Das Geschlecht der Zukunft. Edward Bulwer
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Erstes Kapitel
Meine Heimat sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Meine Vorfahren wanderten unter Karl II. von England aus. Mein Großvater zeichnete sich im Unabhängigkeitskriege aus, weshalb meine Familie durch Geburt eine hohe Stellung in der Gesellschaft einnahm. Da sie auch reich war, wurde sie zum Staatsdienste für ungeeignet erklärt. Einmal bemühte sich mein Vater um einen Sitz im Kongreß, aber sein Schneider erhielt die Stimmenmehrheit. Seitdem kümmerte er sich nur noch wenig um Politik, und brachte die meiste Zeit in seiner Bibliothek zu. Ich war der älteste seiner drei Söhne; als ich das sechzehnte Jahr erreicht hatte, wurde ich nach England geschickt, meine wissenschaftliche Bildung zu vollenden und meine kaufmännische Laufbahn in einem Geschäfte in Liverpool zu beginnen.
Mein Vater starb, als ich einundzwanzig Jahre alt war. Da er uns in Wohlstand zurückgelassen hatte und ich große Neigung für Reisen und Abenteuer empfand, verzichtete ich für eine Zeit lang auf allen Drang nach den allmächtigen Dollars und ward ein unstäter Wanderer durch die Welt.
Als ich im Jahre 18 … zufällig in * * war, wurde ich von einem Ingenieur, mit dem ich bekannt geworden war, aufgefordert, die Schächte des Bergwerkes, an dem er angestellt war, zu besichtigen.
Der Leser wird, bevor er alle meine Erlebnisse kennen gelernt hat, verstehen, warum ich jeden Aufschluß über die Gegend, von der ich schreibe, verschweige. Er wird mir vielleicht noch dankbar dafür sein, daß ich jede Beschreibung, die zur Entdeckung jenes Distriktes führen könnte, vermeide.
So will ich denn in aller Kürze sagen, daß, als ich den Ingenieur in das Innere des Bergwerkes begleitete, ich so seltsam von dessen düsteren Wundern überrascht wurde und so großes Interesse an den Forschungen meines Freundes nahm, daß ich meinen Aufenthalt in der Gegend verlängerte und mehrere Wochen hindurch täglich in die Gewölbe und Schächte, die sowohl Kunst wie Natur unter der Erdoberfläche gebildet hatten, hinabstieg. Der Ingenieur war der festen Meinung, daß ein noch weit größerer Reichtum an Mineralien, als schon aufgefunden worden war, in einem neuen Schachte, dessen Bohrung unter seiner Leitung begonnen war, verborgen sei. Beim Eindringen in diesen Schacht gelangten wir eines Tages in eine Höhlung, deren Wände zackig und scheinbar verkohlt waren, als seien sie einst in längstvergangenen Zeiten von vulkanischen Feuern auseinandergesprengt worden. In diese Höhlung hatte sich mein Freund in einem Hunde hinabgelassen, nachdem er zuvor die Atmosphäre mit der Sicherheitslampe geprüft hatte. Fast eine Stunde verweilte er in der Tiefe; als er zurückkehrte, war er sehr blaß, und auf seinem sonst offenen, heiteren, furchtlosen Gesichte lag ein ängstlicher, nachdenklicher Ausdruck.
Er meinte kurz, daß ihm das Hinabsteigen unsicher erscheine und daß es zu keinem Resultate führen würde; die weiteren Arbeiten in dem Schachte wurden eingestellt, und wir kehrten zu den bekannteren Teilen des Werkes zurück.
Den Tag über schien der Ingenieur irgend einem ernsten Gedanken nachzuhängen. Er war ungewöhnlich schweigsam, und in seinen Augen lag ein scheuer, unruhiger Blick, als hätte er irgend einen Geist gesehen. Am Abend, als wir in unserer gemeinsamen Wohnung nahe dem Bergwerke beisammen saßen, sagte ich zu meinem Freunde:
»Sage mir aufrichtig, was hast Du in jener Kluft gesehen? Ich bin überzeugt, daß es etwas Seltsames, etwas Entsetzliches war. Was es auch gewesen sein mag, es hat Dich in einen seltsamen Zustand von Furcht und Bedenken versetzt; derlei Angelegenheiten müssen beraten werden. Sprich Dich doch aus!«
Lange versuchte der Ingenieur meinen Fragen auszuweichen; da er aber in der Unterhaltung unbewußt der Branntweinflasche in einem ihm ganz ungewohnten Maße zusprach - er war sonst sehr mäßig - schmolz seine Zurückhaltung allmählich und schließlich erklärte er sich bereit, alles zu erzählen: »Als der Hund anhielt, befand ich mich auf einem Felsenrücken. Unter mir dehnte sich die Kluft in abschüssiger Richtung zu einer beträchtlichen Tiefe aus, deren Dunkelheit meine Lampe nicht zu durchdringen vermochte. Aber zu meiner größten Überraschung strömte daraus ein helles Licht zu mir empor. Sollte es irgend ein vulkanisches Feuer sein? In diesem Falle hätte ich sicher die Hitze gespürt. Doch herrschte darüber irgend ein Zweifel, so war es für unser aller Sicherheit von größter Wichtigkeit, denselben zu heben. Ich untersuchte die Wände des Abhanges und glaubte daraufhin, so weit ich sie überschauen konnte, daß ich es wohl wagen dürfte, mich den unregelmäßigen Vorsprüngen und Ecken anzuvertrauen. Ich verließ den Hund und stieg hinab. Je mehr ich mich dem Lichte näherte, um so größer ward die Kluft, und endlich sah ich zu meinem unaussprechlichen Erstaunen auf dem Boden des Abgrundes einen breiten, ebenen Weg, der, soweit das Auge reichte, wie es schien, durch Gaslampen, die in regelmäßiger Entfernung von einander standen, beleuchtet war, wie die Straßen einer großen Stadt. Aus der Ferne vernahm ich ein Gesumme wie von menschlichen Stimmen. Ich weiß genau, daß keine anderen Bergleute in dieser Gegend beschäftigt sind. Was konnten das für Stimmen sein? Wessen Hände konnten diesen Weg geebnet und diese Lampen angezündet haben?
Der Aberglaube, der so häufig unter den Bergleuten herrscht, daß Gnomen oder Teufel im Inneren der Erde hausen, erfaßte auch mich. Ich fürchtete mich bei dem Gedanken, weiter hinabzusteigen und den Bewohnern dieses unterirdischen Tales begegnen zu können.
Außerdem hätte ich es ohne Taue gar nicht vermocht, da von der Stelle, die ich erreicht hatte, bis zum Grunde der Kluft beide Seiten des Felsens steil in die Tiefe gingen. Mit einiger Schwierigkeit lenkte ich meine Schritte rückwärts. Nun habe ich Dir alles erzählt.« »Wirst Du noch einmal hinabsteigen?« »Ich sollte es wohl tun, doch mir ist, als wagte ich es nicht.«
»Ein treuer Begleiter verkürzt die Reise und verdoppelt den Mut. Ich will mit Dir gehen. Wir wollen uns mit Tauen von gehöriger Länge und Stärke versehen und - aber verzeih, Du darfst heute Abend nicht mehr trinken. Unsere Hände und Füße müssen morgen fest und standhaft sein.«
Zweites Kapitel
Am andern Morgen waren die Nerven meines Freundes wieder gestärkt. Die Neugier regte ihn nicht weniger auf als mich, ja vielleicht noch mehr; denn er glaubte sichtlich an seine eigene Geschichte, während ich beträchtlich daran zweifelte. Ich glaubte nicht, daß er mir absichtlich eine Unwahrheit erzählt habe, ich meinte nur er müßte einer jener Sinnestäuschungen unterworfen gewesen sein, die sich unserer Phantasie und unserer Nerven an einsamen, ungewohnten Orten bemächtigen und in denen wir dem Formlosen Gestalt, dem Stummen Stimme geben.
Wir wählten sechs erfahrene Bergleute, die unseren Abstieg beobachten sollten, und da der Hund nur einen auf einmal faßte, fuhr der Ingenieur zuerst hinab. Als er das vorspringende Felsstück erreicht hatte, auf dem er das erste Mal gehalten hatte, kam der Hund wieder herauf um mich zu befördern. Bald war ich an meines Freundes Seite. Wir waren gut mit starken Tauen versehen. Auch ich erblickte das Licht, das ihn tags zuvor so überrascht hatte. Es drang durch eine schräge Öffnung. Mir schien es ein verbreitetes atmosphärisches Licht zu sein, es rührte nicht wie von einem Feuer her, es war vielmehr weich und silbern wie das Licht eines Nordsternes. Nachdem ich den Hund verlassen hatte, stiegen wir einer nach dem anderen, dank der Vorsprünge an den Abhängen, mit ziemlicher Leichtigkeit tiefer hinab zur Stelle, an der mein Freund tags zuvor Halt gemacht hatte. Es war ein hervortretendes Felsstück, gerade groß genug, daß wir beide nebeneinander darauf Platz hatten. Von hier aus erweiterte sich die Kluft plötzlich wie das letzte Ende eines großen Tunnels, und ich sah deutlich das Tal, den Weg, die Lampen, wie mein Freund sie mir beschrieben hatte. Er hatte nichts übertrieben. Ich hörte die Töne, die er vernommen hatte, - ein wirres, nicht zu beschreibendes Gesumme wie von Stimmen und gedämpften Fußtritten. Ich strengte meine Augen an und erblickte deutlich in der Ferne die Umrisse eines großen Gebäudes. Das konnte kein natürlicher Felsen sein. Es war zu symmetrisch, hatte große ägyptische Säulen, und das Ganze war wie von innen erleuchtet. Mit Hülfe eines kleinen Taschenteleskopes, das ich bei mir hatte konnte ich in der Nähe des Gebäudes zwei Figuren unterscheiden. Sie glichen menschlichen Gestalten, doch war ich dessen nicht ganz sicher. Jedenfalls hatten sie Leben, denn sie bewegten sich und verschwanden