Mephisto. Klaus Mann
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Garderobier Böck, ein dummer Bursche mit wäßrigen Augen und sehr blonden, sehr harten Haaren, die er kurz geschoren wie eine Bürste trug, kicherte über seinem Bierglas: niemand wußte, ob über Hendrik Höfgen, der als Gymnasiast komisch aussehen würde, oder über den machtlosen Zorn des jungen Hans Miklas. Die Souffleuse Efeu hingegen zeigte Entrüstung; sie bestätigte Miklas, daß es eine Gemeinheit sei. Das mütterliche Interesse, das die dicke alte Person an dem jungen Menschen nahm, brachte für diesen praktische Vorteile mit sich. Übrigens sympathisierte sie auch politisch mit ihm. Sie stopfte ihm seine Socken, lud ihn zum Abendessen ein; schenkte ihm Wurst, Schinken und Eingemachtes. „Damit du dicker wirst, Junge,” sagte sie und schaute ihn zärtlich an. Dabei gefiel ihr gerade die Magerkeit seines trainierten, nicht sehr großen, elastischen, schmalen Körpers. Wenn sein dichtes dunkelblondes Haar am Hinterkopf gar zu widerspenstig in die Höhe stand, sagte die Efeu: „Du siehst aus wie ein Gassenjunge!” und holte einen Kamm aus dem Beutel.
Wie ein Gassenjunge sah Hans Miklas wirklich aus, freilich wie einer, dem es nicht besonders gut geht und [47] der seine Angegriffenheit trotzig bezwingt. Sein Leben war anstrengend; er trainierte den ganzen Tag, mutete seinem schmalen Körper vieles zu, wahrscheinlich kamen daher seine Reizbarkeit und der finster abweisende Ausdruck seines jungen Gesichtes. Dieses Gesicht hatte üble Farben; unter den starken Backenknochen gab es schwarze Löcher, so eingefallen waren die Wangen. Um die hellen Augen waren die Ränder auch beinah schwarz. Hingegen war die reine, kindliche Stirne wie beschienen von einer bleichen und empfindlichen Helligkeit; auch der Mund leuchtete, aber auf ungesunde Art, viel zu rot: in den abweisend vorgeschobenen Lippen schien sich alles Blut zu sammeln, von dem das Gesicht sonst leer war. Unter den starken und verführerischen Lippen, von denen die Souffleuse Efeu oft den Blick nicht lassen konnte, enttäuschte das zu kurze, schwächlich abfallende Kinn.
„Heute früh, auf der Probe, hast du wieder ganz zum Fürchten ausgesehen,” sprach die Efeu besorgt. „So schwarze, tiefe Löcher in den Backen! Und das Husten! Dumpf hat es geklungen – zum Erbarmen!”
Miklas konnte es nicht ausstehen, wenn man ihn bemitleidete; nur die Gaben, in die solches Mitleid sich umsetzte, nahm er gerne, wenngleich wortkarg entgegen. Das klagende Gerede der Efeu überhörte er einfach. Hingegen wollte er von Böck wissen:
„Stimmt es, daß der Höfgen sich heute den ganzen Abend in seiner Garderobe hinter dem Paravent versteckt hat?” Böck konnte es nicht in Abrede stellen. Miklas fand Höfgens Betragen derartig albern, daß es ihn geradezu in Heiterkeit versetzte. „Ich sage doch, ein kompletter Narr!” Dabei lachte er triumphierend. „Und das alles wegen einer Jüdin, der der Kopf bis dahin zwischen den Schultern steckt!” Er machte sich bucklig, um anzudeuten, wie die Martin aussehe; die Efeu amüsierte sich herzlich. „Und so etwas will ein [48] Star sein!” Mit seinem höhnischen Ausruf konnte er ebenso wohl die Martin meinen wie Höfgen. Beide gehörten, nach seinem Urteil, in dieselbe bevorzugte, undeutsche, tief verwerfliche Clique. „Die Martin!” redete er weiter, das böse, leidende, reizvolle junge Gesicht in die mageren, nicht ganz sauberen Hände gestützt. „Sie soll ja auch immer diese salonkommunistischen Phrasen dreschen, mit ihren tausend Mark jeden Abend. Eine Bande ist das! Aber es wird aufgeräumt werden mit denen – der Höfgen wird auch noch dran glauben müssen!”
So gefährliche Dinge pflegte er sonst in der Kantine nicht auszusprechen, besonders nicht, wenn Kroge in der Nähe war. Heute aber ließ er sich gehen – freilich nicht bis zu dem Grade, daß er gar zu laut gesprochen hätte. Es blieb bei einem heftigen Flüstern. Die Efeu und Herr Knurr nickten ihm anerkennend zu, während Böck wäßrig schaute. „Der Tag wird kommen,” sagte Miklas noch, leise, aber sehr leidenschaftlich, und seine hellen Augen hatten einen fiebrigen Glanz zwischen ihren schwärzlichen Rändern. Dann mußte er furchtbar husten; Frau Efeu klopfte ihm Rücken und Schultern. „Es klingt wieder scheußlich dumpf,” sagte sie angstvoll. „Als ob es von ganz tief aus der Brust käme.”
Das enge Lokal war voll Rauch. „Die Luft ist ja dick zum Schneiden,” klagte die Motz. „Das hält doch der stärkste Mann nicht aus. Und meine Stimme! Kinder, morgen könnt ihr mich wieder beim Halsarzt sitzen sehen.” Niemand hatte Lust, sie sitzen zu sehen. Rahel Mohrenwitz machte sogar ironisch: „Huch, unsere Koloratursängerin!” – wofür sie einen fürchterlichen Blick von der Motz bekam, die sowieso etwas gegen Rahel hatte: Petersen wußte, warum. Erst gestern wieder hatte man ihn in der Garderobe des dämonischen Mädchens gefunden, und die Motz hatte weinen [49] müssen. Heute aber schien sie entschlossen, sich keinesfalls die Stimmung verderben zu lassen von einer dummen Gans, die sich vielleicht auf ihr Monokel und ihre lächerliche Frisur noch was einbildete. Vielmehr faltete sie die Hände vor dem Bauch und markierte gemütliche Stimmung. „Aber nett ist es hier,” sagte sie herzlich. „Was, Vater Hansemann?” Sie blinzelte dem Wirt zu, dem sie noch 27 Mark schuldete und der deshalb nicht zurückblinzelte. Gleich danach entsetzte sie sich, weil Petersen sich ein Beefsteak servieren ließ, noch dazu mit Spiegelei. „Als ob ein Paar Würstchen nicht genügt hätten!” Ihr standen Tränen des Zorns in den Augen. Zwischen Motz und Petersen gab es viel Streit und Hader, weil der Väterspieler, nach dem Dafürhalten seiner Freundin, zur Verschwendungssucht neigte. Immer bestellte er sich teure Sachen, und die Trinkgelder, die er spendierte, waren auch zu hoch. „Natürlich: Braten mit Ei muß es sein!” jammerte die Motz. Petersen murmelte, daß ein Mann sich doch anständig ernähren müsse. Die Motz aber, ganz außer Fassung, fragte plötzlich mit zornigem Sarkasmus die Mohrenwitz, ob Petersen ihr vielleicht eine Flasche Sekt angeboten habe. „Veuve Cliquot, extrafein!” schrie die Motz und sprach, bei aller Gehässigkeit, den Namen der Sektmarke mit jener Feinheit aus, welche sie als Salondame legitimierte. Hierüber war die Mohrenwitz nun ernsthaft beleidigt. „Ich muß doch sehr bitten!” rief sie schrill. „Soll das ein Witz sein?!” Das Monokel fiel ihr aus dem Auge, ihr pausbäckiges, vor Ärger rot gewordenes Gesicht sah plötzlich gar nicht mehr dämonisch aus. Kroge blickte schon verwundert auf; Frau von Herzfeld lächelte ironisch. Der schöne Bonetti aber klopfte der Motz auf die Schulter; gleichzeitig auch der Mohrenwitz, die kampfeslustig nähergetreten war. „Zankt euch nicht, Kinder!” riet er ihnen, um den Mund besonders müde und angewiderte [50] Falten. „Dabei kommt doch nichts raus. Spielen wir lieber Karten.”
In diesem Augenblick wurden gedämpfte Rufe laut, und alles drehte sich der Türe zu, die sich geöffnet hatte. Dora Martin stand auf der Schwelle. Hinter ihr drängte sich, wie auf der Bühne das Gefolge hinter der Königin, das Ensemble, mit dem sie reiste.
Dora Martin lachte und winkte allen Mitgliedern des Hamburger Künstlertheaters zu; dabei rief sie mit ihrer heiseren Stimme, auf jene berühmte Art, die von tausend jungen Schauspielerinnen im ganzen Lande kopiert wurde, in jedem Satz einige Worte zerdehnend: „Kinder, wir sind eingeladen, ein ganz langweiliges Bankett, furchtbar schade, aber wir müssen hingehen!” Sie schien ihre eigene Sprechweise parodieren zu wollen, so eigenwillig verfuhr sie mit der Länge der Silben. Aber allen klang es lieblich in den Ohren, auch denen, welche die Martin nicht leiden konnten, zum Beispiel dem jungen Miklas. Es war nicht zu leugnen: ihr Auftritt hatte großen Effekt gemacht. Ihre weit geöffneten, kindlichen und rätselhaft tiefen Augen unter der hohen und klugen Stirn verwirrten und bezauberten jeden; sogar Vater Hansemann zeigte ein blödes, betörtes Lächeln. Frau von Herzfeld, die früher mit der Martin befreundet gewesen war, rief ihr zu: „Das ist aber ein Jammer, Dorchen. Kannst du dich gar nicht ein bißchen zu uns setzen?” Die allgemeine Achtung vor Hedda stieg, weil sie sich mit der Martin duzte. Diese aber bewegte verneinend ihr lächelndes Gesicht, das fast verschwand zwischen dem hochgeschlagenen Kragen des braunen Pelzmantels; denn sie trug die Schultern sehr hochgezogen. „Zu schade!” girrte sie,