbeit) verurteilte Männer bei der Arbeit. (Nischnaja Kara.)

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      Strafkolonie politischer Verbrecher in Nischnaja Kara

      * * *

      Vorbemerkungen zum Buch – „Sechzehn Jahre in Sibirien“

       Vorbemerkungen zum Buch – „Sechzehn Jahre in Sibirien“

      Als im Jahre 1889 Kennan sein berühmt gewordenes Buch über Sibirien veröffentlichte, gellte ein Schrei der Entrüstung durch die ganze zivilisierte Welt über die Behandlung der politischen Gefangenen in den sibirischen Gefängnissen und Zwangsansiedlungen.

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      (Kennan, * 1845 † 1924, arbeitete sich aus dürftigen Verhältnissen zum höheren Telegraphenbeamten in Cincinnati empor und machte 1864 seine erste Forschungsreise nach Kamtschatka. Von 1865 bis 1868 nahm er an der amerikanischen Kabelexpedition nach Alaska und Sibirien teil und veröffentlichte nach seiner Rückkehr das ethnographisch interessante Buch: Tent life in Siberia (1870; deutsch: Zeltleben in Sibirien, Berlin 1890–1892).)

      Zum ersten Mal drangen die Stimmen der Gequälten aus jenen gottvergessenen Winkeln der Erde an die europäische Öffentlichkeit, und das Maß des Entsetzens über die offizielle russische Grausamkeit, die selbst nicht vor dem Weibe Halt machte, wurde zum Überlaufen gebracht. Der Zarismus wurde auf die Anklagebank gesetzt und verurteilt; für das infame russische Strafsystem fand man kaum noch Worte, so groß war der Abscheu vor allem, was damit zusammenhing.

      In Russland selbst änderte sich gar nichts, es blieb, wie es war, ja mit der Zeit sind wohl noch mancherlei Verschlimmerungen eingetreten.

      Und dennoch gibt es in Europa Staaten, die sich nicht scheuen, dem russischen System Henkerdienste zu leisten, unbekümmert darum, dass sie dadurch mit einer wahren Selbstverachtung der modernen Kultur das Grab graben helfen.

       Nun ist wiederum ein Buch über Sibirien erschienen, und zwar gleichzeitig in vier Sprachen, [Ist inzwischen noch ins Holländische, Italienische und Polnische übersetzt worden.] das die Beobachtungen Kennans nicht nur bestätigt, sondern – und darin liegt der Hauptwert der Darstellung – wesentlich erweitert und uns einen tiefen Blick in die Justiz- und Verwaltungsverhältnisse Russlands tun lässt; jeder Leser wird das Motto aus Dantes Hölle, das Kennan seinem „Sibirien“ vordruckte, das „Lasciate ogni speranza“, jetzt erst verständlich finden und sich überrascht fragen, ob ein Staat wie Russland, dessen Regierungsform und Praktiken einem asiatischen Barbarenstaat gleich zu achten sind, heute eine Bündnisfähigkeit im modernen westeuropäischen Sinne hat.

      Auf den folgenden Bogen erzählt ein russischer Student, Leo Deutsch, der wegen Beteiligung an terroristischen Bestrebungen in den achtziger Jahren des verflossenen Jahrhunderts aus Russland flüchtete, wie er in Freiburg im Breisgau von der deutschen Polizei verhaftet, dort in Untersuchungshaft gezogen und endlich nach Russland ausgeliefert worden sei. Der Leser durchlebt mit dem Erzähler dessen Schicksale: die Untersuchungshaft in Deutschland, den Transport an die russische Grenze, die Auslieferung an Väterchens Gendarmen, das Schleppen von Gefängnis zu Gefängnis, die Anklage und die Verurteilung, den Transport nach Sibirien und endlich den vieljährigen Aufenthalt in Kara unter den politischen Gefangenen, der mit Entlassung in die Strafkolonie („freies Kommando“) und der Flucht aus Sibirien über Japan nach San Francisco endigt.

      Wie Leo Deutsch, so befanden und befinden sich in Sibirien Tausende von intelligenten jungen Leuten, die in ihrem Wissen und Können von der Regierung zurückgewiesen und schließlich in ihrer bürgerlichen Existenz vom Zarismus zu Boden getreten worden sind, die „unter anderen Verhältnissen ihrem Vaterland unschätzbare Dienste hätten leisten können“.

       Bis in die achtziger Jahre stellten das Kontingent zu den „Staatsverbrechern“ hauptsächlich die Studierenden der russischen Hochschulen und zum kleinen Teile auch die Offiziere der Armee: heute stellt auch der russische Arbeiter einen erheblichen Teil zu den „Staatsverbrechern“, wodurch die Physiognomie der Verbannten eine wesentlich andere, eine volkstümliche wird. Bei jedem Streik werden „Arbeiter-Führer“ aus der Menge herausgeholt und „nach Sibirien“ verurteilt, damit sie dort über die Weisheit Väterchens nachdenken können.

      Solche sich immer stärker wiederholende Vorgänge zeitigen aber auch eine Wirkung im Inneren des europäischen Russland. Der Ruf nach Beseitigung des autokratischen Regiments ertönte früher nur aus den Reihen der Intelligenz, der Arbeiterstand verhielt sich dem gegenüber indifferent. Die Entwicklung der Industrie häuft große Arbeitermassen an einzelnen Orten zusammen. Die häufigen Bekanntschaften mit den Nagaiken der Kosaken und den Hinterladern der Soldaten haben den Arbeitern in überzeugender Weise demonstriert, dass ihr Feind nicht nur der Kapitalismus, sondern auch der despotische Zarismus ist; laut und deutlich ertönt auch aus den Arbeiterreihen der Ruf: Nieder mit dem Zarismus! Natürlich, jetzt wird den Polizeiseelen Russlands der Boden heiß unter den Füßen, und die immer stärkere Anwendung von Unterdrückungsmaßregeln gegen die Arbeiter zeigt die Ohnmacht der offiziellen Vertreter der Autokratie; denn kaum ist hier ein Aufstand zu Boden geknüppelt, so bricht er an einer anderen Stelle mit doppelter Heftigkeit wieder aus.

      Mit der Beteiligung der Arbeiterklasse am politischen Kampfe in Russland ist der Autokratie ein Gegner erwachsen, den sie nicht bezwingen kann, vor dem sie kapitulieren muss.

      * * *

       Anlässlich eines in Königsberg anhängig gemachten Geheimbundprozesses gegen deutsche Staatsangehörige, die angeblich russische revolutionäre Schriften über die russische Grenze haben schmuggeln wollen, wurde eine Interpellation vom Abgeordneten Haase im Reichstag eingebracht, bei deren Besprechung der Reichskanzler auch den Fall Deutsch anführte, um darzutun, dass die preußische deutsche Politik von heute derjenigen Bismarcks der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts in allem gleichwertig sei.

      Graf v. Bülow führte folgendes aus:

      „Unsere Akten bieten ein reichhaltiges Material für die Beurteilung der Methode, welche Fürst Bismarck in solchen Fragen für die dem deutschen Interesse entsprechende hielt. Ich will nur zwei Fälle herausgreifen. Der eine Fall betrifft die in den Jahren 1881 und 1882 spielende Angelegenheit der Ausweisung des russischen Staatsangehörigen Stanislaus Mendelssohn, der andere die Auslieferung des russischen Staatsangehörigen Leon Deutsch-Buligin vom Jahre 1884. „Mendelssohn sollte einer von uns der russischen Regierung erteilten Zusage gemäß nach der russischen Grenze hin ausgewiesen und den russischen Grenzbehörden überliefert werden. Die russischen Behörden wurden jedoch nicht rechtzeitig benachrichtigt, und so gelang es Mendelssohn, zu entkommen, ehe die Übergabe an die russischen Behörden erfolgen konnte. Darüber enthalten nun die Akten folgendes. In einem Schreiben an den Justizminister und an den Minister des Inneren sagt der Staatssekretär des Auswärtigen Amts, also der Vertreter des Reichskanzlers Fürsten v. Bismarck:

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      (Otto Eduard Leopold von Bismarck-Schönhausen, ab 1865 Graf von Bismarck-Schönhausen, ab 1871 Fürst von Bismarck, ab 1890 auch Herzog zu Lauenburg (* 1. April 1815 in Schönhausen (Elbe); † 30. Juli 1898 in Friedrichsruh bei Aumühle), war ein deutscher

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