Vor der Wahl kommt die Ausmistung. Denise Remisberger

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Vor der Wahl kommt die Ausmistung - Denise Remisberger

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      Sie sprach in Gedanken. Gertrude hockte völlig verdutzt unter ihrem Blatt und wollte bestimmt nicht begrüsst werden, denn sie hielt sich für unsichtbar, wenigstens, was die Menschen anbetraf. Doch diese Nervensäge hier liess nicht locker und stellte Fragen. Gertrude begann zu antworten und erzählte schliesslich hingebungsvoll von ihrer neuerlichen Obdachlosigkeit und konnte auch nicht logisch erklären, wieso sie unbedingt ein Plätzchen in einem Haus aus Stein wollte. Sie war eben eine spezielle Koboldin.

      Anna bot ihr einen Platz in ihrer Stadtwohnung an, in einem Hängekorb mit einer dunkelgrünen vielblätterigen Pflanze darin, die noch keinen Geist beherbergte.

      Gertrude nahm an.

      Auf dem Heimweg, bei dem sich Gertrude an Annas Schulter festklammern musste, denn diese radelte im Pfeiltempo bergauf, dachte Anna plötzlich grinsend: «Ich habe heftigsten Liebeskummer, doch er verteilt sich auf zwei.»

      «Er hat auch welchen?»

      «Oh nein, ich bin in zwei Jungs verliebt. Beide wollen nichts von mir.»

      «Und wenn du dich entscheiden müsstest?», gab Gertrude zu bedenken.

      «Dann müsste ich wohl eine Dreierkiste gründen.»

      Gertrude war schockiert, während Anna kicherte.

      2

      Anna erinnerte sich an den Abend, als sie den Ersten der beiden kennen lernte. Sie hatte gerade den Eingang zum Taifun, einer Disco in einer ehemaligen Fabrikanlage, passiert, als sie einen Typen erblickte, der sich an eine Säule am Rande der Tanzfläche anlehnte und ihr den Rücken zukehrte. Seine dunkelblonden Dreadlocks liessen ihn wild erscheinen, doch seine unsichere Haltung sprach dagegen. Er trug hellblaue Jeans und ein rotes langes T-Shirt mit kurzen Ärmeln. Annas intuitives Gespür hatte bereits Feuer gefangen.

      Auf dem Weg zu ihren Bekannten, die sich in die hinterste Ecke des Raumes verzogen hatten, verlor sie ihn aus den Augen und widmete sich deren Begrüssung. Er würde wohl nicht gleich wieder heimgehen, es war schliesslich erst Mitternacht, und die Disco schloss um fünf.

      Nachdem sie sich ein seichtes Mineralwasser an der Bar im angrenzenden Raum geholt hatte und, neben dem Mischpult stehend, auf die Tanzfläche schaute, blieb einer wie vom Blitz getroffen vor ihr stehen und verstellte ihr die Sicht. Er. Er starrte sie todernst an und versuchte, eindrucksvoll auszusehen. Doch er hatte ein so unschuldiges Gesicht mit grossen offenen blaugrünen Augen, dass sein krampfhaftes Zusammenziehen der Augenbrauen nicht so wirkte, wie es sollte. Anna schaute leicht belustigt und doch etwas beunruhigt. Hatte er ihre Schwingungen vorher aufgenommen, oder war er ganz von sich aus stehen geblieben? Bewusst, unbewusst, halbbewusst? Auf alle Fälle hatte das Schicksal wieder mal zugeschlagen.

      Er brauchte dann mehrere Anläufe und insgesamt volle drei Stunden, bis er sich wirklich getraute, sie anzusprechen. Anna wollte die Rolle der Passiven auch mal auskosten und musste also diese drei Stunden warten. Warten war wirklich etwas Unangenehmes. Sie würde die Initiative in Zukunft wieder selber ergreifen. Schliesslich liebte sie nichts so sehr wie den Anblick eines schockierten Mannes; es lag darin einfach etwas Schnuckliges.

      3

      Mit diesem um acht Jahre jüngeren Schnuckligen namens Sebastian nun, traf sie sich dann eine Woche später und nötigte ihn, ein paar hundert Meter zu laufen, um an ein magisches Plätzchen am grossen See zu gelangen. Unterwegs liessen ihn seine Kräfte beinahe im Stich. Er wies immer wieder scheu auf vorbeiziehende Sitzbänke, um sich endlich niederzulassen, doch Anna peilte zielbewusst «ihren» Platz auf einem grossen Stein, direkt am Wasser, an.

      Sie setzten sich dicht nebeneinander, ohne sich zu berühren und liessen sich von der Sonne beleuchten. Anna bewunderte seine grünblauen Augen, seine beiden Altsilberringe am rechten Ohr und die Haut oberhalb des Knies unter dem Loch in seiner Hose. Dort drinnen hätte sie gerne einen Finger kreisen lassen. Bei dem Gedanken musste sie kichern. Er wäre wahrscheinlich entsetzt aufgesprungen und davongerannt. In der Not hätte er bestimmt wieder zu seinen Kräften gefunden.

      Nach einer Stunde prickelnder Entspannung schlenderten sie zurück und begegneten unterwegs einem Freund Sebastians, der jenen sofort in einen verbalen Konkurrenzkampf verwickelte. Es ging ihm dabei nicht um Anna, obwohl er ungehemmt mit ihr flirtete, sondern einfach um das Gebaren, das junge Hirsche und die meisten Männer eben an den Tag legen, wenn ihnen nichts Besseres einfällt.

      Hubert trug enge Jeans, die seine sinnliche Ausstrahlung noch unterstrichen. Seine Bewegungen hatten etwas Dynamisches und gleichzeitig Verwurzeltes an sich. Eine brodelnde Hitze schien aus seinem Bauch zu strömen, die sich in seinen intensiven dunklen Augen wiederfand. Sein Gesicht veränderte sich alle paar Minuten, Lachfältchen um die Augen entstanden und verschwanden wieder, wie ein Fächer, der auf- und zugeht.

      Sein Mund war einfach einladend. Die kurze schwarze Frisur mit der langen Strähne, die quer über seine Stirn bis zur Mitte der Wange fiel, vereinigte ebenfalls Dynamik mit Sinnlichkeit.

      Doch da Anna eigentlich mit Sebastian alleine sein wollte und dieser bereits rote Flecken auf den Wangen aufleuchten liess, ergriff sie das Machtwort, als der flirtende Hubert die beiden betont unschuldig, was es betont absichtlich erscheinen liess, zu sich nachhause einladen wollte und sagte ziemlich ruppig: «Nein». Sebastian atmete erleichtert aus, Hubert zog einen Flunsch und verabschiedete sich eisig.

      Nun wäre doch anzunehmen, wenigstens für die Vernünftigeren, dass Anna so etwas wie eine Abneigung gegen diesen Eindringling Hubert empfinden sollte. Doch nein, sie war begeistert. Er ging ihr nicht mehr aus dem Kopf, auch wenn sie ihn immer wieder in die Verdrängnis abschob. Doch davon später.

      Anna begleitete Sebastian noch bis zum Bahnhof, wo sie eine Weile rumstanden und sich anlächelten, bis er in den Zug ins Oberland stieg und sie sich zu ihrem Velo begab, um ins Wen-Do, ein Kampfsport nur für Frauen, zu fahren.

      4

      Sebastian meldete sich nicht mehr. Anna rief bei ihm zuhause an und erwischte ihn gerade noch vor seiner Abreise nach Australien. Am Telefon sagte er ihr, dass er sich auf keinen Fall verlieben wolle und jetzt sowieso in die Ferien starte. Sie verstand die Welt nicht mehr.

      5

      Als sie sich etwas von diesem Schock erholt hatte, traf sie auf Hubert. Sie sass in einem Café und nippte gerade an einem grossen Tschai, als er sich ihr gegenüber hinsetzte.

      «Kennst du mich noch?», war die überflüssige einleitende Frage.

      Und wie sie ihn noch kannte. Er war ihr ja nicht mehr aus dem Kopf gegangen, trotz dem Seelenleid um Sebastian.

      Da sassen sie also und versanken in den Augen des Gegenübers. Verbal gesehen führten sie eigentlich ein Streitgespräch um Realismus und Esoterik. Doch nonverbal stimmte der intensive Energieaustausch überein wie das Einsetzen des letzten Puzzlestückes.

      Doch wie es das Leben so mit sich bringt, hatte der intensive Hubert bereits eine Freundin und wollte ihr auch noch treu bleiben. Das mit der offenen Beziehung war noch nicht in alle Köpfe gedrungen. Hubert versprach Anna, anzurufen und tat es natürlich nicht.

      6

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