Grüne Soße, Tote Hose (XXL Leseprobe). Carola van Daxx
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Carola van Daxx
Grüne Soße, Tote Hose (XXL Leseprobe)
Fake News aus dem Vogelsberg
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Inhaltsverzeichnis
Das Ohr des Allmächtigen
Im Pub „Zur Alten Linde“ herrschte schlechte Sicht – dicke Rauchschwaden waberten durch den Raum, doch keiner der Gäste schien sich daran zu stören. In der Schottener Altstadtkneipe war schon seit Ewigkeiten nicht mehr renoviert worden, und auf den rustikalen Holztischen konnte man kaum noch die unzähligen Sprüche erkennen, die Generationen von Vogelsbergern hier eingeritzt hatten. Auf dem Tresen brannten lediglich ein paar Funzeln – armselige Kerzenstummel, die nicht gerade weihnachtlich aussahen und auch schon bessere Nächte hinter sich hatten als diese. Ja, an diesem Heiligen Abend waren hier nur die einsamsten aller Vogelsberger Herzen gestrandet.
Die Stimmung war, gelinde gesagt, eher im Keller. Frustrierte Männergesichter, wohin man auch blickte, von Weihnachtsfreude und Halleluja keine Spur. Ein sentimentales, gälisches Weihnachtslied dudelte vor sich hin, und der Wirt machte ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Dabei würde diese Nacht doch einen warmen Geldregen in seine marode Kasse spülen, was mittlerweile nicht mehr allzu häufig vorkam. Unter all den finsteren Gestalten fiel einer der Gäste auf, denn er war entschieden besser gelaunt und wesentlich gesprächiger als alle anderen, die meist nicht mehr als ein grummeliges „Hm“, „Jo“ oder „Ich nehm‘ noch eins!“ herausbrachten. Doch dieser eine Mann schüttete sein Herz geradezu auf der Theke aus, frei nach dem Motto: „Wess Herz ist voll, des‘ Mund läuft über“. Dabei war bei ihm nicht nur das Herz voll, sondern auch die Zunge schwer – was dann ungefähr so klang:
„Mit Lina und mir, der aller-aller-schönsten Frau von ganz Oberhessen, ach, was sag‘ ich, der besten Frau auf der ganzen großen weiten Welt, also genau genommen heißt sie ja Angelina. Ähm, Angelina Siebenborn, aber jeder nennt sie nur Lina. Oder Linchen, das sag‘ ich manchmal, aber nur ich. Aber egal, oder? Und, was ich noch sagen wollte: Also die Lina, die Dame hat ein eigenes Café in Bad Salzhausen, und das ist auch das Allerbeste in mindestens ganz Deutschland – also, nur noch ganz kurz, denn das ist echt wichtig, hört jetzt zu, gelle? Das mit uns beiden, mit mir und mit ihr – das wird wieder was! Voll die große Liebe, könnt Ihr mir echt glauben jetzt … Ich nehm‘ noch einen, Herr Ober!“ Sprach’s und hielt sein leeres Whiskyglas in die verräucherte Luft.
Der Mann, den es am Weihnachtsabend in den urigen Pub am Fuße des erloschenen Vulkans getrieben hatte, war ziemlich schlecht rasiert, roch nicht mehr ganz taufrisch und hatte – nüchtern betrachtet – zweifellos einen im Tee. Ja, er war wieder einmal betrunken, was gewohnheitsmäßig nicht nur am Heiligen Abend in seinem Leben stattfand, aber dieses Mal war es nicht aus Kummer oder Verzweiflung passiert, sondern schlicht und ergreifend, weil er sein Glück kaum fassen konnte. Sein großes, großes Glück. Und wer konnte das schon von sich behaupten? Voll vor Glück…
Dabei hatte Lina, die Dame seines Herzens, ihm lediglich eine SMS geschickt. Ja, sie wollte ihn wiedersehen. Mehr nicht. Eigentlich ganz harmlos. Doch hätte er ein schöneres Weihnachtsgeschenk bekommen können, nach allem, was passiert war? Hätte irgendeinem Mann an irgendeinem Flecken der Welt überhaupt etwas Schöneres passieren können?
Ganz sicher sollte diese kleine Nachricht der Startschuss ins Glück sein – für ihn, den erfolgreichen Maler Jan Johannsen. Denn Lina war alles, was ihm gefehlt hatte. Wieso konnte er auch nur einen Tag ohne sie leben? Oder besser gesagt: überleben. Doch nun bekam er eine neue Chance. Im Grunde bereits die dritte… Denn die berühmte zweite Chance hatte er auch schon komplett vermasselt.
Nur eine klitzekleine, aber nicht weniger beunruhigende Frage schwirrte ihm gefährlich nervend im Kopf herum, oder konnte man am Ende schon von einem Damoklesschwert reden, das über ihm schwebte? Wie sollte er die hochwohlgeborene Dame namens Sophie von Rohdenfeld samt ihrer neugeborenen Tochter Janina wieder loswerden? Immerhin hatte sie sich nach dem Rauswurf von ihrem Göttergatten Theodor, einem rechtskonservativen Politiker mit Gutsherrenhintergrund, hemmungslos bei ihm eingenistet und sein ganzes, eingefleischtes Junggesellen-Künstler-System durcheinandergebracht. Noch zu erwähnen: Das Kind sollte laut Kindsmutter tatsächlich von Jan sein. Dieses Schreikind! Nie und nimmer stammte das nervige Ding von einem waschechten, stilvollen Hanseaten wie ihm ab. Ein einziger Blick seiner Mutter Gisela in die Wiege dieses brüllenden Etwas‘ hätte zweifellos genügt, seine Vaterschaft ein für alle Mal auszuschließen. Eine Hamburger Deern würde niemals wie am Spieß schreien, nicht mal als Baby. So viel war klar. Auch mit gehöriger Promillezahl intus konnte er diese Tatsache nicht leugnen. Wer konnte schon wissen, mit wem die stets unglückliche Schönheit aus dem hohen Norden noch das Schlafgemach geteilt hatte? Er war mit Sicherheit nicht der Einzige, dem sie ihre Gunst zur günstigsten Empfangsbereitschaft erwiesen hatte. Und jetzt wollte sie ihm das jäh schreiende Kind anhängen, kein Wunder – bei ihm war einfach am meisten zu holen. Er war reich, was nahezu jeder Mensch von Flensburg bis Füssen und vermutlich sogar von Frankfurt an der Oder bis Aachen und Saarbrücken wusste, sofern er des Lesens mächtig war, die Fernbedienung des Fernsehers betätigen konnte und sich auch nur ein bisschen für Kunst interessierte. Jan Johannsen, den sie den Van Gogh vom Keltenberg nannten, war schließlich bekannt wie ein bunter Hund.
Doch dann begann der Alptraum schlechthin. Sophie von Rohdenfeld verfolgte ihn, wohin er auch ging. Nirgendwo war er vor ihr sicher – und immer hatte sie dieses brüllende Baby mit dabei, es raubte