Ricarda Huch: Lebensbilder Deutscher Städte – Teil 1 - Band 181e in der gelben Buchreihe – bei Jürgen Ruszkowski. Ricarda Huch
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Damals wurde auch das äußere Antlitz der Stadt entscheidend verändert, das, so oft durch Feuer des Himmels und Wut der Menschen verwüstet, sich doch immer in einer Art verjüngte, die in das alte Bild, es vollendend, hineinwuchs. Wie viele für das Stadtbild bestimmende Kirchen sind verschwunden! Das uralte St. Albansstift zerstörte Markgraf Albrecht von Brandenburg zur Zeit des Schmalkaldischen Krieges, als er in Abwesenheit des Kurfürsten in die unverteidigte Stadt eindrang. Dort war Fastrada, die allzugeliebte Frau Karls des Großen begraben, die im Jahr 794 in Frankfurt starb. Ihr Grabstein soll beim Brand der Kirche gerettet worden und in den Dom übertragen sein; aber es ist nicht der alte. Dort waren auch zwei Kinder Ottos I., die er von einer vornehmen Slavin hatte, Ludolf und Lintgarde, beigesetzt. In der Schwedenzeit wurde mit vielen anderen Häusern die von Erzbischof Friedrich in der Mitte des 10. Jahrhunderts gegründete alte Peterskirche zerstört. Bei dem Bombardement des Jahres 1793 brannten die Liebfrauenkirche, die Franziskanerkirche, die Karmeliter- und die Dominikanerkirche. Mit der Franziskanerkirche, die erst an die Jesuiten, dann, nach der Aufhebung des Ordens, an die Universität kam, und die in der Nähe des jetzigen Theaters stand, wurde die Grabstätte vieler patrizischer Geschlechter und auch die der Gensfleisch mit dem Grab Gutenbergs vernichtet. Sie wurde das erste Mal von den Jesuiten abgerissen und durch eine neue ersetzt, die 1793 abbrannte. Die Trümmer wurden von den Franzosen versteigert.
Auch die neue Kirche, die sich die Franziskaner im Anfange des 17. Jahrhunderts bauten, verbrannte 1793. In dieser Kirche befand sich ein prächtiges Altargemälde von Van Dyck, das er für den Erzbischof Joh. Schweikard von Kronenberg gemalt haben soll. Es wird erzählt, der sparsame Fürst habe die dafür geforderte Summe nicht zahlen wollen; darauf habe Van Dyck sich bei den Franziskanern zu Gast geladen und ihnen das Bild geschenkt. Durch die Rückkehr der Franzosen wurden die Franziskaner verhindert, den begonnenen Wiederaufbau ihrer Kirche zu vollenden, und sie wurde zuerst als Militärmagazin benutzt, dann abgerissen. Die Karmeliterkirche, die im 18. Jahrhundert neu erbaut worden war, enthielt die Grabmäler der Grafen von Nassau-Saarbrücken und der Brömser von Rüdesheim, eines ritterlichen Geschlechts, das drei Höfe in Mainz besaß. Die Dominikanerkirche mit Kloster wurde, dem jetzigen Gymnasium gegenüber, im Jahr 1236 von dem berühmten Arnold Walpod errichtet, der auch darin begraben war. Im Jahre 1462, dem Unglücksjahr der Stadt Mainz, brannten Kirche und Kloster ab, wurden aber wiederhergestellt. In der letzten Nacht des Bombardements von 1793 verzehrte das Feuer sie endgültig. Die alte Gongolphskirche wurde 1814 abgetragen, die prächtige eben erst vollendete Dompropstei 1793 als Hauptquartier der Franzosen in Brand geschossen, später auf Befehl Napoleons völlig niedergelegt. Ein Opfer der Franzosenzeit wurde auch das altehrwürdige, 1317 erbaute Kaufhaus am Brand, das mit den Steinbildern der sieben Kurfürsten und des damals regierenden Kaisers Ludwig geziert war.
Trotz der vielen absichtlichen und unabsichtlichen Zerstörungen macht Mainz im Schatten seines Doms mit seinen unregelmäßigen Straßen, kleinen geschlossenen Plätzen und altfränkischen Häusern den Eindruck einer historischen Stadt. Nicht gerade einer mittelalterlichen, denn wenn auch in den Seitengassen Reste gotischen Hausbaus zu finden sind, so haben doch im Allgemeinen auch die älteren Häuser durch Umbau das Gepräge des späteren 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts erhalten. Sehr anziehend wirken hie und da beschieferte Giebel und leicht vorspringende Stockwerke. Der alte Tiermarkt ist jetzt charakterisiert durch zwei stattliche Adelshöfe, den Osteinerhof und den Bassenheimerhof. Der erstere wurde vom Kurfürsten von Ostein gegründet auf einem Areal, wo früher die beiden Herbergen Zum Stiefel und Zum Wilderich und die Häuser Zum Adolph, Zum Ader, Zur grünen Schmied, Zum Wartenberg, Zum Eckstein, Zum kleinen Abt und Zum Siebeneck standen. Der schönste von den freiadeligen Höfen ist der Dalberger Hof in der Klarenstraße, früher Zum Säukopf genannt. Vier Brüder Dalberg bauten ihn im Anfang des 18. Jahrhunderts. Er wurde im Jahr 1809 von der Stadt angekauft und als Justizpalast benutzt; jetzt soll er zu Schulzwecken eingerichtet werden. Die ältere Linie der Dalberg erlosch bereits im 14. Jahrhundert; aber der letzte derselben übertrug Besitz und Namen seinem Vetter Johann Kämmerer von Worms, aus einer Familie, die durch ihren angeblichen römischen Stammvater mit Jesus Christus verwandt sein wollte.
Kaiser Maximilian I.
Kaiser Maximilian I. anerkannte das Recht dieser Dalberg, bei Gelegenheit jeder Kaiserkrönung, zuerst auf der Tiberbrücke von Rom, hernach im Frankfurter Dom vor allen andern Edelleuten durch den Heroldsruf: „Ist kein Dalberg da?“ zum Ritterschlag aufgefordert zu werden. Es hat sich gefügt, dass ein Dalberg, Koadjutor des letzten Kurfürsten von Mainz, als Werkzeug Napoleons zur Auflösung des alten Reichs und des Erzbistums beigetragen hat.
Im Mittelalter hatten alle Häuser in Mainz Namen, die uns oft wunderlich klingen, weil wir ihren Ursprung nicht mehr verstehen. Es gab: Zum Hilferich, Zum Goderuf, Zum Herrgöttche, Zum Boderam, Zum Ungefugen, Zum Geiselmohr. Manche von den alten Namen haben sich erhalten. Als das älteste Haus gilt jetzt das Haus Zum Stein an der Augustiner Straße, das zur Zeit seiner Erbauung das höchste war. Es gehörte dem Rittergeschlecht Jud vom Stein. Von der alten Befestigung sind nur noch zwei Türme am Rhein erhalten, der Holzturm und der Fischturm, aus dem 13. und 15. Jahrhundert stammend. In jenem lagen im Jahr 1813 einige Lützower gefangen, die auf Napoleons Befehl wie gemeine Straßenräuber gerichtet werden sollten, aber gerettet wurden.
Nicht mehr steht das Stammhaus des größten Sohnes der Stadt Mainz, der Hof Zum Gensfleisch, an dessen Stelle im Jahr 1702 der Wamboldhof errichtet wurde. Der Hof zum Gutenberg, der der Mutter des Erfinders gehörte, in dem er vielleicht geboren wurde und der in der Nähe der sehr alten Christophskirche stand, wurde im Dreißigjährigen Krieg durch die Schweden zerstört, aber später wieder aufgebaut. Er wurde von der Mainzer Kasinogesellschaft „Hof zum Gutenberg“ erworben und brannte im Jahr 1894 ab. Dasjenige Haus, in welchem Gutenberg mit seinem Gehilfen das erste Buch druckte, der Hof zum Humbrecht, verbrannte schon bei der Eroberung von Mainz durch den Erzbischof Adolf im Jahr 1462. Er wurde später neuaufgebaut und mit dem angrenzenden Hof Zum Korb zum sogenannten Dreikönigshof verbunden, wo jetzt eine große Brauerei ist.
In Mainz selbst, das nach dem Untergang der städtischen Freiheit allmählich ganz teils unter klerikalen, teils unter französischen Einfluss geriet, wurde der Erfinder der ars sancta et divina, den die gebildete Welt pries und feierte, vergessen; aber grade die Franzosen waren es, die sein Andenken in seiner abgestumpften Vaterstadt neubelebten. Sie, die den Erfinder jener Kunst, durch die der menschliche Gedanke bis in die fernsten Länder und bis in die niedrigste Hütte verbreitet wird, ebenso verehrten, wie sie die Kirche verabscheuten, trafen, sowie sie Mainz als ihnen gehörig betrachteten, Anstalten, um sein Gedächtnis dauernd zum Ausdruck zu bringen. Napoleon ließ einen Platz inmitten der Stadt anlegen, der Gutenberg gewidmet sein sollte, und der, wenn er so groß, wie er geplant war, ausgeführt worden wäre, zugleich ein Bild der Revolution dargestellt hätte, die mit großen scharfen Linien das krause Mittelalter durchschnitt und zur Seite warf. Dort steht jetzt das Standbild, das Thorwaldsen schuf und, um dem Erfinder, der die Welt bereicherte, seine Ehrfurcht zu beweisen, der Stadt schenkte. Wunderbar ist es, dass die Kraft des erlöschenden Geschlechts, auf dem die Blüte des goldenen Mainz zum großen Teil beruhte und mit dem sie schwand, sich in einem letzten Sprössling sammelte, um grade die Kunst hervorzubringen, die den Charakter des Lebens so wesentlich, segensreich und zerstörend, veränderte. Sie schob sich zwischen Mensch und Mensch, begünstigte die Entwicklung des modernen wissenschaftlichen Menschen, machte aus dem Sänger und Dichter den Schriftsteller, lähmte die Phantasie und die mündliche Überlieferung, die, indem sie Sage, Legende und Mythos schafft, bedeutungslose Tatsachen zu ewiger Wahrheit erhebt. Sie war ein Geschenk scheidender Jugend an die gereifte Menschheit, vereinigend, erhaltend, erhellend.