Georg Schweinfurth: Forschungsreisen 1869-71 in das Herz Afrikas. Georg Schweinfurth
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Beim Beginn der Regenzeit überraschte mich auch die Menge der Chamäleons. Das sonderbare Augenverdrehen dieser Tiere diente mir zu Späßen, mit denen ich vor allem die Faki, die mohammedanischen Priester und Schreibkundigen, ärgerte, die sich durch Fanatismus auszeichneten. „Wessen Bild“, fragte ich, „ist ein solches Chamäleon, wenn es das eine Auge nach oben, das andere zu Boden gerichtet hat? Das ist ein Faki; mit dem einen Auge schaut er zu Gott im Himmel auf, mit dem anderen aber auf die Erde mit ihren Tälern.“
Auch sonst habe ich meine Umgebung, die sich fast ausschließlich zum Islam bekannte, mit Kritik nicht geschont, und eigentlich muss man sich wundern, dass unser Verhältnis nicht ernstlich gestört wurde. Denn trotz der ausgezeichneten Behandlung befand ich mich in recht zweifelhafter Gesellschaft. Alljährlich pflegten die Seribenverwalter Raubzüge ins Gebiet der Dinka zu unternehmen, um sich mit frischen Viehvorräten zu versehen. Da sich die verschiedenen Gesellschaften Konkurrenz machten, war man von Anfang an über eine Art Seribenrecht übereingekommen. Die unmittelbar abhängigen Gebiete waren scharf abgegrenzt, und die Straßen, die zur Meschra führen, durften nur von denjenigen Handelsgesellschaften betreten werden, die darauf ein gewohnheitsmäßiges Recht begründen konnten. Fast jede Seriba hatte ihre eigene Straße, auf der sie brandschatzte, und eine Straße ohne Räuberei war hierzulande keine Straße. Am eifrigsten überwachten die Chartumer Gesellschaften ihre Gerechtsame auf Viehraub. Im Jahr 1868 soll die Beute der Gesellschaft des Ghattas aus 8.000 Stück Rindern bestanden haben. Dagegen war das Ergebnis des Jahres 1869 kläglich, da die Dinka ihre Herden noch rechtzeitig in unzugängliche Sümpfe geflüchtet hatten. Um das Bedürfnis eines Jahres zu decken, musste ein solcher Raubzug mindestens 2.000 Stück Vieh einbringen. Zwei Drittel der Beute fiel der Verwaltung zu, ein Drittel den Soldaten, von denen die Rinder nach Belieben verschachert wurden. Die Helfershelfer und Hehler dieses verbrecherischen Handels waren die Gellaba, die sich in allen Seriben eingenistet hatten. Abwechselnd handelten sie mit Baumwollenzeug, Mützen, Flinten, Spiegeln, dann wieder mit Sklaven und Sklavinnen, Koransprüchen und Amuletten, Rindern, Ziegen und Schafen.
In Gurfala, einer Seriba des Bongolandes, entdeckte ich eine Getreidebranntweinbrennerei. Die Nubier frönen dort maßlos dem Branntweingenuss. Sobald neue Warenvorräte aus Chartum anlangen, füllen sich die Lager mit ganzen Reihen großer Glasballons, die meist aus Breslau stammen. Die Verwalter trinken den Spiritus rein, sie können ihn nicht stark genug haben; die übrigen gießen zwei Drittel Wasser dazu oder mischen ihn unter die Merissa, das einheimische aus Negerhirse gebraute Bier. Den Trinkern mundeten besonders die scharfen, durstreizenden Rettiche aus meinem Garten, den ich mir mit viel Lust und Mühe angelegt hatte und in dem Mais, Tabak, Gurken und allerlei europäische Gemüse vorzüglich gediehen. Bei den Gelagen wurde ich mit Bitten nach diesem Reizmittel überhäuft. Mit Vorliebe erkoren die Nubier die ersten Morgenstunden dazu, um sich zu betrinken; sie waren dann für den ganzen Rest des Tages unausstehlich. Im trunkenen Zustand wird der Nubier so streitsüchtig wie der Deutsche, nur entfesselt sich dabei seine schrankenlose Wildheit, und Mord und Totschlag sind nicht selten der Ausgang.
In der Hauptseriba verging selten eine Woche ohne einen Unfall durch unvorsichtiges Schießen. Selbst stets in Gefahr, von den Kugeln der Seribenbewohner durchlöchert zu werden, musste ich bei allem Ärger obendrein immer mit meinem chirurgischen Rat herhalten, wenn es sich darum handelte, die Knochen zu bandagieren oder Kugeln und Schrot aus dem Fleisch zu entfernen.
Oft wurde ich auch in meiner nächtlichen Ruhe beeinträchtigt. Besonders unausstehlich war das ewige Geplärr der lauten Gebetsübungen, das in den Abendstunden erscholl. Es war um aus der Haut zu fahren. Da waren Faki angekommen aus Darfur, die in einem selbst den gelehrtesten Chartumern völlig unverständlichen Kauderwelsch die Verse des Koran herableierten; das schnurrte nur so wie ein Mühlrad. Meine eigenen Leute, die doch gute Mohammedaner waren, nahmen für mich Partei und verwiesen die nächtlichen Ruhestörer aus der Nähe meiner Hütte.
Ab und zu waren nächtliche Orgien an der Tagesordnung; als Vorwand für die Wahl der Tageszeit musste die gar nicht sehr bemerkliche Mückenplage dienen. Wenn die Nubier sich an ihrer abscheulichen Merissa betrunken hatten, tobten sie ihren Übermut an den riesigen Pauken aus, die am Eingang der Seriba hingen. Dicht dabei stand meine Hütte, die Pauken waren mir daher beständig ein Dorn im Auge. Ich wusste mir nur dadurch ab und zu Ruhe zu verschaffen, dass ich Salzsäure auf die Felle spritzte, so dass sie beim nächsten Gebrauch platzten.
Auch die von den eingeborenen Kogur oder Zauberern bei Krankheiten betriebenen Teufelaustreibungen vermehrten die nächtliche Unruhe. In den höchsten und schneidig schärfsten Tönen, vergleichbar etwa dem Gackern geängstigter Hühner, beginnt der Zauberer seine Beschwörung. Der erste Teil dauert mitunter zwei Stunden ohne die geringste Unterbrechung. Die Einleitung, so wurde mir gesagt, sei nötig, um den Teufel überhaupt zur Antwort zu bewegen. Dann folgen die Fragen und Antworten; die Sprache des Teufels wird durch Bauchrednerkunst vorgetäuscht. Der Zauberer fragt nach Namen und Herkunft des Teufels, nach der Dauer seines Innewohnens, nach Art und Stand desselben und seiner Sippe und Verwandtschaft. Hat er nach stundenlangem Mühen endlich alles herausbekommen, was er wünschte, dann beginnt die Verordnung eines Mittels. Der Kogur geht in den Wald und holt eine Wurzel oder ein Kraut, die in vielen Fällen die Genesung herbeiführen. Das erinnerte mich lebhaft an all den Hokuspokus, mit dem sich bei uns Quacksalber und Wunderdoktoren zu umgeben pflegen und der namentlich dazu dient, ganz einfache, längst bekannte Mittel unter irgendeinem abenteuerlichen Namen oder einer wunderbar aufgeputzten Form der Neugierde des Publikums aufzudrängen. Klappern gehört überall zum Handwerk.
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Ein seltsames Hirtenvolk
Ein seltsames Hirtenvolk
Der lange Aufenthalt in der Seriba Ghattas hat mich in enge Verbindung mit den benachbarten Völkerschaften gebracht und mir Gelegenheit zu einer Menge von Beobachtungen und Erkundungen geboten, die ich auf einigen Ausflügen in westlicher Richtung erweitern konnte. Die Studien über das große Volk der Dinka oder Djangeh, wie sie sich selbst nennen, hatte ich schon in der Meschra mit großem Eifer betrieben und im Anfang des Marsches fortgesetzt. Meine Beziehungen zu diesem seltsamen Hirtenvolk waren auch in den folgenden zwei Jahren nur selten unterbrochen. Aus eigener Anschauung kenne ich indes nur die westlichsten Stämme dieses über nahezu 240.000 Quadratkilometer ausgebreiteten Volkes, diesen Teil aber hinreichend genau, um manches Neue berichten zu können.
Die Mehrzahl übersteigt in ihrer Körperhöhe nur wenig ein mittleres Maß. Bei 26 gemessenen Eingeborenen war die Durchschnittshöhe 1,74 Meter.
Die Dinka zählen zu den am dunkelsten gefärbten Rassen, aber die Haut lässt deutlich einen braunen Ton erkennen, sobald sie von der Asche gesäubert ist, mit der sie sich so gern einreiben. Wenn sie sich mit Öl gesalbt haben, oder nach einem Bad, schimmert ihre Haut wie braunschwarze Bronze. Die Einförmigkeit der Gesichtsbildung beruht mehr auf einer Täuschung unseres Auges, dem die schwarze Gestaltung ungewohnt erscheint, als auf einer wirklichen Gleichartigkeit der Züge. Einigermaßen einnehmende Gesichtszüge sind selten, unaussprechlich hässliche Fratzen, die verstärkt werden durch ein Grimassenspiel, verleihen der großen Mehrzahl affenartigen Ausdruck. Doch fehlt es auch nicht an Ausnahmen, die eine tadellose Regelmäßigkeit der Züge aufweisen. Das Haar scheren sie sich meist kurz und lassen auf der Höhe des Scheitels nur einen Schopf stehen, den sie durch Einstecken von Straußenfedern zieren. Ein Dinkastutzer,